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Bundeskanzleramt: Die Trutzburg im Regierungsviertel

Vor zehn Jahren wurde das Bundeskanzleramt im Regierungsviertel eingeweiht. Die geplante Einbindung des Gebäudes in das Stadtbild wurde Sicherheitsbedenken geopfert. Daher wirkt das Gebäude auch heute noch seltsam isoliert.

Mit den Namen dreier Regierungschefs ist das neue Kanzleramt verbunden: Helmut Kohl, der den Entwurf des Architekten Axel Schultes unter den beiden Gewinnern des Wettbewerbs zur Ausführung bestimmte; Gerhard Schröder, der es als Erster nutzte und ihm seine künstlerische Note gab; und Angela Merkel, die im nunmehr sechsten Jahr von hier aus regiert. Heute vor zehn Jahren wurde das Kanzleramt in Berlin eingeweiht. Schröder nahm seine Arbeit in der siebten Etage auf.

Für den Souverän, das deutsche Volk wie für Touristen aus dem Ausland ist das Erscheinungsbild eher abweisend. Das Kanzleramt ist eine wohlabgeschirmte Festung, von stählernen Zaunstangen umgeben, von der Bundespolizei gesichert. Die Anforderungen der Sicherheitsprofis unter anderem aus dem Bundeskriminalamt haben bewirkt, dass die vom Architekten vorgesehene Einbindung des allein schon wenig zugänglich wirkenden Gebäudes in die Umgebung des Spreebogens unterblieben ist. Die Willy-Brandt-Straße, linkerhand von der Stirnseite des Amtes aus gesehen, wurde nie für den Verkehr freigegeben, und wer dort am Zaun entlangläuft, erregt sofort die gespannte Aufmerksamkeit der Wachleute. Rechts schließt sich die gut gesicherte Pforte an, verläuft der Zaun bis zur Spree als natürlicher Barriere. Der Kanzleramtspark, über die Spree hinweg durch eine schmale Brücke zu erreichen, bleibt ein selten, beinahe nie genutztes Stück Garten, mehr ein Überrest des gleichfalls von Schultes’ Zeichentisch stammenden städtebaulichen Generalplans „Band des Bundes“.

Dieses „Band“ führt vom Kanzleramt hinüber zum Paul-Löbe-Haus mit Büros und Sitzungssälen des Bundestages bis erneut hinweg über die Spree. Zwischen Kanzleramt und Bundestagsgebäude erstreckt sich eine Freifläche, der Schultes mit einem „Bürgerforum“ Leben geben wollte, einem Versammlungshaus fürs Volk. Das war, wie sich im nüchternen Politikbetrieb sehr schnell erwies, nichts als ein frommer Wunsch. Von diesem Bürgerforum spricht niemand mehr, obgleich ausgerechnet Kohl, damals bereits außer Diensten, noch 2001 ein „Bundesforum“ angemahnt und den „fehlenden städtebaulichen Zusammenhang“ gerügt hatte. Gerade Kohl war stets unterstellt worden, Schultes’ Idee eines Versammlungshauses torpediert zu haben.

Über das dafür vorgesehene Grundstück führt nach wie vor das Reststück der einstigen „Entlastungsstraße“. Statt, wie ursprünglich vorgesehen, unmittelbar vor der Rasenfläche am zeremoniellen Haupteingang des Gebäudes vorbei wird der Autoverkehr zum Slalom um die Schweizerische Botschaft herumgeleitet. So gehört der Blick auf den protokollarischen Rasen und die „Berlin“-Skulptur des Spaniers Eduardo Chillida allein den Fußgängern und Radfahrern, wobei sich Touristen sehr gerne an den Stäben des Sicherheitszaunes ablichten lassen.

Bewegte Bilder sind nicht zu gewinnen. Das Kanzleramt liegt nicht an einer belebten Stadtstraße wie einst das Kanzleramt der Weimarer Republik in der Wilhelmstraße, bevor Hitler in den Speer-Bau entlang der Voßstraße umzog. Von der „Zentrale der Macht“ der vereinten Bundesrepublik, als die das Kanzleramt von Anfang an begriffen wurde, ist von außen wenig zu erkennen. Allenfalls bei Dunkelheit, wenn einzelne Fenster im erhöhten Kopfbau, dem eigentlichen Mittelpunkt der Bundespolitik, erleuchtet sind, ist der 24-Stunden-Betrieb der Exekutive zu erahnen. Natürlich gibt es keinen Balkon, auf dem sich die Kanzlerin ihrem Wahlvolk präsentieren könnte. Wer es weiß, wird das Arbeitszimmer auf der linken Gebäudeseite innerhalb der gerundeten Wandöffnung suchen. Rechts, zur Spree hin, sitzt Kanzleramtschef Ronald Pofalla mit seinen engsten Mitarbeitern, dort brennt gewöhnlich das Licht länger als irgendwo sonst im Haus. Bernhard Schulz

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