Scheidender Polizeipräsident: Dieter Glietsch, der Ruhestifter
Polizeipräsident Dieter Glietsch geht. Er hinterlässt eine veränderte Behörde und hat sich als politisch über sein Ressort hinaus denkender Polizeichef profiliert.
So kennt man den Polizeipräsidenten nicht. Bloß keine Gefühlsäußerungen, immer sachlich-unterkühlt. Und nun sagt Dieter Glietsch bei der Vorstellung des neuen Sicherheitskonzepts für die U-Bahn: „Man sagt ja, dass man gehen soll, wenn es am schönsten ist. Das hat man mir jetzt ermöglicht.“ Ende Mai geht der Mann, der seit 2002 die größte – und schwierigste – Polizeibehörde in Deutschland führt, in Pension. Es schwingt dabei ein wenig Genugtuung mit, dass er mit 200 zusätzlichen Polizisten von der Politik nach jahrelangem Personalabbau einmal Verstärkung bekommt.
Ganz zum Schluss erhält der gerade 64 Jahre alt gewordene Glietsch gleich mehrfach Gelegenheit für ein wenig Genugtuung – nach dem 1. Mai und bei der Vorlage der polizeilichen Kriminalitätsstatistik. Rund um den 1. Mai war es in Friedrichshain und Kreuzberg friedlich wie selten zuvor. Nach mehr als zwei Jahrzehnten teilweise heftigster Straßenschlachten gibt es erstmals Hoffnung, dass die rituellen Krawalle endlich Geschichte werden. Ausgezahlt hat sich das seit 2002 praktizierte Deeskalationskonzept, an dem er trotz eines heftigen Rückschlags 2009 mit mehreren hundert verletzten Polizisten festhielt – für die friedlich Feiernden die ausgestreckte Hand, gegen Gewalttäter ein schnelles Eingreifen und beweissichere Festnahmen. Selbst die CDU hat dem Polizeipräsidenten, den sie in den vergangenen neun Jahren regelmäßig kritisierte, Anerkennung gezollt.
Ein Selbstdarsteller ist der kleine, leise formulierende Glietsch nicht. Ein demokratischer Ruhestifter will er sein, und markige Sprüche verpönt er; da unterscheidet er sich deutlich von seinem zuweilen ruppig auftretenden Vorgänger Hagen Saberschinsky. Dass ihn kühles, analytisches Argumentieren am stärksten macht, weiß der Mann, der einst als einfacher Streifenpolizist anfing und weder Abitur noch Studium hat. Er ärgerte sich, wenn er unbedacht mit seinen Äußerungen Angriffsfläche bot, ob für die Politik oder die Presse. Etwa, als er 2008 auf dem Höhepunkt der linksextremen Brandattacken gegen Autos den Porsche-Fahrern riet, ihren Wagen lieber nicht in Kreuzberg zu parken. Dabei hatte er nicht die Kapitulation des Rechtsstaats vor linken Gewalttätern im Sinn, sondern wollte nur darauf hinweisen, dass der Schutz wertvollen Eigentums nicht allein der Polizei überlassen werden kann. Es hat ihn ebenso geärgert, dass ihn seine Beamten am 1. Mai 2008 am Lausitzer Platz in Kreuzberg raushauen mussten, weil Autonome mit Stühlen und Flaschen warfen, nachdem sie den Polizeichef in einem Café entdeckt hatten: Unnötige Provokation, vermeidbarer Einsatz.
Es sind die Zahlen, die der im hessischen Willingen geborene Glietsch am liebsten für sich sprechen lässt. Die erfassten Straftaten, so zeigt die Kriminalitätsstatistik 2010, sind auf dem „niedrigsten Stand seit der Wende“ – und seit seinem Amtsantritt 2002 „quer durch alle Deliktbereiche“ um 18,7 Prozent gesunken. Dass trotz der gerade diskutierten brutalen Gewalttaten im öffentlichen Nahverkehr die Rohheitsdelikte in Berlin seit 2002 um 5,5 Prozent zurückgegangenen sind, während sie in derselben Zeit im Bundesgebiet um rund 20 Prozent gestiegen sind? „Einer der Gründe könnte die gute Arbeit von Polizei und Justiz sein“, so seine trockene Erklärung.
Kein Polizeipräsident seit dem legendären Klaus Hübner in den 80er Jahren hat die Polizei so nachhaltig verändert. Glietsch, der 2002 vom rot-roten Senat als Überraschungskandidat präsentiert wurde, hat sich als politisch über sein Ressort hinaus denkender Polizeichef profiliert. Bei der Bekämpfung der Jugendgewalt ist für ihn das bundesweit beachtete Intensivtäterkonzept gegen mehrfach straffällige Heranwachsende ebenso wichtig wie die Präventionsarbeit. Dafür hat Glietsch Beamte in Schulen und Jugendclubs geschickt, um vorbeugend auf Jugendliche einzuwirken. Neben schnellen, notfalls harten Strafen gegen jugendliche Straftäter müsse die Sozialarbeit in der Familie, in Schulen und Jugendeinrichtungen treten, um frühzeitig Fehlentwicklungen zu stoppen, forderte er regelmäßig. Vor allem die reibungsfreie Zusammenarbeit mit dem ähnlich gestrickten Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat dazu beigetragen, dass die Dienstzeit des vormaligen Polizeiinspekteurs im nordrhein-westfälischen Innenministerium auch über die 2008 erreichte Altersgrenze hinaus um drei Jahre verlängert wurde. Selbst Benedikt Lux, der grüne Rechtsexperte, hätte nichts dagegen gehabt, wenn Glietsch jetzt weitergemacht hätte.
