Pokerraub: Dritte Ganovenliga
Der Pokerraub war draufgängerisch und dilettantisch. Die Tatverdächtigen haben sich mittlerweile gegenseitig verraten. Im Juni beginnt der Prozess.
Sie kennen sich seit Kindertagen. Aus dem Kiez zwischen Kottbusser Brücke und Gneisenaustraße. Aus Jugendclubs und Sportvereinen in Kreuzberg, wo ihre türkischen und arabischen Familien leben. „Die hingen zusammen rum, später waren sie beim Boxtraining“, sagt einer, der die Jungs zuletzt als Kinder gesehen hatte, bevor einer von ihnen zwei Jahre im Knast verschwand und die anderen sich zurückhielten, weil wegen Schlägereien öfter die Polizei kam. „Und plötzlich sehe ich sie in jeder Zeitung.“
Als im März bundesweit Fahndungsfotos der vier auftauchten, waren darauf keine Kinder mehr zu sehen, sondern Männer. „Aber schlauer als früher haben die sich nicht angestellt“, rutscht es ihrem Bekannten raus. Eine abgeschlossene Ausbildung hat keiner, auch in die erste Ganovenliga haben sie es nicht geschafft. Mitte Juni werden Richter über das urteilen, was im März Schlagzeilen machte – und die Clique für immer entzweite.
Ein Meisterstreich sollte es werden, als die vier Männer, 19 bis 21 Jahre alt, am 6. März gegen 14 Uhr ein Pokerturnier am Potsdamer Platz überfielen. Riskant ist es, in das bewachte Luxushotel Hyatt zu stürmen. Noch riskanter, vor hunderten Zeugen den Tresor zu plündern.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, haben sich wohl Ahmat El-A., Jihad C., Mustafa U. und Vedat S. gesagt, als sie sich kurz vorher bei McDonald’s nebenan treffen. Ihren Handys entnehmen sie die Akkus. Dass Mobiltelefone wie Peilsender funktionieren, wissen die jungen Männer aus TV-Krimis. Doch argwöhnische Passanten haben sich schon das Kennzeichen des Mercedes notiert, mit dem sie am belebten Potsdamer Platz vorgefahren sind. Wer bei Hamburgern und Cola das Wort führt, wer wen überredet, ist unklar. Die Angeklagten widersprechen sich später in den Verhören beim Landeskriminalamt (LKA).
Die Ermittler behaupten, die vier Hitzköpfe seien nicht allein gewesen. Mindestens einer der vier Heranwachsenden nennt in der Untersuchungshaft den Namen des 29-jährigen Onkels vom beteiligten Räuber Jihad C. Ermittler bezeichnen Onkel Ibrahim El-M. zunächst als Kopf des Quintetts, er soll bei McDonald’s die Tathandschuhe, Masken und Machete verteilt haben. Im Hotel saß Ermittlern zufolge wenig zuvor schon ein alter Bekannter: Mohammed Abou-C., 31, nahm als Spieler an dem populären Turnier teil. Neben ihm spielte drei Tage vor dem Coup die Erfolgsautorin Charlotte Roche. Inwiefern Abou-C. die unmittelbar handelnden Räuber angeleitet haben könnte, ist unklar. Ihn nahmen Zielfahnder – nach wochenlanger Beobachtung – am Freitag in Kreuzberg fest.
Nachdem die vier jungen Männer am 6. März McDonald’s verlassen, geht fast alles schief. Schlecht vermummt, werden die vier von Überwachungskameras gefilmt. Vedat S. trägt offenbar aus Eitelkeit seine gelben Gummihandschuhe nicht, hinterlässt Fingerabdrücke und wird sogar von einem Sicherheitsmann in den Schwitzkasten genommen. Der spätere Kronzeuge entgeht schon an diesem Abend nur knapp seiner Festnahme. Im Tumult versteckt ein Hotellehrling eine prall gefüllte Geldtasche vor den überforderten Gangstern. Sie fliehen mit 242 000 Euro, anvisiert waren eine Million, das Preisgeld des Turniers.
Der 28 Seiten langen Anklage zufolge wartet Ibrahim El-M. draußen, rast mit den vier herbeistürmenden Dilettanten in einem Audi zu einer Garage in Friedenau. Dort angekommen, wird das Beutegeld verteilt. Sehr ungleich. Mustafa U., erst kurz zuvor aus dem Knast entlassen, soll nur 5000 Euro bekommen haben, obwohl die Anklage von 40 000 Euro spricht, so viel nämlich haben die anderen drei Nachwuchsräuber eingesteckt. Am meisten – 82 000 Euro – soll der Onkel Ibrahim El-M. behalten haben. Davon könnte er den möglichen Tippgeber Mohammed Abou-C. bezahlt haben. Aus Justizkreisen heißt es, der 29-jährige Onkel bestreite jede Tatbeteiligung. Fahnder sagen, er habe den Jüngeren eingeschärft, seinen Namen zu verschweigen, „da man sich irgendwann wiedersehen“ werde – eine im Milieu der Angeklagten nicht ungefährliche Anspielung. Möglich, dass auch Mohammed Abou-C. deswegen nicht sofort verraten worden ist.
