Öffentliche Uhren in Berlin: Die ticken doch alle nicht richtig
Morgens, kurz vor 5 Uhr, passiert’s fast täglich: Berlins zentralste Uhr bleibt mal wieder stehen. Jetzt rückten Techniker im Roten Rathaus an. Aber nicht nur da hakt’s. Eine kleine Uhrenkunde.
Die Zeiten sind schnelllebig, die Hektik wächst. Kein Wunder, dass die Uhren streiken – ob auf dem Roten Rathaus, dem Arag-Gebäude am Wittenbergplatz oder am Rathaus Spandau gleich neben dem großen Bahnhof, wo die Zeiger seit vielen Wochen dunkel sind wie die Nacht. Burnout? Oder Vernachlässigung aus Geringschätzung?
Kann eine kaputte Uhr ein Kostenproblem sein, wenn Zeit Geld ist? Oder sind öffentliche Uhren aus der Zeit gefallen, weil jeder ein Smartphone hat?
Kaum vorstellbar, dass einer der ältesten Maschinen der Menschheit mitten unter uns das Stündlein schlägt. Eine Spurensuche.
Die komplizierte Mechanik der Turmuhr muckte
Um oben anzufangen: Am Freitagnachmittag hat Klaus Lumbeck einen seiner beiden Angestellten der Firma „C. F. Rochlitz Turmuhren“ zum Roten Rathaus geschickt, um noch vor dem Wochenende ein Ersatzteil in die Turmuhr einzubauen. Die hat sich nämlich angewöhnt, morgens um kurz vor fünf stehen zu bleiben. Eine Umlenkeinheit in der komplizierten Mechanik muckte und vermochte den Widerstand nicht mehr zu überwinden, der sich vor dem Stundenschlag aufbaut. Vereinfacht gesagt ist es wie eine Rampe, über die die Mechanik vor jedem Viertelstundenschlag klettern muss. Der Schlag selbst ist wie der Absprung, der die Spannung löst.
Äußerlich sei die Rathausuhr dank der Sanierung des Gebäudes vor wenigen Jahren bestens in Schuss, aber das etwa 40 Jahre alte Uhrwerk sei verschlissen, berichtet Lumbeck. 2016 mussten nach einer Havarie bereits Teile nachgefertigt werden, und perspektivisch wäre wohl eine komplett neue Mechanik – die grob geschätzt um 25 000 Euro kosten würde – fällig, sagt Lumbeck, dessen Tempelhofer Firma bald 200 Jahre alt wird. Die Uhr über dem Regierenden Bürgermeister betreut er seit 1990; außerdem im Portfolio hat er beispielsweise die Rathausuhren in Steglitz und Neukölln.
Geldmangel versetzt manche Zeiger in den Zwölf-Uhr-Schlaf
Über Geringschätzung für die großen Uhren kann Lumbeck nicht klagen: Nach seinem Eindruck seien Behörden, Kirchen und Schulen schon mal gleichgültiger gewesen, wenn Uhren kaputtgingen. Jetzt sei es eher Geldmangel, der beispielsweise manche Kirchturmuhr so lange in Zwölf-Uhr-Schlaf versetze, bis ein Sponsor oder Spenden aufgetrieben seien. „In Kirchen haben wir Uhrwerke, die schon 70, 80 Jahre laufen“, sagt Lumbeck. Je schlichter die Mechanik, desto haltbarer.
Auch viele alte Kirchturmuhren würden inzwischen elektrisch aufgezogen und über einen Funkempfänger gesteuert. Tückisch seien Schlagwerke mit Seilzügen, die irgendwann reißen und schlimmstenfalls in die Zahnräder fallen. So wie vergangenes Jahr am Roten Rathaus, wo der viertelstündliche Schlag ohnehin im Lärm der Stadt fast untergeht. Nachts wird er – wie inzwischen üblich – ohnehin abgeschaltet. „Das kannte man früher gar nicht“, sagt Lumbeck. „Die Bevölkerung ist sehr geräuschempfindlich geworden.“ Aber nicht uhrenscheu: In Grundschulen würden aus pädagogischen Erwägungen gern analoge Uhren aufgestellt, und am Potsdamer Platz sei ein Neubau geplant, der die Zeichen der Zeit an seiner Fassade zeige.
Am Spandauer Rathaus warten die Uhrmacher aufs Frühjahr
Auch für die dunkle Uhr am Spandauer Rathausturm gibt es einen Lichtblick: Sie werde repariert, sobald das Wetter nicht mehr so winterlich sei, heißt es im Bezirksamt. Lumbeck weiß, dass manche alte Turmuhr mit Fünf-Kilovolt-Neonelementen beleuchtet werde, also Hochspannung, „da dürfen wir gar nicht ran“. Inzwischen gehe der Trend aber zu 220 Volt und LEDs. Die Uhrenanlage im Spandauer Rathaus wurde laut Wikipedia 1913 von Siemens & Halske gestiftet.
Die Bahn hätte zum Thema wohl auch einiges zu berichten, konnte aber wegen Verzögerungen im Betriebsablauf die Anfang voriger Woche eingereichten Tagesspiegel-Fragen zu Steuerung und Gebrechen ihrer Uhren nicht beantworten.
Auf vielen öffentlichen Plätzen stehen die Zeitmesser als Beigabe zu rotierenden, beleuchteten Werbewürfeln. Selten schön, aber praktisch. Aufgestellt werden sie vom Außenwerber Ströer – Konkurrent Wall betreibt nach eigenem Bekunden keine. Es gebe in letzter Zeit „keine signifikanten Veränderungen in Bezug auf die Uhrenanzahl“, heißt es bei Ströer. Das Unternehmen „vermarktet“ in Berlin etwa 450 Stück; die Standorte seien vertraglich vereinbart.
Subjektiv fällt auf, dass analoge Uhren wieder dominieren – sowohl im Stadtbild als auch an Handgelenken. Die Branche scheint die Digitalisierung schon um die Jahrtausendwende hinter sich gelassen zu haben. Jetzt trifft man die Leuchtbalkenuhren am ehesten vor Apotheken oder vor Sparkassen und Autohäusern an ländlichen Durchgangsstraßen an – oft kombiniert mit Thermometer.
Der Uhrenklotz vom Arag-Haus soll nicht mehr rotieren
Da trumpft das Arag-Haus mit seinem Uhrenklotz auf dem Dach schräg hinterm KaDeWe ganz anders auf. Zurzeit allerdings steht die Kiste still, die Werbung zeigt zum Wittenbergplatz, die auf 4.16 Uhr stehen gebliebenen Zeiger nach hinten in die Nebenstraßen. Das sei Absicht, sagt Arag-Sprecher Christian Danner. „Wir sind dran, aber aus Witterungsgründen können wir sie jetzt nicht einrüsten.“ Bald werde sie repariert und das Zifferblatt dann dauerhaft zum Wittenbergplatz gedreht. Rotieren solle sie nicht mehr, weil die im Gebäude verankerte Mechanik ziemlich laut sei.
Fast schon chronisch zeitlos ist dagegen das Bahnhofsgebäude der Station Grunewald, deren schöne, aber seit Jahren komatöse Fassadenuhr ein Tagesspiegel-Leser regelmäßig Beine macht. Die Hausverwaltung habe zugesagt, die Sache weiter zu verfolgen, berichtet der Mann. Auch er hat von Witterungsgründen für die aktuelle Verzögerung gehört. Kommt Sommerzeit, kommt Rat.