Das SPD-Mitglied Glietsch hat die Polizei komplett umstrukturiert, hat eine Direktion ganz abgeschafft und Abschnitte zusammengelegt – als Folge der verordneten Sparmaßnahmen des Senats. Über 24 000 Mitarbeiter hatte die Polizei, als Glietsch 2002 anfing, davon 17 300 Vollzugsbeamte. Jetzt sind von insgesamt 2 1 400 Mitarbeitern rund 16 100 Polizisten. Der „massive Personalabbau“ hat ihm den steten Zorn des Personalrats und den Protest etwa des CDU-Abgeordneten Peter Trapp eingebracht, die ihn wiederholt einen „willfährigen Vollstrecker der Senatsbeschlüsse“ nannten. Personalratsmitglied Detlef Rieffenstahl kritisiert vor allem die noch von Finanzsenator Thilo Sarrazin verfügte Orientierung der Personalzahlen an Hamburg, obwohl Berlin zusätzliche hauptstadtbedingte Aufgaben übernehmen müsse. Glietsch hingegen sieht auch mit derzeit 16 100 Polizisten in Berlin keine Sicherheitslücke.
Er hat der Polizei „neues Selbstbewusstsein gegeben“, sagt ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben möchte – durch die Erfolge am 1. Mai und durch die von ihm beförderte „Fehlerkultur“. Mit seiner konsequenten Transparenzoffensive hat Glietsch die Polizei vom Verdacht befreit, bei Fehlverhalten von Polizisten im Zweifel einen Korpsgeist zu kultivieren. „Das Image hat sich verbessert“, gesteht auch Personalrat Rieffenstahl zu. Immer wieder hat der Polizeipräsident selbst Verfehlungen bekannt gemacht und geahndet. Als behördenintern schwulenfeindliche Sprüche fielen, wurden die Mitarbeiter zum Gespräch einbestellt. Als am 1. Mai 2010 ein Beamter auf einen am Boden liegenden Demonstranten eintrat, wurde sofort ermittelt; inzwischen ist er verurteilt. Glietsch habe sich aber auch bei ungerechtfertigten Anschuldigungen „vor seine Beamten gestellt“, sagt Rieffenstahl.
Beharrlich gegen immer noch heftigen internen Widerstand hat Glietsch auch durchgesetzt, dass Polizisten in Berlin bald ein Namens- oder Nummernschild tragen. „In einer modernen und bürgernahen Polizei sind Namensschilder eine selbstverständliche Geste“, argumentierte der Polizeichef. Zuvor hatten Beamte sich im September 2009 bei der Aufklärung einer Prügelattacke gegen Teilnehmer einer Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung hinter der Anonymität der Uniform verschanzt.
Auch dies hat dazu beigetragen, dass Glietsch bei etlichen seiner Mitarbeiter nicht sonderlich beliebt ist. Vertrauen, so sagen einige, war nicht seine Stärke: Der als Arbeitstier und sein oberster Sachbearbeiter geltende Chef ist als „Kontrollfreak“ verschrien, der am liebsten jeden Vorgang auf seinen Schreibtisch holt. „Wenn man ihn mit Argumenten aber überzeugt hat, dann wackelt er auch nicht und steht dazu“, sagt aber selbst der Personalrat Rieffenstahl. Mancher hält Glietsch auch zugute, dass er durch seine Umstrukturierungen den vormaligen „West-Berliner Führungsklüngel aufgebrochen hat“.
Bloß kein Gewese machen um seine Person, das hat er vielen Mitarbeitern vermittelt; das hat ihm Respekt eingebracht. Am Dienstag will voraussichtlich der Senat seinen Nachfolger bekannt geben. Von den Spekulationen um die Kandidaten hat Glietsch sich ferngehalten; mit Sorge wird er aber beobachten, dass Bewerber Klaus Keese mit Klage droht, falls er gegen den angeblichen Favoriten Udo Hansen unterliegt. Möglicherweise muss deshalb ab 1. Juni die Vizepräsidentin Margarete Koppers die Behörde übergangsweise leiten.
Aktentasche packen und still durch den Hinterausgang verschwinden, so stelle er sich wahrscheinlich seinen letzten Arbeitstag Ende Mai vor, mutmaßt ein enger Mitarbeiter. Mit seiner Frau will Glietsch dann zurück nach Nordrhein-Westfalen ziehen, in ihr dortiges Haus. Den 1. Mai in Kreuzberg wird er nicht vermissen.
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