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Eine Querdenken-Demo in Berlin.
© Fabian Sommer/dpa

„Holt euch eine Prepaid-Karte für euer Handy!“: Die Tricks der Querdenker – und wie die Berliner Polizei auf sie reagiert

Erneut will die Querdenken-Bewegung am Wochenende in Berlin demonstrieren. Die Teilnehmer wollen trotz Verboten kommen und agieren immer professioneller.

Die Bilder vom 29. August 2020 gingen um die Welt. Hunderte Reichsbürger, Rechtsextremisten und Corona-Rebellen nutzten in den Abendstunden des Spätsommer-Sonnabends eine folgenreiche Sicherheitslücke, stürmten die Stufen des deutschen Parlamentes und schwenkten die Flagge des Deutschen Kaiserreichs.

Zehntausende Sympathisanten der Querdenken-Bewegung waren an diesem Wochenende in die Hauptstadt gereist, unter ihnen Fußball-Hooligans, Vertreter rechtsextremer Kleinstparteien und szenebekannte Akteure der Neuen Rechten, um sich zur zweiten Berliner Großdemo gegen die damals geltenden Corona-Beschränkungen zu versammeln.

Immer wieder kam es im Laufe des Tages zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern der Demonstrationen und der Polizei. Am Nachmittag vor der russischen Botschaft Unter den Linden, am Abend dann vor dem Bundestagsgebäude, als heraneilende Hundertschaften die siegesgewisse Menge von den Treppen zum Eingangsportal räumte. 

Am Wochenende jährt sich das unrühmliche Ereignis zum ersten Mal und erneut mobilisieren Querdenker und ihre Unterstützer in die deutsche Hauptstadt. Dutzende Veranstaltungen und Demonstrationen, die dem Spektrum zuzuordnen sind, sollen von Freitag bis Sonntag in verschiedenen Berliner Stadtteilen stattfinden.

Der Freitag steht vor allem im Zeichen zahlreicher Autokorsos, am Sonnabend und Sonntag sollte ursprünglich mit mehreren tausend angemeldeten Teilnehmern im Regierungsviertel demonstriert werden. Mittlerweile hat die Berliner Polizei nach Informationen des Tagesspiegels mindestens sieben dieser Aufzüge und Kundgebungen verboten. Es ist zu erwarten, dass weitere Verbotsverfügungen bis zum Wochenende hinzukommen.

Immer wieder Ersatzveranstaltungen angemeldet

Laut Polizeisprecherin Anja Dierschke haben die Erfahrungen vergangener Monate gezeigt, dass immer wieder neue Ersatzveranstaltungen von Querdenkern angemeldet werden, um die Verbote zu umgehen. Auch diese werden jedoch sorgfältig geprüft und unter Umständen mit der Begründung des Infektionsschutzes verboten werden, so Dierschke. 

Zuletzt waren am 1. August zahlreiche, vor allem von außerhalb angereiste Demonstranten der Bewegung, bei diversen, nicht genehmigten Aufzügen durch die Stadtteile Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg gezogen. Dabei kam es an unterschiedlichen Stellen zu Angriffen auf Polizeibeamte und Pressevertreter. Gleichzeitig beklagten Querdenker im Nachhinein “übertriebene Polizeigewalt”.

Trotz der unübersichtlichen Versammlungslage Anfang August und der Herausforderung für die Polizei, nicht überall gleichzeitig präsent sein zu können, hält Sprecherin Dierschke ein generelles Verbot für das effektivste Mittel: “Es ist zwar aufwendig, keine Frage, aber die einzig sinnvolle Variante. Das hat der 1. August gezeigt”, sagte sie dem Tagesspiegel.

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Kleinere Gruppen an Demonstranten seien einfacher aufzulösen, als tausende Menschen auf einem Fleck, auch unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes sei eine Verbotsverfügung der einzige richtige Weg, so Dierschke. 

