Kindesentziehung: Dreijährige Tochter entführt – die Großeltern halfen
Ein Vater fängt sein Kind nach der Kita ab und tauchte mit ihm für 14 Monate unter. Die Großeltern kennen das Versteck ihres Sohnes - doch sie schweigen und werden so zu Komplizen des Gesuchten. Dafür wurden die Großeltern jetzt zu einer Geldstrafe verurteilt.
Schon am Tag des Verschwindens fand Karl-Heinz W. im Briefkasten die Nachricht seines Sohnes. Er erfuhr, dass sein Sohn seine Enkelin geschnappt und Berlin verlassen hatte. Der Rentner und seine Frau hätten sofort reagieren und der Mutter die schlimmste Sorge nehmen können. Doch Großeltern schwiegen und wurden zu helfenden Komplizen ihres Sohnes Matthias. Eine Kindessentziehung, die 14 Monate dauern sollte. Gestern kam es zum Prozess gegen die Großeltern. Sie sollen ihr Schweigen jetzt mit jeweils 500 Euro büßen.
Die Großeltern verheimlichten laut Anklage die ihnen bekannten Verstecke des Sohnes. Von ihm erhielten sie stattdessen eine Generalvollmacht und meldeten ihn – wider besseres Wissen – acht Tage nach seinem Verschwinden beim Bürgeramt in Steglitz-Zehlendorf mit dem künftigen Wohnsitz New York aus Berlin ab. Sie lösten seine Wohnung in Lichtenberg auf und kümmerten sich um seine Krankenkasse.
Nicht wie Mitschuldige, eher wie Opfer saßen der 68-jährige W. und seine vier Jahre jüngere Frau auf der Anklagebank. „Was soll ich sagen? Mit tut es Leid, dass ich meine Enkelin nicht mehr sehe“, sagte die 64-jährige Regina W. Auch ihr Mann wollte nicht viele Worte verlieren. „Tut mir Leid, dass die ganze Sache so dumm gelaufen ist.“
Die kleine Bianca verschwand am 20. November 2005. Ihr Vater hatte sie an jenem Tag aus einer Kita in Lichtenberg abgeholt, aber nicht wie verabredet zur Mutter zurückgebracht. Zunächst lebte er für sieben Monate mit dem Kind in Polen. Im Sommer 2006 kehrte er mit Bianca nach Deutschland zurück und lebte unter falschem Namen in Dortmund. Dort wurde er nach einem anonymen Hinweis festgenommen.
433 Tage war die Mutter von ihrem Kind getrennt. Jeden Tag die quälende Ungewissheit. Und auf der anderen Seite der Verdacht, dass die Eltern des Entführers eingeweiht sind. Die damals 33-jährige Frau fluchte, bat und bettelte – vergeblich. Aus Argentinien kamen ihre Eltern angereist und flehten: „Bitte redet Sie mit ihm!“ Doch die Großeltern hielten an ihrer Linie fest. Einmal soll Karl-Heinz W. rausgerutscht sein, dass sein Sohn ihm erklärt habe: „Deswegen wird dir der Kopf nicht abgerissen.“
Auch gestern verlor das Ehepaar kein Wort der Entschuldigung bei der Mutter. Ob sie ihrer früheren Schwiegertochter noch etwas sagen wollen, fragte die Anwältin der Nebenklage. „Wir würden Bianca gern wieder sehen“, sagte die Großmutter knapp. Die Möglichkeit, zumindest einen kleinen Schritt auf die Mutter zuzugehen, ergriff sie nicht. Seit Januar 2007, dem Ende der Entführung, gibt es keinen Kontakt mehr zum Enkelkind. Es lebt jetzt mit seiner Mutter in Schweden.
Sohn Matthias W. ist bereits vor einem Jahr zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte von einer „Kurzschlussreaktion“ gesprochen. Er will aus Angst, seine Ex-Partnerin könnte mit der Tochter nach Südamerika gehen, gehandelt haben. In solchen Fällen gehe es jedoch vielmehr um Macht und Rache, erklärte die Anwältin der Frau. Wenn die Großeltern insgesamt 1000 Euro gezahlt haben, wird das Verfahren um Beihilfe zur Kindesentziehung eingestellt.
Kerstin Gehrke
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