Interview mit Berlins Integrationssenatorin: Dilek Kolat will "aus Geflüchteten Steuerzahler machen“
Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) über Lehren vom Oranienplatz, Hilfen für Flüchtlinge, den Koalitionstreit um die Ehe für alle und Kopftücher im Dienst.
Frau Kolat, macht das Regieren mit Michael Müller mehr Spaß als mit Klaus Wowereit?
Wir haben nach wie vor ein gutes Arbeitsklima. Der Regierende ist sehr ernst bei den Themen. Die Koalition funktioniert.
Wie bitte? Beim Streit um die Homo-Ehe schien die Zusammenarbeit zwischen SPD und CDU schon fast am Ende.
Wir haben eine Menge abgearbeitet. Aber es gibt auch Differenzen, zum Beispiel bei der Ehe für alle oder bei der Rekommunalisierung. Das ist normal. Wir sind unterschiedliche Parteien. Es ist eben ein Unterschied, ob man mit Empathie und Menschlichkeit Flüchtlingspolitik macht wie die SPD oder ob man das als technische Aufgabe sieht.
Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit Innensenator Frank Henkel?
Wir arbeiten im Tagesgeschäft gut zusammen. Ich vermisse bei ihm manchmal Entscheidungswilligkeit.
Frau Kolat, wie war das für Sie im Bundesrat? Sie sitzen in der Abstimmung über die Ehe für alle und würden gerne die Hand heben, aber hinter Ihnen sitzt Henkel und hebt dann die Hand zum „Nein“.
Es hat geschmerzt. Die sexuelle Vielfalt in Berlin hat internationale Ausstrahlung. Gerade war das Motzstraßenfest, der CSD steht vor der Tür, es hätte uns gut angestanden, ein Ja abzugeben. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie es in der CDU weitergeht. Herr Henkel hat sich nicht getraut, Hauptstadtpartei zu sein und Ja zu sagen. Wenn die Basis weiter ist als er, ist es für ihn problematisch. Und wenn sie Nein sagt, kann sich die CDU ganz als Hauptstadtpartei verabschieden.
Sie haben mit Frank Henkel schon bei der letzten Koalitionskrise keine guten Erfahrungen gemacht: beim Umgang mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz.
Über den Oranienplatz will ich nicht mehr reden, das war eine Sondernummer. Es war damals in Friedrichshain-Kreuzberg eine ziemlich verfahrene Situation, die über Jahre zugelassen wurde und nicht mehr zu ertragen war. Wir haben den Platz friedlich räumen können. Ich kümmere mich jetzt hauptsächlich um die Flüchtlinge, die neu nach Berlin kommen, das werden wohl gut 25.000 dieses Jahr.
Aber man müsste doch daraus lernen.
Aus der Oranienplatz-Debatte habe ich viele politische Forderungen mitgenommen, die wir seitdem umsetzen und die Flüchtlingspolitik mit Integrationspolitik verbinden. Die Residenzpflicht ist quasi abgeschafft. Der Arbeitsmarktzugang ist jetzt nach drei Monaten möglich. Wir in Berlin bieten geflüchteten Menschen jetzt schnell Deutschkurse an. Denn ohne deutsche Sprache ist eine Arbeitsmarktintegration nicht möglich. Ich will aus den Geflüchteten Steuerzahler machen.
Die Deutschkurse laufen zum Sommer aus.
Die Deutschkurse für Geflüchtete sind ein Erfolg. Die Nachfrage ist groß. Die Volkshochschulen waren fleißig und haben das Budget fürs ganze Jahr verplant. Wir sind dabei nachzusteuern. Ab 2016 ist eine Erweiterung vorgesehen.
Man hat das Gefühl, dass zurzeit nur Herr Czaja für die Flüchtlinge zuständig ist und dass es vor allem ein Unterbringungsthema ist. Ist das nicht falsch?
