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PARADEROLLEN: Die Stars von Zelt

Nicht mehr ganz jung, aber immer noch einzig: Die Bar jeder Vernunft und das Tipi am Kanzleramt feiern runde Geburtstage.

Augen zu und innehalten. Mal kurz überlegen, was man alles so gesehen hat in 20 Jahren Bar jeder Vernunft.

Robert Gernhardt etwa, Gedichte lesend, irgendwann Ende der Neunziger, zwischendurch gab’s Musik, kein lauter, aber ein großer Abend. René Marik, den Puppenspieler mit dem Maulwurf und der Popstar-für-Arme-Attitüde – bescheuert, berührend, alles. Oder Max Raabe mit seinem Pianisten Christoph Israel: hingegangen mit dem Gedanken „sicher nur öde Schellack-Nostalgie“, hinterher überrascht gewesen. Und das „Rößl“, die Legende, so toll, 1994 gleich mehrmals gesehen. „Im Weißen Rößl am Wolfgangsee“ in der All-Star-Besetzung Meret Becker, Otto Sander, Geschwister Pfister, Walter Schmidinger, Gerd Wameling. Dann „Cabaret“, auch begeisternd, mit Anna Loos und Angela Winkler. Und Pigor & Eichhorn oder Rainald Grebe – lustige, subversive Abende. Oder Tim Fischer, so pathetisch wie rotzig als Zarah und Hilde. Und – klar – so manchen Rohrkrepierer, im intimen Rund der 250 Plätze peinigend deutlich gespürt.

Apropos spüren. Der Körper erinnert sich gut. Ans Mitfühlen, Mitstaunen, Mitschämen, Mitlachen. An den steifen Nacken vom vielen Vorbeischielen am Kopf der Tischnachbarn. Ans Zerfließen während tropischer Sommerabende im früher stets ungekühlten Zelt. Und ans Prasseln der Regentropfen auf dem in diesem Jahr 100 Jahre alten Jugendstilzelt.

1992 haben Holger Klotzbach und Lutz Deisinger das hier auf das Parkdeck neben das jetzige Haus der Berliner Festspiele gestellt. Am 5. Juni eröffneten sie ihre Privatbühne mit den schrägen Musikkabarettisten von Ars Vitalis. „Abseits des Mainstreams“ wollten sie sein, sagt Prinzipal Holger Klotzbach, der rechtzeitig zur ausverkauften Geburtstagsgala am Freitag im Tipi unter dem zünftigen Titel „Direktor“ firmiert. Das doppelt so große Schwesterzelt im Tiergarten besteht inzwischen auch schon zehn Jahre. Rund 2,5 Millionen Besucher habe man in beiden bis heute unterhalten, vermutet Klotzbach. Das Tipi zu eröffnen, sei ein guter Schachzug gewesen, sagt der Direktor, der sich die Leitung mit dem für die Künstler zuständigen Deisinger und einem Geschäftsführer teilt. „Wir haben uns so selbst Konkurrenz gemacht und konnten Künstler halten, die populärer wurden und in größere Säle abgewandert wären.“ Nach wie vor ist es so, dass die Vermietung der Zelte für Firmengalas den unsubventionierten Theaterbetrieb unterhält. Klappt gut, sagt Klotzbach, besonders im gegenüber dem Kanzleramt gelegenen Tipi. „Im Angesicht der Macht wollten komischerweise viele feiern.“ Auch am Freitag bei der eigenen Party, zu der sich von Klaus Wowereit bis Thomas Quasthoff Hans und Franz angesagt hat.

Durch den Abend führt Andreja – Fräulein – Schneider von den Geschwistern Pfister, eine Truppe, die zusammen mit der Bar groß geworden ist, wie Tobias Bonn alias Toni Pfister sagt. Die beiden singen in der Marionettentheater-Version des „Rößl“ mit, die die Bar zum Jubiläum ab kommenden Dienstag zeigt. Die Show des Figurentheaters Kobalt aus Lübeck habe Lutz Deisinger entdeckt, sagt „Rößl-Wirtin“ Fräulein Schneider. „Und weil wir alte Kitschkühe sind und uns gern erinnern, machen wir mit“, ergänzt „Zahlkellner Leopold“ Toni Pfister. Die beiden treten seit dem Eröffnungsjahr mit jedem ihrer Programme in der Bar auf. Warum nicht woanders? Schließlich hat sich seit Anfang der Neunziger, als die Bar Avantgarde war, in Sachen Kleinkunst einiges in Berlin getan? Für Comedians vielleicht, finden Schneider und Pfister, aber nicht für Leute mit Musikprogrammen wie sie. „Da haben Bar und Tipi nach wie vor das Monopol als einziger richtig gut funktionierender Ort.“ Ihr Geburtstagswunsch an Klotzbach und Deisinger ist denn auch klar. „Eine neue, tolle, mutige Großproduktion mit All-Star-Ensemble, gerne wieder Operette, zum Beispiel ,Frau Luna‘.“ Ob es so was wieder gibt, will der Direktor nicht gucken lassen. Aber eine große Koproduktion mit dem Schauspielhaus Hamburg und eine Eigenproduktion mit einem türkischen Filmemacher stehen 2013 an. „Wir wollen wieder mehr selber machen, statt Gastspielort zu sein.“ Mit dem Begriff „Kleinkunst“ übrigens, gegen den der frühere Kabarettist schon immer gewütet hat, freundet er sich auch mit 66 nicht mehr an. „Der ist einfach diffamierend.“ Er habe mal im Radio 1000 Euro für denjenigen ausgelobt, der einen neuen fürs Genre erfindet. Hat nix gebracht, nur Schrottvorschläge wie Mini-Kunst. „Machen Sie doch mit“, sagt er, „das Geld habe ich noch.“

Gunda Bartels

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