Unterstützung erhält die Berliner Polizei auch aus anderen Bundesländern. Wie viele Beamte insgesamt eingesetzt werden, sei aber noch unklar, da die Einsatzplanung noch nicht abgeschlossen sei, teilte die Pressestelle mit. Besonderer Fokus liegt auf der Sicherung des Regierungsviertels und dem Schutz von Pressevertretern, für die flexibel und situationsbedingt Medienschutzbereiche eingerichtet werden können.

Hier sollen sogenannte Akkreditierungsbeamte von Polizei-Hundertschaften dafür sorgen, dass nur berechtigte Personen Zutritt zu den Bereichen bekommen. Bei vorausgehenden Versammlungen der Querdenker war eine Vielzahl von szenenahen Streamern und YouTubern aufgefallen, die meist nicht im Besitz von Presseausweisen sind und regelmäßig vom Journalismus in den Aktivismus wechseln. 

Viele Querdenker wollen sich nicht an Verbote halten

Währenddessen lässt sich der Großteil der anreisenden Demonstranten wohl nicht von den ausgesprochen Verboten beeindrucken. Wie schon am 1. August wird weiterhin nach Berlin mobilisiert. Ein Blick auf den Telegram-Kanal des Querdenken-Anwalts Ralf Ludwig lässt eine intensive Vorbereitung vieler Demonstranten auf das Wochenende vermuten und spricht für eine gesteigerte Professionalisierung der Szene.

So rät Ludwig seinen Anhängern, sich die App von E-Scooter-Anbietern herunterzuladen, um in Berlin mobil zu bleiben. Außerdem wird den Protestierenden eine Prepaid-Karte für das Handy nahelegt, sollten Beamte die Smartphones von Demonstranten konfiszieren.

Sogar zum Tragen von Masken wird unterschwellig aufgefordert: “Nehmt FFP2-Masken oder medizinische Masken mit. Manchmal ist es besser unerkannt zu sein.” Offenbar bereitet man sich erneut auf unangemeldete, spontane Demonstrationszüge und damit auch auf eine Konfrontation mit der Polizei vor. “Lauft ihr mit wenigen Menschen auf eine Polizeisperre zu, sofort in alle Richtungen verstreuen und über Briar-App wiederfinden”, empfiehlt der Rechtsanwalt.

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Die Android-App gilt als sicherer Messengerdienst, der sich automatisch mit Nutzern in der Nähe verbindet. Bereits bei vergangenen Protesten der Bewegung fiel eine stetige Professionalisierung der Koordination und Kommunikation auf.

Der bayerische Querdenker Korbinian S. lenkte zuletzt am 1. August via Headset und Walkie Talkie gemeinsam mit Mitstreitern einen illegalen Protest-Aufzug über Stunden und ohne polizeiliche Begleitung durch Schöneberg und Kreuzberg. S. war bereits bei einer “Querdenken”-Demo in Kassel und am Pfingstwochenende in Berlin als einer der maßgeblichen Koordinatoren verbotener Demonstrationen aufgefallen.  

Währenddessen gab die Berliner Polizei erstmals bekannt, wie viele Personen, die sich am “Sturm auf den Reichstag” am 29. August 2020 beteiligten, ermittelt wurden. Demnach wurden 46 Tatverdächtige namentlich identifiziert, gegen 272 Personen läuft ein Ermittlungsverfahren wegen unterschiedlicher Delikte wie schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet.

Im Februar veröffentlichte die sogenannte Ermittlungsgruppe “Quer” über 400 Fotos von Verdächtigen im Intranet der Polizei. In den Folgemonaten wurden mehrere Personen unter anderem bei Versammlungen von Berliner Querdenken-Gruppierungen durch vor Ort eingesetzte Beamte wiedererkannt und namhaft gemacht.

Absurderweise bekam nach Tagesspiegel-Informationen auch ein Pressefotograf Post von der Polizei. Dieser hatte im vergangenen Jahr am Rande Fotos der Treppen-Erstürmung gemacht, die in allen großen deutschen Medien verbreitet wurden. Offenbar wurde auch er in der Intranet-Fahndung wiedererkannt.

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