Die als gefährlich eingestuften Clans stammen aus dem arabisch-kurdischen Südosten der Türkei, zu ihnen sind nach dem Bürgerkrieg im Libanon auch Flüchtlinge aus der gesamten Region gestoßen. Fast 4000 Angehörige zählt man in Berlin dazu. Die meisten Mitglieder seien „strafrechtlich unauffällig“, erklärte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kürzlich, einige aber spielten im Drogenhandel „in nicht geringer Menge“ eine „tragende Rolle“. Streit wird ohne die Polizei geregelt. Vor zwei Jahren sollen Männer aus dem Abou-C.-Umfeld einen säumigen Bekannten eingesperrt und gefoltert haben, bis Verwandte das Geld zahlten: Sie hatten ihm wohl 150 000 Euro geliehen – für 20 000 Euro Zinsen.
Beim LKA weiß man wegen des Mercedes noch am Abend des 6. März, wen man zu suchen hat. Zehn Tage nach dem Coup hält Vedat S. dem Druck nicht mehr stand, er kündigt über einen Anwalt an, sich zu stellen. „Der wusste, wie dicht wir dran waren“, sagt ein LKA-Mann. S. nennt drei Komplizen, Ahmat El-A. wird am Rosenthaler Platz in Mitte gefasst, nervlich am Ende. Jihad C. und Mustafa U. stellen sich nach kurzer Flucht in die Türkei und den Libanon auf dem Flughafen Tegel. Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra erklärt kurz zuvor: „Wir können den Fall als weitgehend geklärt betrachten.“
Doch unklar ist bis heute nicht nur, ob der Auftrag für den waghalsigen Coup von einem älteren Familienmitglied kam – oder die alleinige Idee von Mohammed Abou-C.und Ibrahim El-M. war. Kenner des Milieus vermuten, dass demnächst bei einem siebenten Mann die Handschellen klicken. Was die Fahnder auch nicht wissen: Wo ist die Beute? Nur Mustafa U. hat 4000 Euro zurückgegeben. Und was ist mit dem Zettel? Kurz nach der Tat wurde ein Verdächtiger aus dem Umfeld eines anderen Clans verhaftet. Er wurde wegen eines Alibis freigelassen, bei ihm fand die Polizei jedoch einen Zettel mit sechs Namen, die meisten davon sind die der Angeklagten. Denkbar ist, dass den Fahndern die Räuber aus einschlägigen Kreisen absichtlich genannt wurden, um mit staatlicher Hilfe lästiger Konkurrenz zu schaden. Beim Landeskriminalamt schweigt man.
Weil er seine Freunde verraten hat, wird Vedat S. mit der Kronzeugenregelung belohnt. Drei Wochen nach der Tat darf er aus der Untersuchungshaft. Er ist bis heute auf freiem Fuß. Strafrechtlern zufolge muss er nur mit zwei Jahren Haft rechnen, vielleicht auf Bewährung. Hätte sich der Verdächtige nicht als Zeuge angeboten, wären bei Schuldspruch vier Jahre wegen schweren Raubes wahrscheinlich gewesen. S. will seinen versteckten Beuteanteil von 40 000 Euro zurückgeben. Bis heute ist nichts von der Summe aufgetaucht. Ob er observiert wird, sagt man beim LKA nicht.
Unseriös sei das Vorgehen der Justiz, findet der Anwalt von Mustafa U. „Mein Mandant hat sich den Beamten gegenüber ausgiebig erklärt“, sagte Verteidiger Sebastian Bartels dem Tagesspiegel. „Auch für ihn muss die Kronzeugenregelung gelten.“ Außerdem sei der einschlägig vorbestrafte U. nur Gehilfe gewesen. Der 20-Jährige habe sich von den anderen überreden lassen, er sei unbewaffnet gewesen und habe nicht mal gewusst, wo das Fluchtauto stand. Andere sagen, U. spiele seine Tatbeteiligung runter.
Wegen seiner Gesprächsbereitschaft, heißt es von Juristen, werde in kriminellen Kreisen gegen ihn Stimmung gemacht. Den Ermittlern kommt Angst ungelegen. Die fünf verbliebenen Häftlinge sitzen getrennt im Moabiter Gefängnis. Ob sie vor Gericht bei ihren Aussagen bleiben, gilt nicht als sicher, auch wenn einer der Anwälte Kontakte zu einem Clan als „kitschigen Quatsch“ zurückweist.
Sie werden Haftstrafen bekommen, glauben Juristen. Drei, vier Jahre für die Jüngeren. Schließlich sitzen sie vor einer Jugendstrafkammer. Mehr droht Mohammed Abou-C. und Ibrahim El-M. Wie die Urteile ausfallen, hängt auch von der Kooperation der Angeklagten mit dem Gericht ab. Jeder arbeitet deshalb auf eigene Rechnung. „Die lügen“, sagt ein Anwalt über die Mandanten seiner Kollegen, die seinen Schützling belasten. „Mein Mandant hat mit den anderen nichts zu tun“, sagt ein anderer Verteidiger.
Und so ist sich jeder aus der früheren Clique selbst der Nächste. Sollten sich die Jungs irgendwann im Knast oder im Kiez begegnen, ist nicht ausgeschlossen, dass jeder mit jedem etwas begleichen wird.