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Obama in Berlin: Diplomatie ohne Auftrag

Von wegen Shoppen. Das Begleitprogramm bei Staatsbesuchen war einst als Zerstreuung gedacht für die Gemahlinnen. Heute haben die Frauen der Mächtigen selbst Macht. Der Tagesablauf von Michelle Obama wird vom politischen Teil kaum noch zu trennen sein.

Damenprogramm? Es fängt schon mal damit an, dass es diesen Namen gar nicht mehr gibt in der diplomatisch flauschgespülten Weltpolitik. Das Phänomen als solches existiert dagegen durchaus, aber es trägt ein anderes Etikett. „Begleitprogramm“ beispielsweise, oder „Partnerprogramm“, auch „Sonderprogramm“ war schon einmal zu lesen. Diejenigen, die es organisieren oder absichern müssen, reden unter der Hand auch vom „B-Programm“, aber das klingt abfällig und ist damit völlig ungeeignet für den offiziellen Gebrauch.

Die Grundidee entsprang einem alten Rollenbild, dürfte aber zumindest bei ihrer Erfindung einen großen Fortschritt bedeutet haben. Denn sie geht vermutlich zurück auf jene Zeit, als erste kluge Staatenlenker davon abkamen, sich gegenseitig mit dem Schwert in Stücke zu schlagen, und auf Gesprächsdiplomatie setzten. Die Gemahlinnen, damals noch unemanzipiert, langweilten sich und suchten Zerstreuung am Rande des Gipfels – ein Phänomen, das uns noch bis ins späte 20. Jahrhundert in Gestalt des rituellen KaDeWe-Besuchs der Machthaberfrauen verfolgt hat.

Heute sind Frauen selbst Machthaber und bringen sogar manchmal wie Angela Merkel einen „First Man“ zum Staatsbesuch mit. Oder sind als selbstbewusste Partnerinnen zumindest nicht mehr daran interessiert, sich ausgerechnet beim Shoppen zwischen Gucci und Bulgari beobachten zu lassen. Und manchmal, wie jetzt bei Obamas, kommen sogar die Kinder mit und begnügen sich nicht damit, mit den Leuten vom Secret Service Karten zu spielen. Das führte zur Ausdifferenzierung und Politisierung des gesamten Programms, es wurde zu einer wahren Wundertüte mit Tourismus, Geschichte, demonstrativem sozialen Engagement.

Wenn die Ehepartner von Staatsgästen zusammenkommen, ist das heute ohnehin vom politischen Teil kaum noch ganz zu trennen. Zwar geht es nicht um tagesaktuelle Sachfragen wie beispielsweise den gemeinsamen Kampf gegen den Terror, aber es nützt allemal, ein Klima zu schaffen, in dem die Beziehungen zwischen den Ländern gedeihen können. Am Ende des Tages erzählen sich Eheleute natürlich, wie sie die Begegnungen im anderen Land empfunden haben, wie die Stimmung war. Das gilt ganz besonders für Eheleute, die so auf Augenhöhe miteinander umgehen wie Michelle und Barack Obama.

Das war bei Nancy und Ronald Reagan zumindest öffentlich noch ganz anders. Die gelernte Schauspielerin war selbstverständlich dabei, als ihr Mann vor dem Brandenburger Tor „Mr. Gorbatchev, tear down this wall“ rief, und sie schaute ihn natürlich dabei mit dem unvergleichlich anhimmelnd ergebenen Blick an, für den sie bekannt war. Der deutliche Stilwandel kam vermutlich mit Hillary Clinton. Sie war ebenfalls an der Seite ihres Mannes, als der sechs Jahre danach als erster US-Präsident durchs Brandenburger Tor schritt, und vor allem bewunderte man ihr auffällig sonnengelbes Outfit. Aber auch damals war schon klar, dass sie eine Frau mit eigenem politischen Ehrgeiz ist; von einem Damenprogramm wurde nichts bekannt. John F. Kennedy, der berüchtigte Womanizer, kam bei seinem legendären Besuch in Berlin übrigens ohne seine Frau Jackie. Stattdessen erlebte seine Schwester Eunice Shriver die Jubeltour mit.

Das Partnerprogramm ist Diplomatie ohne offiziellen Auftrag, und es ist wichtig, dass es rund läuft. Besondere Attraktionen sind erlaubt, aber nicht notwendig, wenn die Chemie stimmt. Christina Rau, die Frau des Bundespräsidenten Johannes Rau, entschied sich beispielsweise im September 2001, Ludmilla Putina zu einer Bootsfahrt auf der Spree und dem Landwehrkanal einzuladen, einfach, weil sie dachte, das würde der Frau Wladimir Putins am meisten Freude bereiten.

Beim gemeinsamen Lunch erreichte die Konversation eine Ebene, die viel spannender war als die meisten politischen Vertragsverhandlungen. Während draußen das neue Regierungsviertel vorbeizog, ging es im Bauch des Boots um die Unterschiede zwischen der berühmten russischen Seele und ihrem deutschen Pendant, um das Talent zur Freundschaft, und wie man es pflegt.

