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Partner der Polizei: Michael Müller im Gespräch mit Personalvermittlern.
© Kai-Uwe Heinrich

Creative Bureaucracy: Dienstleister für die Stadt

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller will die Probleme Berlins nicht schönreden – und hält die Verwaltung dennoch für einen Schatz.

Diesmal kommt er zu Fuß, die Karl-Liebknechtstraße entlang, am Schlossplatz vorbei, über Unter die Linden. Die Sonne scheint an diesem Freitag, Händeschütteln am Portal zum Hauptgebäude der Humboldt Universität. „Ich bin zehn Minuten gelaufen. Das war ein schöner Spaziergang vom Roten Rathaus hierher“, sagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) gut gelaunt. „Da sieht man mal wieder alle Baustellen und alles was neu ist.“

Müller geht die Treppen hinauf in den Senatssaal. Zwei Tage geht es hier um Verwaltung. Trockenes Thema, oder? Und das ausgerechnet in Berlin, wo Eltern wochenlang auf eine Geburtsurkunde warten müssen, kein schneller Termin bei der KfZ-Zulassung zu bekommen ist. In der Stadt, der gern das Label „Failed City“ angehängt wird. Vielleicht genau deshalb berichtet der Tagesspiegel nicht nur über Probleme in der Verwaltung, über Missstände, sondern veranstaltet nun das zweitägige „Creativ Bureaucracy Festival“ mit Gästen aus aller Welt, mit Experten, mit mehr als einhundert Stunden Programm. Selten bekommt der öffentliche Dienst so viel Aufmerksamkeit, bemerkt Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner.

Der Ort ist mit Bedacht gewählt für diese Konferenz, die sich mit den Herausforderungen für Verwaltung beschäftigt, mit einer Verwaltung die sich aufstellen muss für die Zukunft. Auch die Humboldt Universität sei ein Produkt der preußischen Verwaltungsreformen zu Beginn des 19. Jahrhundert, wie Martin Eifert, Dekan der Juristischen Fakultät bemerkt. Reformen, als Reaktion auf eine tiefe Krise. Was zählt: Wertschätzung für die Mitarbeiter, „people matter“.

Auch da hatte Berlin einige Jahre Probleme, nach Sparrunden, Personalmangel, mit Bezügen für die Mitarbeiter, die niedriger sind als in anderen Bundesländern. Deshalb nun Auftritt Müller. Er eröffnet das Festival mit einem Bewerbungsgespräch. Nein, nicht der Regierende bewirbt sich. Sondern er bewirbt Berlin als Arbeitgeber im öffentlichen Sektor, bei der Polizei, in der Justiz, in den Bildung, als Lehrer oder Erzieher, als Informatiker oder Verwaltungsbediensteter. Aber dazu später.

Müller lässt es ironisch angehen. Denke man an die Berliner Verwaltung, dann an dies: Kreativität, Innovation, Lebensfreude pur. Natürlich nicht. Die Verwaltung gilt doch eher als verstaubt, langweilig – als Paradebeispiels eines „failed state“. Müller will die Probleme nicht schönreden, das nähme ihm auch niemand ab. Müller nimmt die internationale Perspektive ein, macht denVergleich zu anderen Metropolen in der Welt auf. Er kennt sich da aus, sitzt in mehreren Städtenetzwerken. „Nichts von dem, was wir in Berlin diskutieren, ist irgendwie einmalig“, sagt der SPD-Politiker. Die Themen seien überall dieselben: Wachstum, Mobilität, Gesundheit, Ausbildung, Digitalisierung, erneuerbare Energien. Der einzige Unterschied zu Berlin: Hier werde alles sehr aufgeregt diskutiert. Müllers Wunsch: Gemeinsame Wege aus der aktuellen Lage finden, gemeinsam Probleme lösen – und nicht nur Schuldige suchen. Wobei Müller Letzteres durchaus legitim findet, anlegen will er sich da nicht mit der Presse, deren Aufgabe schließlich ist, Missstände aufzuzeigen. Geschenkt.