Da läuft gerade alles nicht rund. Die Unterbringungsfrage ist die erste, die sich stellt – und eine besondere Herausforderung. Aber die Menschen sind Kunden der Jobcenter. Sie brauchen Zugang zu den Regelsystemen, haben diesen aber aufgrund der Sprache nicht. Darum haben wir Bildungsberater auf den Weg gebracht, die checken, was einer mitbringt: Hat er Berufserfahrung, einen Berufsabschluss oder ein Studium? Was kann anerkannt werden? Wir machen ein Profiling.
Wie viele erreichen Sie damit?
Es gibt ein Potenzial von 40.000 Geflüchteten. Wir haben ein Netzwerk, da erreichen wir mehr als 3000. Dazu gibt es noch 26 Integrationslotsen, die in den Unterkünften arbeiten. Wir stellen derzeit Bildungsberater ein und planen eine zentrale Anlaufstelle für die Arbeit von Flüchtlingen mit anderen Akteuren in der Stadt. Meine zentrale Andockstelle sind die Deutschkurse, dort sind die Motivierten, die auch die Sprache lernen.
Soll daraus eine Art Arbeitsamt für Flüchtlinge werden?
Es geht erst mal darum, den Zugang zu sichern und die Kompetenzen der Menschen festzustellen. Da gehen die Leute dann auch mal probearbeiten. Und die Firmen haben auch viele Fragen, zum Beispiel wollen sie niemanden illegal beschäftigen, das müssen wir alles klären. Die Unternehmen brauchen Sicherheit und viel Beratung.
Es gibt eine Gruppe von Menschen hier in der Stadt, die kann schon Deutsch und darf auch arbeiten: türkischstämmige Jugendliche. Was tun Sie eigentlich für die?
Ich unterscheide bei denen, die schon länger hier sind, nicht nach türkisch oder nicht, sondern danach, ob sie einfache oder schwierige Startbedingungen haben. Wenn Sie schon nach den türkischen Jugendlichen fragen: Die Schulabschlüsse werden besser, es machen mehr Abitur. Aber auf dem Ausbildungsmarkt werden sie weiter diskriminiert.
Gerade unter Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit in Berlin noch ziemlich hoch.
Nach dem Mauerfall hat sich der Arbeitsmarkt radikal verändert. Aktuell ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen in Berlin stärker gesunken als im Bund. Die Jugendarbeitslosigkeit sinkt auch, aber schwächer. Wir sind eine wachsende Stadt, die Zuwandernden bringen oft ihre Jobs mit. Unser Hauptprojekt gegen Jugendarbeitslosigkeit ist die Gründung der Jugendberufsagentur, die wir mit der Regionaldirektion für Arbeit und den Bezirken aufbauen. Wir wollen, dass beim Übergang von der Schule in den Beruf kein Jugendlicher mehr verloren geht. Wir wollen bei jedem Jugendlichen wissen, was er macht und warum er es vielleicht nicht schafft, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Hat er Sprachprobleme oder andere Hindernisse? Im Oktober werden wir in vier Bezirken an den Start gehen: in Tempelhof-Schöneberg, in Spandau, in Friedrichshain-Kreuzberg und in Marzahn-Hellersdorf. 2016 wollen wir eine zentrale Anlaufstelle in jedem Bezirk haben.
Auch die Verwaltung braucht Nachwuchs.
Deshalb ist es wichtig, mehr auszubilden. Ebenso wichtig ist, dass der öffentliche Dienst gegenüber den Jugendlichen als attraktiver Arbeitgeber auftritt. Da müssen wir bestimmt noch mehr machen.
Und junge Frauen mit Kopftüchern können sich bei Ihnen bewerben – oder müssen sie mit Problemen rechnen wie in Neukölln?
Im Verwaltungsdienst ist das Kopftuch kein Thema. Bei mir im Haus haben wir anonyme Bewerbungsverfahren – als erste Berliner Verwaltung. Da spielt es keine Rolle, wie die Bewerber aussehen, was sie auf dem Kopf tragen, welchen komplizierten Namen sie haben, welches Geschlecht oder wie alt sie sind. Ich bin eine große Anhängerin dieses Verfahrens.
Sind Sie schon einmal im Arbeitsleben diskriminiert worden?
Nein. Zumindest ist es mir nicht in Erinnerung geblieben.