Christina Rau erlebte selbst auf Auslandsreisen, wie munter es zugehen kann, wenn das Protokoll die eingefahrenen Gleise verlässt: Mal kletterte sie bei hohen Windgeschwindigkeiten über eine gefährliche australische Brücke, mal hängte sie, wie in Madrid, kurzfristig einen Spontanbesuch im Prado an. „Wir haben bei uns nicht die Aufgabenteilung, dass der Mann nur fürs Politische, die Frau nur fürs Soziale zuständig ist“, sagte sie mal in einer Rede vor Diplomatenfrauen. Mit der Bibliothekarin Laura Bush unterhielt sie sich über Jugendprojekte und den Kampf der früheren Grundschullehrerin gegen den Analphabetismus.

In der aktuellen Situation der Bundesrepublik gestalten sich die Dinge etwas komplizierter. Die „First Lebensgefährtin“ Daniela Schadt ist noch dabei, ihre Rolle an der Seite des Bundespräsidenten zu definieren. Joachim Sauer, der Mann der Kanzlerin, hat diese Definition dagegen längst vollzogen. Er hält sich normalerweise aus den Geschäften seiner Frau komplett heraus und spielt nur in ganz großen Ausnahmefällen mit, wenn es darum geht, Gäste zu empfangen und zu unterhalten.

Dann aber stellt er Ansprüche, die über ein unverbindliches Geplänkel zum Tee weit hinausgehen. Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 beispielsweise ließ er die Frauen der Präsidenten mit einem Vortrag des Rostocker Professors James W. Vaupel über die Bedeutung der Bevölkerungsentwicklung in den Industrieländern unterhalten. Ganz zurückhaltender Begleiter war er dagegen bei eher privat gestalteten Besuchen der Kanzlerin bei Tony Blair oder auf der Ranch von George W. Bush.

Am liebsten begleitet der Chemieprofessor die Kanzlerin, wenn es um Musik geht, was ihm mal den Spitznamen „Phantom der Oper“ eingebracht hat. Seine erste Auslandsreise mit der Kanzlerin führte 2006 nach Wien – zum Neujahrskonzert. In Bayreuth sieht man das Ehepaar oft zusammen. Auch zum 50. Geburtstag der EU machte Sauer eine Ausnahme und lud die Frauen der 26 EU-Regierungschefs ins Restaurant des Hotel de Rome, während nebenan die Kanzlerin mit deren Männern beim Arbeitsessen tagte.

Wenn für den Professor das Damenprogramm nunmehr politisch korrekt zum Partnerprogramm umgewandelt wird, dann herrscht sicher ein Ausnahmezustand. Immerhin stellte er sich mit Carla Bruni-Sarkozy und Michelle Obama 2009 während des Nato-Gipfels in Straßburg schon mal zum Gruppenbild auf. Damals hatten sie gemeinsam das Straßburger Münster und ein Krebsforschungsinstitut besucht.

Es ist die erste Visite von Michelle Obama in Berlin, und als das Präsidentenpaar um kurz nach halb neun abends in Tegel aus der Air-Force-One stieg, hatte es auch die beiden Töchter Malia und Sasha dabei. Der Professor soll, so heißt es, den drei Damen am Mittwoch das Holocaust-Mahnmal zeigen, also jenen Ort, der für den Schrecken aus Deutschland steht und von dem Kanzler Gerhard Schröder sich seinerzeit wünschte, es wäre ein Ort, an den man gerne gehe. Nach einem Besuch des Mauer-Panoramas von Yadegar Asisi am Checkpoint Charlie wird Joachim Sauer die First Lady und ihre Kinder durch die Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße führen.

Da wird die Zeit dann schon wieder knapp werden, denn zur Mauer haben Amerikaner immer viele Fragen, schließlich war ihr Fall auch ein Symbol für den Sieg im Kalten Krieg. Und Angela Merkels Karriere steht symbolisch für die Möglichkeiten, die diese Wende ermöglicht hat. Zugelassen sind in der Nähe dieser sehr besonderen Touristengruppe allerdings nur zwei Fotografen und ein TV-Team. Gerade wegen der Kinder, die bereits Schulferien haben, schützt die Familie Obama ihr Privatleben so gut das eben geht.

Zwar lässt sich die First Lady bei manchen Missionen auch von einem größeren Tross begleiten. Aber das ist eher die Ausnahme. Und weil dieser Berlin-Besuch insgesamt so eine große Ausnahme ist, werden auf den Karten fürs abendliche Dinner im Charlottenburger Schloss auch zwei Einladende genannt: „Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Prof. Dr. Joachim Sauer“.

Es gibt ein Foto von einer früheren Begegnung der beiden Ehepaare. Darauf ist die Kanzlerin im rosa Blazer neben Barack Obama zu sehen, der eine taubenblaue Krawatte zum dunklen Anzug trägt. Daneben stehen Michelle Obama im burgunderfarbenen Powerfrauenkleid und Joachim Sauer mit leuchtend roter Alpha-Krawatte. Wer sich auf Farbsymbolik versteht, der erkennt darin ein Signal, dass die Grenzen ins Fließen geraten sind. Das Partnerprogramm hat sich in den letzten Jahrzehnten als politisches Instrument im Hintergrund etabliert – obwohl, oder gerade weil es längst in so vielen verschiedenen Formen existiert.

Elisabeth Binder, Bernd Matthies

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