Mit der Zuverlässigkeit hapert es zuweilen in Berlin

Der Blick auf die Berliner Verwaltung hat auch viel mit deren Selbstbild zu tun. Müller erzählt eine Anekdote. Vor einigen Wochen habe sein Staatssekretär Frank Nägele, der allein dafür zuständig ist, die Modernisierung der Verwaltung und der Infrastruktur voranzutreiben, ein Interview gegeben. Die Überschrift zitierte Nägele: „Ich bin gern Bürokrat.“ Hoppla! Bürokraten gelten als kleinlich, pedantisch, unflexibel als eingezwängt in Regeln. Bürokrat – klingt nicht gut. So hätten auch die Mitarbeiter in der Verwaltung reagiert, sagt Müller. Entsetzt, O-Ton: „Das geht ja gar nicht.“ Der Regierende Bürgermeister übersetzt jetzt, was Nägele meint: Er sei gern Dienstleister für die Stadt.

Tatsächlich wird zuweilen in Deutschland gern der Wert von Verwaltung, so spröde sie zuweilen sein mag, unterschätzt. Dabei bedeutet sie doch viel, für das, was man Rechtsstaat nennt. Müller spricht von einem Schatz, weil im Gegensatz zu anderen Ländern die Verwaltung eben nicht mit jedem Regierungswechsel ausgetauscht wird, weil Kompetenz und Wissen erhalten bleiben. Das sei keine Selbstverständlichkeit. Es geh um Sicherheit und Vertrauen, dass die Verwaltung neutral und unabhängig von Regierungswechseln, ohne direkte politische Einflussnahme und ohne Rücksicht auf den sozialen Status der Bürger arbeite. Und das zuverlässig.

Mit der Zuverlässigkeit hapert es zuweilen in Berlin. Müller unternimmt eine Zeitreise: Wie vor 28 Jahren, als Berlin wieder eine einzige Stadt wurde und mit ihr auch die Infrastruktur, das Verkehrswesen vereinigt wurden, ebenso zwei Verwaltungen mit je 100000 Beschäftigten im Ost- und im Westteil. Dann die Sparjahre, die Kürzungsorgien, weil es nicht mehr weiter ging, „weil wir es mussten“. Und nun die Erkenntnis, das umgesteuert werden muss. Denn Berlin wächst. Seit sieben Jahren wächst die Stadt um 40000 Einwohner. Das hat Folgen – im Verkehr, auf den Straßen, bei den Bahnen, in Kindertagesstätten und Schulen. 3000 Kitaplätze fehlen, die betroffenen Familie „wissen nicht ein noch aus“. Müller sagt: „Das ist keine lustige Situation.“ Nach Jahren des Sparens sei er genauso genervt wie viele Berlinern. „Aber ich muss akzeptieren, dass wir einen Weg brauchen werden, um das aufzuholen.“ Dann die Jahre 2015 und 2016, als 100 000 Flüchtlinge nach Berlin kommen. „Es gab Phasen, da habe ich mich geschämt, da haben wir uns nicht mit Ruhm bekleckert“, sagt Müller. Und doch habe es die Verwaltung gemeistert – neben dem Tagesgeschäft.

Um das alles zu meistern, braucht Berlin neues Personal, 7000 neue Mitarbeiter pro Jahr stellt Berlin ein. Die Konkurrenz ist groß, Berlin konkurriert mit dem Bund, mit Unternehmen, anderen Bundesländern. „Wir wollen Menschen für Verwaltung begeistern, wollen zeige, dass wir sie brauchen für diese Stadt“, sagt Müller. Klar, bei der Entlohnung zieht Berlin jetzt nach und stockt auf. Aber der Bürgermeister bleibt ehrlich: „Wer nur auf das Gehalt schaut, ist bei uns nicht am besten aufgehoben.“ 140 verschiedene Beruf gibt es im öffentlichen Dienst der Stadt, 80 sind es in der Verwaltung. Müllers Angebot: Arbeitsplatzsicherheit, Perspektiven, Weiterbildung, Gesundheitsmanagement.

Das größte Pfund aber ist für Müller etwas anderes: Berlin habe etwas zu bieten. „Die Leute sind von dieser Stadt, von diesem Klima der Internationalität, Diversität und Weltoffenheit begeistert.“ Jede Woche meldeten sich Wissenschafter, die es nach Berlin zieht. Dieser Ruf ist für Müller ein harter Standortfaktor. „Es kann nichts Schöneres geben als für diese Stadt zu arbeiten.“

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