Kantstraße: Drehbuch Delphi
Das Kino an der Kantstraße hat eine bewegte Geschichte: Erst Tanzlokal, dann Ruine, heute Filmpalast mit Charme. Jetzt wird es 60.
Abend für Abend das gleiche Pfeifkonzert, monatelang. Vorneweg Alec Guiness, die Uniform zerrissen, doch ungebeugt, dahinter seine geschlagene Truppe, die Lippen gespitzt – im Felde besiegt, doch nicht im Geiste. Die „River-Kwai“-Melodie war wohl der letzte Militärmarsch, der in Deutschland in die Hitparaden und dort 1958 sogar wochenlang auf Platz 1 fand. Auch Walter Jonigkeit, Chef des Kinos „Delphi“ in der Kantstraße, wusste die Beliebtheit des alten Komiss-Ohrwurms zu nutzen. 20 Mark, das war sein Tarif, wenn er abends in den Tanzlokalen die Kapellen bestach, damit sie den Marsch spielten – Werbung für sein Haus und „Die Brücke am Kwai“. Sorgen, auch andere Kinobetreiber könnten davon profitieren, musste er sich nicht machen. Das „Delphi“ war das größte am Platz, und der Film lief nur bei ihm: 41 Wochen lang!
Der kommende Dienstag ist prädestiniert für solche Kinoerinnerungen: Genau 60 Jahre alt wird da der Filmpalast in der Kantstraße, und es ist kein schlechtes Omen, dass der aktuelle Film „Das weiße Band“ dem mittlerweile 103-jährigen Jonigkeit und seinem Geschäftspartner Georg Kloster von der Yorck-Gruppe gute Publikumszahlen beschert. Für den Geburtstag selbst aber wird das Programm unterbrochen, und zu sehen sind zwei Filme, die erst später in die Kinos kommen: Woody Allens „Whatever works“ und Fatih Akins „Soul Kitchen“.
Die Anfänge waren alles andere als erfreulich, Erinnerungsstücke daran tauchten auf, als die Senatsbauverwaltung sich 1986 daran machte, das landeseigene Grundstück für eine – erst verschobene, zuletzt weitgehend aufgehobene – Sanierung des Gebäudes vorzubereiten. Ausgebuddelt wurden Menschenknochen, Uniformreste, Waffen – die Spuren des Kampfes um Berlin. Auch das „Delphi“ war als Ruine zurückgeblieben, ein ehemaliger Tanzpalast aus den Zwanzigern, den Jonigkeit, seit 1932 im Berliner Kinogeschäft, 1947 zu einem zweiten Leben zu erwecken beschloss.
Mit nachhaltigem Erfolg, aber es gab ja auch einiges zu sehen, nicht allein Filme. Ein prächtiges Haus, die beste Technik, zentimetergenau gleich große Platzanweiserinnen und gleich kleine Pagen, dazu den mit zwei Metern größten Türhüter der Stadt – und damals noch 1169 Sitzplätze. Eine glänzende Kinogeschichte begann, übrigens mit dem Historienschinken „Lord Nelsons letzte Liebe“, beflügelt durch immer neue technische Neuerungen – das „Delphi“ war das Kino für die Kassenknüller, Premierenpalast und 1952 sogar Festspielkino der 2. Berlinale. Ende der Fünfziger hätte Jonigkeit es von den Vorbesitzern sogar kaufen können, doch wegen anderer Projekte winkte er ab – und stand 1972 fast vor dem Aus, als der Mietvertrag auslief und der Bezirk Charlottenburg, mittlerweile Hausherr, sogar an Abriss dachte.
Diese Gefahr konnte abgewendet werden, auch die Kinokrise der Siebziger bewältigte Jonigkeit, mit freilich teilweise recht freizügigem Programm. 1984 kamen Georg Kloster und Claus Boje mit ins Boot, das wieder Kurs auf große Filme mit Kunstanspruch nahm, etwa „Eins, zwei, drei“ von Billy Wilder – 1961, kurz nach dem Mauerbau, ein Flop, nunmehr ein Riesenerfolg, von dem noch immer ein Filmplakat im Treppenhaus kündet: 43 Wochen Spielzeit.
1981 konnte das „Delphi“ wieder auf Dauer an seine Berlinale-Vergangenheit anknüpfen: Es wurde das Kino der Forum-Sektion, nicht gerade ein Ort des Glamours, eher der Entdeckungen, der filmpolitischen und filmästhetischen Diskussionen. Mit der 750-Jahr-Feier kam das Land endlich darauf, dass es sein Kinojuwel neben dem Theater des Westens doch auch ein wenig polieren sollte – ein bisher nur in Ansätzen erfülltes Versprechen.
Das Sterben der Kudamm-Kinos in den Neunzigern, die Abwanderung des Publikums in die Multiplexe – das „Delphi“ hat auch dies überlebt, wohl nicht zuletzt wegen seines gediegen-prachtvollen Ambientes, der unnachahmlichen Aura des Gewachsenen, Traditionellen. Und immerhin, die Caféterrasse vor dem Kino wurde vor einigen Jahren wieder originalgetreu hergerichtet, eine weitgehend von der Industrie- und Handelskammer als „grüne Ausgleichsmaßnahme“ finanzierte Verschönerung. Im Sommer ein hübscher Ort, um einen Kinoabend ausklingen zu lassen.
Delphi Filmpalast, Kantstraße 12a. Das Programm am Jubiläumsdienstag: 19 Uhr „Whatever Works“ von Woody Allen; 21.15 Uhr „Soul Kitchen“ von Fatih Akin. Die Karten kosten 9 Euro, die Einnahmen werden dem Berliner Kinder- und Jugendhospizdienst der Malteser gespendet. Reservierungen/Vorverkauf: Tel. 312 1026.