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Achtung, Grün-Zug. Das frühere Bahngelände überrascht den Besucher mit immer neuen Blickwinkeln. Und der Eintritt kostet nur einen Euro.
© Kitty Kleist-Heinrich

Schöneberger Südgelände: Die Wildnis erobert ein Stück Berlin zurück

Was macht die Natur mit der Stadt, wenn man sie lässt? Seit 15 Jahren kann man das auf dem Schöneberger Südgelände bestaunen. Zu verdanken ist das Bürgerinitiativen, Künstlern – und den Mitarbeitern des geheimnisvollen Parks.

„Ich sage nur Bescheid, wenn was von uns angepflanzt worden ist“, kündigt Rita Suhrhoff zu Beginn der Runde durch ihren Park an. „Wenn Sie nichts von mir hören, ist das Natur.“ Sie erzählt dann ganz viel auf der Tour durchs Schöneberger Südgelände – nicht über die Gewächse, sondern weil es so viel zu erzählen gibt. Aber es könnte einem zugleich die Sprache verschlagen an diesem Ort, der auf dem Stadtplan in Form einer grünen Nacktschnecke zwischen den Trassen von S-Bahn und Fernbahn klebt, die vom Südkreuz bis zum Prellerweg reicht: zwei Kilometer lang, kaum 100 Meter breit. 70 Jahre lang, von den 1880ern bis 1952, war hier ein riesiger Güterbahnhof. Fast ebenso viel Zeit ist seit der Stilllegung vergangen.

In der sind links und rechts der Wege entlang der alten Gleise allerlei Wunder geschehen. Und wer will, kann täglich neue entdecken. Seit genau 15 Jahren ist das möglich, denn seitdem ist der „Naturpark Südgelände“ – ein Projekt der Expo 2000 – offiziell geöffnet. Am Freitag haben die Beteiligten gefeiert: Die Parkmanagerin mit ihren drei Mitarbeitern, die Chefs der Betreibergesellschaft Grün Berlin und der Allianz Umweltstiftung als regelmäßiger Finanzier sowie ein paar jener Menschen, die diese Wildnis erschlossen und dabei trotzdem als Wildnis bewahrt haben.

Rita Suhrhoff schwärmt von der umwerfenden Akustik der 4000 Quadratmeter riesigen Lokhalle, die sie mit chronisch knappem Budget gegen den Zahn der Zeit verteidigt und in der Ende Juni die Carmina Burana aufgeführt werden – mit Gänsehautgarantie. Gleichzeitig bleibt man hinter ebendieser Lokhalle stehen und betrachtet ehrfürchtig das Dickicht, das unten mit Moos beginnt und über Wildrosensträuchern und Holunder im Rauschen hoher Birken endet. All das gedeiht auf dem noch immer vorhandenen Betonfundament einer weiteren, vor Jahrzehnten abgerissenen Lokhalle.

Ahornbäume und Herkules

Nebenan reckt sich aus einer vermodernden Gleisschwelle ein stattlicher Ahornbaum. Irgendwann muss hier ein Samenkorn gelandet und in eine feuchte Ritze im Holz gerutscht sein. Ein paar herangewehte Blätter lieferten Humus und Nährstoffe nach, und nun steht der Baum auf der Schwelle. Ein paar Meter weiter ist eine Schraube am Gleis so dünn gerostet, dass sie sich unter der Last der Mutter biegt. „Das war nicht Herkules“, scherzt die Parkmanagerin. Wer wissen will, wie unsere Welt bald aussähe, wenn wir sie heute verließen, erfährt es hier.

Während man so über den Eroberungsdrang der Natur staunt, schimmert eine stählerne Wasserpumpe aus Dampflokzeiten durchs Geäst, kommt ein rostiger Weichenstellhebel in den Blick, dann eine leibhaftige Lok. Und immer wieder erscheint der mehr als 50 Meter hohe Wasserturm im Blick, dessen rostige Stelzen unter der Last des Stahlkugelbehälters zu ächzen scheinen. Bloß gut, dass in der Lokhalle die Bildhauergruppe Odious ihr Domizil hat, die durchgerostete Stellen immer wieder schweißt und auch sonst die Möblierung dieser Wildnis übernommen hat: Dazu gehören die Gitterrostwege, die auf Rollen liegen und quasi aus sich selbst heraus durch das Naturschutzgebiet gewachsen sind, ohne dessen von einer Unzahl seltener Insekten, Käfern und Pilzen besiedelten Boden zu zerstören.

Ein Riesensofa mit steinernem Kuschelkissen

Aber auch die immerblauen stählernen „Lavendelbeete“, die stählernen Zypressen und das Riesensofa mit steinernem Kuschelkissen im „Giardino segreto“ stammen von den Künstlern. Der „geheime Garten“ ist ein ummauerter, betont aufgeräumter Fleck im rauschenden Dickicht, wie es ihn in der Renaissance gab. Allerdings nicht hier, wo Suhrhoff erst mal Müll und Autowracks abfahren lassen musste. So konnte auch diese neu gewonnene Fläche aus sich selbst heraus wachsen – wie fast alles hier: Kleine Kunstprojekte wurden dank ihrer Beliebtheit größer, zufällige Entdeckungen von Musik- und Theaterleuten wie der Shakespeare-Company entwickelten sich zu ganzen Sommerprogrammen, die naturkundlichen Führungen sind eine feste Größe, die ebenso heiteren wie fundierten Vorträge von „Fräulein Brehms Tierleben“ sind sowieso der Renner, das Café in der früheren Brückenmeisterei hat gerade seine Öffnungszeiten verlängern können.

Der Park hat sein Leben noch vor sich

An seinem 15. Geburtstag sei der Naturpark Südgelände wie ein Jugendlicher, der das Leben noch vor sich hat, resümiert die Parkmanagerin angesichts dessen, was sich hier entwickelt. Als Erziehungsberechtigte mit naturkundlicher Ausbildung hat sie sich zusätzlich in Eventmanagement fortbilden lassen. Sie findet das angebracht an diesem Ort, der nur vier S-Bahn-Stationen vom Potsdamer Platz entfernt ist und Industriekultur und Natur auf einmalige Art vereint.

Die Launen der Geschichte haben den Güterbahnhof zur Wildnis werden lassen, das Engagement kluger Bürgerinitiativen hat die Wildnis in den 1980ern vor der erneuten Umwandlung in einen Güterbahnhof bewahrt. Jetzt steht sie unter so strengem Schutz, dass ihr nichts mehr passieren kann. Und Rita Suhrhoff versucht, Reklame zu machen, damit mehr als die bisher gut 50 000 Besucher im Jahr herkommen. Sie will neue gewinnen, denn sie weiß: Wer einmal hier war, kommt immer wieder.

Naturpark Südgelände: Haupteingang über S-Bahnhof Priesterweg, Eintritt 1 Euro (Automat; bis 14 Jahre frei), tgl. 9 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit. Extraprogramm zum langen Tag der Stadtnatur (20./21. Juni). Informationen im Netz unter www.suedgelaende.de

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