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Dennis Buchner und Sven Kohlmeier (beide SPD) haben einen öffentlichen Brief verfasst. Darin kritisieren sie Michael Müller scharf.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Nach dem öffentlichen Brief zum Zustand der SPD: "Die SPD muss wieder Berlin verstehen"

Raed Saleh und andere SPDler bemühen sich nach dem innerparteilichen Frontalangriff um Schadensbegrenzung. Doch die Genossen werden ungeduldig.

Wenn Berliner SPD-Politiker von ihrem Parteichef politische Verantwortung nach der Wahlniederlage fordern und aufzählen, welche Genossen nach Wahlniederlagen ihren Hut nahmen, ist das ein Frontalangriff auf Michael Müller. Das Wort Rücktritt muss auf elf Seiten eines Beitrags, verfasst von den Abgeordneten Sven Kohlmeier und Dennis Buchner, dann auch gar nicht mehr formuliert werden. Selbst wenn Buchner betont, das sei „nur als Aufforderung gedacht, Müller sollte über seine Verantwortung nachdenken“. Als Regierender Bürgermeister müsse er ja nicht zurücktreten.

„Bundesweit die Alternative zur anstehenden konservativen Jamaika–Koalition“

Der Reflex nach diesem Schreiben, hinter dem Buchner, der frühere Landesgeschäftsführer unter Ex-Parteichef Jan Stöß, und Kohlmeier, ein enger Vertrauter von Fraktionschef Raed Saleh, stecken, ist typisch für die Berliner SPD: Umgehend formieren sich die Lager um Müller und Saleh. Müller-Intimus und Innensenator Andreas Geisel kontert, jetzt sei „seriöses Arbeiten angesagt, nicht Foulspiel in den eigenen Reihen. Das gilt für uns alle“.

Auch die Mitglieder der SPD-Fraktion müssten am gemeinsamen Erfolg interessiert sein: Rot-Rot-Grün sei „bundesweit die Alternative zur anstehenden konservativen Jamaika–Koalition“. Spiele mit dem Feuer seien nicht angebracht. Und wer die SPD inhaltlich erneuern will, der solle inhaltliche Vorschläge machen und keine Personaldebatten führen.

Die SPD sucht nach einer Strategie, wie sie sich als Volkspartei vor weiteren, noch schlimmeren Niederlagen als die 17,9 Prozent bei der Bundestagswahl und die 21,6 Prozent bei der letzten Abgeordnetenhauswahl in Berlin rettet. Natürlich ist die Frage nach den Konsequenzen aus diesen Niederlagen auch mit der Frage verbunden, wer die Partei in Bund und Land künftig führen soll.

Müller unter Druck

In Berlin ist SPD-Parteichef Müller einem starken parteiinternen Druck ausgesetzt. Ab Januar werden die Orts- und Kreisvorstände gewählt, der Landesvorstand wird im Mai neu gewählt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Saleh versucht, eine Mehrheit für sich in den Kreisverbänden zu schmieden. Aber er spricht sich vehement gegen eine Diskussion um das Führungspersonal der Berliner SPD aus. Und er will sich auch nicht dazu äußern.

Als Reaktion auf das Papier von Buchner und Kohlmeier sagt Saleh auf Anfrage: „Viele machen sich Gedanken über den Zustand und die Zukunft unserer Partei, das wundert mich nicht. Die SPD muss wieder Berlin verstehen. Wir werden das zu diskutieren haben, auch in den Parteigremien.“

In der SPD wird man allmählich ungeduldig. „Saleh spricht von Stabilität, aber er ist selbst der größte Destabilisator“, sagt ein führender Genosse. „Wenn er gegen Müller antreten will, muss er jetzt springen.“ Es sind nicht wenige in der Partei, die die Rolle der Fraktion und deren Mitverantwortung für das schlechte Wahlergebnis hervorheben.

Auch bei unangenehmen Themen müsse sich die Fraktionsspitze offen einmischen und nicht hinter vorgehaltener Hand wieder gegen die rot-rot-grüne Regierungspolitik „zündeln“.

"Wir müssen dafür offen sein, organisatorisch und personell zu diskutieren."

SPD-Politiker wie Boris Velter, Vorsitzender des mit 2.600 Mitgliedern größten Berliner SPD-Kreisverbandes in Mitte, warnen davor, zu schnell zu sein mit einer aus dem Wahlergebnis resultierenden Analyse. „Wir müssen dafür offen sein, organisatorisch und personell zu diskutieren. Diese Phase des Zuhörens und Redens ist mir viel zu kurz“, sagt Velter.

Und niemand schließt aus, dass in der Konsequenz daraus eine Debatte über den Parteivorsitz folgen kann. Die Kritik, dass Ämter und Funktionen auf eine Person, nämlich Müller, zentriert sind, hört man in der SPD immer häufiger. Müller ist Parteichef, übernimmt am 1. November das Amt des Bundesratspräsidenten und kandidiert für den SPD-Parteivorstand, der im Dezember auf dem Bundesparteitag gewählt wird.

Buchner und Kohlmeier fordern eine breitere personelle Aufstellung in den Parteigremien und eine Diskussion über die Trennung von Parteiämtern und Regierungsverantwortung. Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey hatte das bereits gefordert – und dementsprechend auch die Ablösung von Müller als SPD-Parteichef. Der SPD-Parteilinke und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen schlug wiederum vor, Müller einen Generalsekretär an die Seite zu stellen.

Sollte Müller nicht mehr kandidieren, werden Namen für die Nachfolge genannt: Geisel, Giffey, Kollatz-Ahnen, Saleh. Offen wird eine Personaldebatte auf dem kommenden Parteitag am 11. November wohl nicht geführt.

Aber es ist mit inhaltlichen Diskussionen zwischen den Lagern zu rechnen, wenn zum Beispiel ein Leitantrag zur sozialen und inneren Sicherheit beraten wird.

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