Keine Aussicht auf Übernahme: Die Zukunftsängste der Auszubildenden in der Hotel- und Gastrobranche
Der zweite Lockdown trifft die Hotel- und Gastrobranche hart. Küchen bleiben kalt und Betten aufgeschlagen. Wie bereiten sich Lehrlinge auf die Abschlüsse vor?
Mayvis Pavel ist im Stress. Sie hat noch 40 Minuten Zeit, dann muss die Vorspeise gehen. Es gibt eine Bachsaiblings-Zander-Terrine. Zwei Portionen soll sie anrichten, für das Team an der Spüle. Danach folgen Hauptspeise und Dessert. Josef Eder läuft um sie herum, deutet ihr den Kürbis, den sie gerade schneidet, anders zu halten. Eine Kochnische weiter weist er einen Lehrling an, die Wasserflecken auf der Edelstahl-Arbeitsfläche wegzuwischen.
In der Küche der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin in der Fasanenstraße in Charlottenburg wird eine Abschlussprüfung simuliert: Vier Koch-Azubis haben vier Stunden Zeit, ein drei Gänge Menü zu kochen. Alle bekommen dafür einen Warenkorb, aus dem sie jede Zutat verarbeiten müssen, wie, das ist ihnen überlassen. Dabei sind Lammrücken, Karotten, Garnelen und Bohnen. „Das sind richtige Prüfungsbedingungen“, sagt Eder. Insgesamt 120 Lehrlinge durchlaufen in diesen Wochen bei ihm einen viertägigen Crashkurs.
Pavels Abschlussprüfung ist für den 13. Januar angesetzt. Ein schlechter Zeitpunkt: Die 21-Jährige war seit zwei Monaten nicht mehr in der Küche ihres Ausbildungshotels in der Friedrichstraße. Sie kocht alleine zuhause, lässt sich von Freunden Kniffe beibringen, schaut Videos im Internet. „Defizite sind in diesem Jahr auf jeden Fall spürbar“, sagt Eder und erklärt das so: Laut Ausbildungsplan legen viele Kochlehrlinge erst im dritten Jahr richtig am Herd los. Davor putzen sie, schnippeln, bereiten Frühstück. Doch wegen des ersten und zweiten Lockdowns und der enormen Auswirkungen auf die Gastronomie erleben die meisten seit Monaten einen Betrieb im Ausnahmezustand.
Die Agentur für Arbeit hat keine Zahlen darüber, wie viele Lehrlinge in einzelnen Berufsgruppen in Kurzarbeit sind. Claudia Engfeld von der IHK erklärt, dass Betriebe Auszubildende erst nach sechs Wochen in Kurzarbeit schicken dürfen. Diese Frist ist bei vielen Hotels und Restaurants lange überschritten. Seit Anfang November dürfen keine Gäste mehr empfangen werden und auch in den Monaten davor lief das Geschäft für viele mau.
Die IHK habe reagiert, sagt Engfeld, das Programm sei schnell und unkompliziert realisiert worden. Auch nach Beginn des härteren Lockdowns wird weitergekocht. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales steuert Geld bei, etwa für die teuren Warenkörbe. „Das Programm ist wirklich eine tolle Sache, viele Auszubildende fühlen sich danach viel besser“, sagt Eder.
Mayvis Pavel weiß allerdings schon jetzt, dass ihr Ausbildungsbetrieb sie nicht übernehmen kann. „Alle Facharbeiter sind in Kurzarbeit und es gibt einen Einstellungsstopp.“ Sie mache sich große Sorgen, wie es ab Januar für sie weitergehen soll. Silke Richter, Ausbildungsberaterin bei der IHK, beschwichtigt: „Das ist immer noch ein Mangelberuf.“ Mittelfristig hätten die ausgebildeten Köchinnen und Köche gute Berufsaussichten.
Azubi-Verträge sind kaum kündbar, es sei denn, der Betrieb muss Insolvenz anmelden. Elf Ausbildungsverträge sind laut der Kammer bislang coronabedingt in den Wirtschaftszweigen Beherbergung und Gastronomie gekündigt worden.
Eine Auszubildende, die die Pleite ihres Betriebs miterlebt hat, ist Patricia Günzl. Im September musste das Hotel Upstalsboom in Friedrichshain schließen. Doch Günzl hat etwas gefunden, sie lernt jetzt beim Bildungsträger Inap. Im Abacus Tierpark Hotel kann sie nun den praktischen Teil ihrer betrieblichen Ausbildung absolvieren.
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Das Vier-Sterne-Hotel in Lichtenberg wirkt wie ausgestorben. In der Lobby wurden die Sitzbänke auseinandergeschoben, ein Staubsaugergeräusch ist zu hören, Günzl steht hinter der Rezeption und schaut auf einen Computer. Diese Ruhe sei gut, so könne sie alles ganz genau lernen, sagt die 34-Jährige. Und lacht dann. „Nur wird eben vieles in der Theorie gelernt und kommt praktisch gerade nicht viel zum Einsatz.“
Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Abacus Hotel seien in Kurzarbeit. Das Personal, das die Auszubildenden im Hotel anleitet, werde von der Inap als Bildungsträger bezahlt, erklärt Marcus Striek, der das Projekt koordiniert. Derzeit seien 18 Azubis aus Hotellerie und Gastronomie hier untergekommen. Im nächsten Jahr soll es einen weiteren Standort geben.
Nach dem Ende der Ausbildung folgt die Jobsuche
Die Bewerbungen, die Striek erhält, decken sich derzeit noch ungefähr mit den zur Verfügung stehenden Plätzen. Unter den Teilnehmenden sind auch junge Erwachsene, die coronabedingt die Ausbildung gar nicht erst in ihrem zugesagten Betrieb antreten konnten. „Sobald es die Lage zulässt, sollen die Auszubildenden in reguläre Ausbildungsbetriebe zurückkehren”, sagt Striek. Nur für Auszubildende wie Günzl gibt es kein Zurück. Damit auch keine Aussicht auf Übernahme. Sie muss sich nach dem Ende ihrer Ausbildung auf Jobsuche begeben, ebenso wie Mayvis Pavel.
„Erstmal bin ich aber froh, hier was gefunden zu haben”, sagt Günzl. Die kommenden Tage hat das Hotel geschlossen, über Weihnachten und Neujahr sind Betriebsferien. Ab dem 10. Januar kann man online für 58,00 Euro die Nacht wieder ein Zimmer buchen. Vielleicht steht dann Patricia Günzl an der Rezeption.