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Blick fürs Glas. Aufmerksame Profi-Wirte wie dieses Bochumer Prachtexemplar kennt unser Autor aus der Heimat. Und vermisst sie in Berlin - jedenfalls unter den jüngeren Vertretern dieser Zunft.
© Roland Weihrauch, dpa

Berliner Wirte: „DREI PILS!!!“ – „HÄ, WAS???“

Abseits der Alte-Leute-Kneipen mangelt es Berlins Rauch- und Trinkgastronomie entscheidend an Gastlichkeit: die Musik nervig, das Personal frech – und dann noch störende Tischtennis-Events. Zeit für ein Comeback des guten Wirts.

Wer nichts wird, wird Wirt. Und da ich Journalist, also quasi nichts geworden bin, sehe ich mich im Kreise der Familie jedes Weihnachten mit der gleichen Frage konfrontiert. Mein Opa Ernst legt mir die Hand auf die Schulter und fragt: „Junge, willst du nicht die Kneipe übernehmen?“

Der „Eickler Krug“, 140 Quadratmeter feinster Gelsenkirchener Barock in Herne, ist für meinen Opa Lebensbestimmung. Ich mag es, wenn er von früher erzählt, als er den Laden noch selbst betrieb. Vom Ruhrgebiet der 1960er Jahre, als sich die Nation an seinem Tresen traf. Die Bayern neben den Berlinern, wegen der Kohle ins Ruhrgebiet gekommen. Und fürs Feierabendpils immer zum Ernst. Wenn mal keiner kam, zog mein Opa sich den Mantel über und ging hinaus. Gäste fischen. Dann traf er wie zufällig jemanden auf der Straße: Mensch Werner, lange nicht gesehen, ich vermisse dich. Wenig später saß Werner am Tresen. Man wird vielleicht Wirt, wenn man sonst nichts wird. Das heißt aber nicht, dass man nichts können muss. Mein Opa konnte etwas, er war ein guter Wirt.

Das Wichtigste sei ein gutes Auge für den Gast, sagt er. Genauer: für sein Glas. Zwei Schluck vor Ende gilt es, ein neues Bier anzubieten. Außerdem gefordert: Anpassungsfähigkeit. Der gute Wirt merkt, wann er besser den Mund hält; wann er die Musik aufdreht; wann er eine Runde Schnaps ausgibt, weil die Stimmung zu kippen droht. Der gute Wirt kennt jeden Gast.

Zu laut zum Reden, aber auch getanzt wird hier nicht

Mein Opa, so viel ist sicher, hätte keine Freude an vielen Kneipen, die in den letzten Jahren in Berlin, gerade in Neukölln, eröffnet haben. Und mit jeder neuen Kneipe vergeht auch mir die Lust. So wie vor zwei Wochen. Eine Kneipe in der Boddinstraße, Cocktailsessel auf Holzboden. Selbstbedienung, natürlich. Der Barmann putzt ein Glas, ich schaue ihm direkt in die Augen, er ignoriert mich. Ich hebe die Hand, er nickt. Drei Pils, brülle ich, meine Worte verlieren sich im Gewummer der Anlage. DREI PILS!!! Ich schreie jetzt. WAS FÜR WELCHE!, fragt der Wirt. Er reagiert! Jetzt keinen Fehler machen, denke ich. WAS HABT IHR DENN VOM FASS?

Er weiß es nicht.

Mit drei Flaschenbieren für rund zehn Euro kehre ich zu meinen Freunden zurück. Die Musik ist auch in ihrer Ecke zu laut, um sich zu unterhalten. Getanzt wird nicht. Und so wirkt es, als wüsste dieser Ort noch nicht so recht, was er einmal sein möchte – und ist am Ende nichts, weder Kneipe noch Club.

Neue Kneipe, neues Pech, diesmal erlebnisgastronomischer Natur. Ebenfalls Neukölln, Flughafenstraße. Links vom Tresen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Gemüse“. Dahinter ist der Raucherbereich, in den wir uns jetzt gern setzen würden, um ein Bier zu trinken und zu reden. Geht aber nicht, denn im Raucherraum steht eine Tischtennisplatte. Sieben junge Menschen jagen dem Ball nach, abends um elf. Einer zieht seinen Pullover aus, weil er schwitzt. Dürfte man wenigstens rauchen, bliebe einem der Geruch erspart. Darf man aber nicht. Weil heute „Ruth Rückhands Rundlauf“ auf dem Programms steht.

Ich will einen Wirt wie meinen Opa

Um den Einwänden vorzugreifen: Aber ja doch, ich weiß, dass es auch andere Kneipen gibt. Etwa die guten alten Eckkneipen. Aber da gehöre ich nicht hin, zumindest nicht hier, in Berlin. Ich habe keine Lust, mich immer zu den Berufstrinkern zu setzen. Die diskutieren nach ein paar Pils über den Kiez, die Scheißveränderungen. Und ich bin Teil der Scheißveränderung. Aber: Könnten nicht ein paar Wirtstugenden wieder universal sein?

Vielleicht ist es zu viel verlangt. Dabei will ich doch nur eine Kneipe, in der die Musik erträglich ausgepegelt ist; in der mir das Bier vielleicht sogar an den Tisch gebracht wird; eine Kneipe, bei der ich nicht erst in den Veranstaltungskalender gucken muss, ob Salsa-Tänzer oder Rundlauf-Freaks den Raucherraum blockieren. Ich will einen Wirt, der meinen Namen kennt. Oder zumindest so tut. Ich will Aufmerksamkeit, verdammt, und ja, auch Freundlichkeit. Ich will einen Wirt wie meinen Opa. Wer weiß, vielleicht sage ich nächstes Weihnachten einfach Ja. Ja, Opa, ich übernehme die Kneipe.

Dieser Text erschien in der Rant-Rubrik auf den Mehr-Berlin-Seiten des gedruckten Tagesspiegels.

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