Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther: „Die S-Bahn schwächelt, wo sie stärker sein kann“
Bis 2033 sollen 500 alte Züge der Berliner S-Bahn durch neue ersetzt werden. Ein Gespräch mit der Verkehrssenatorin über den Kauf und darüber, was bei Störungen falsch läuft.
Frau Günther, die S-Bahn braucht langfristig sehr viele neue Züge, um den Betrieb zu sichern. Wie wollen Sie verhindern, dass es erneut zu einem Desaster im Betrieb kommt?
In Berlin ist ein reibungsloser Betrieb der S-Bahn unverzichtbar. Voraussetzung dafür ist, dass ausreichend Züge zur Verfügung stehen. Wir müssen im Zeitraum 2026 bis 2033 insgesamt 500 alte Viertelzüge (Doppelwagen – Anm. d. R.) durch neue ersetzen. Zusätzlich werden wir mindestens 100 weitere Neufahrzeuge beschaffen müssen, um die benötigte Taktverdichtung zu ermöglichen und neue Strecken aufnehmen zu können. Dafür werden wir schnellstmöglich die notwendigen Schritte einleiten, denn das braucht Zeit.
Der Fahrgastverband Igeb hat erst jetzt mehr Tempo gefordert.
Zwischen dem Vergabestart und der tatsächlichen Verfügbarkeit neuer Fahrzeuge liegen erfahrungsgemäß sieben Jahre. Das Besondere bei dem vor uns liegenden Verfahren ist, dass damit auch Strukturen festgelegt werden, die für den reibungslosen und preiswerten Betrieb in der Zukunft extrem wichtig sind. Es hat sich gezeigt, dass Herstellung und Wartung möglichst eng verzahnt und Monopolsituationen vermieden werden sollten. Monopole führen zu hohen Renditen beim Betreiber und beim Hersteller, aber eben nicht zur besten Verfügbarkeit der Wagen für den Betrieb. Deshalb prüfen wir jetzt, welches Beschaffungsmodell für Berlin am besten wäre.
Werden dann die Arbeitsplätze in den Werkstätten der S-Bahn wegfallen?
Auch wenn ein anderes Unternehmen mit der Wartung beauftragt wird, braucht es Fachkräfte. Wir sehen in anderen Bundesländern, dass entweder die Beschäftigten übernommen werden oder dass die Deutsche Bahn die Züge als Dienstleistung in den bisherigen Werkstätten wartet. Kurze Wege insbesondere für die laufende betriebsnahe Instandhaltung sind für jedes Unternehmen, das künftig diese Aufgabe übernehmen wird, ein entscheidender Faktor, um den Ländern ein wirtschaftliches Angebot machen zu können. Daher wird auch bei neuen Beschaffungsmodellen weiterhin ein großer Teil der Wertschöpfung in der Region bleiben.
Was planen Sie konkret?
Wir werden Ende Januar ein Markterkundungsverfahren starten, mit dem wir feststellen wollen, wie groß das Interesse der unterschiedlichen Hersteller ist, welche Finanzierungsmodelle marktgängig sind und welche Fahrzeuganforderungen umsetzbar wären.
Aber da ist Ihr Zeitplan doch schon einmal nicht aufgegangen. Das Verfahren sollte eigentlich vor Weihnachten beginnen.
Wir stehen sicher unter großem Zeitdruck, aber wir haben uns mit den Koalitionsfraktionen darauf verständigt, dass Ende Januar alle Kriterien für die Markterkundung festgelegt sind. Wir haben in der Koalition sehr konstruktiv ein halbes Jahr diskutiert und sind uns einig, dass man alle Alternativen sorgfältig prüfen muss.
Und warum müssen wir immer noch auf ein Ergebnis warten?
Für eine solche Investition braucht man wasserdichte Anforderungen und Regeln. Der Fahrzeugkauf ist ein sehr komplexes Thema. Es geht auch um sehr viel Geld, um Investitionen von über zwei Milliarden Euro.
Wer soll das bezahlen?
Die Länder Berlin und Brandenburg werden Haushaltsmittel aufwenden und die Fahrgäste ihre Tickets bezahlen. Die Herausforderung liegt aber eher darin, wie Beschaffung, Instandhaltung und Betrieb organisiert werden. Für die Beschaffung der Züge diskutieren wir momentan mehrere Modelle. So könnte ein Fahrzeugdienstleister die Züge für die Länder beschaffen, dem Verkehrsunternehmen zur Verfügung stellen und für 30 Jahre, also für die gesamte Lebensdauer der Fahrzeuge, auch die Verantwortung für die Wartung übernehmen. In einem zweiten Modell beschafft auch ein Fahrzeugdienstleister die Züge und wartet sie. Aber das Eigentum an den Fahrzeugen wird auf die Länder Berlin und Brandenburg übertragen.
Das Land muss dann aber tief in die Tasche greifen?
Die Fahrzeuge werden den Ländern in keinem Modell geschenkt. Wenn der Fahrzeugdienstleister die Fahrzeuge beschafft, wird er den Kaufpreis in die während der gesamten Vertragslaufzeit zu zahlende Vergütung einpreisen. Wenn die Länder ihm die Fahrzeuge nach gewisser Zeit abkaufen, wird es einen früh zu bezahlenden Kaufpreis geben. Der fortlaufende Zuschussbedarf für den S-Bahn-Betrieb wird dann aber merklich günstiger. Welches Modell insgesamt – auch mit Blick auf die Vorgaben der Schuldenbremse – für uns am besten ist, wollen wir mit der Markterkundung klären.
Die S-Bahn hat für den Betrieb auf dem Ring neue Züge bei Stadler/Siemens bestellt und dabei eine Option über weitere Fahrzeuge vereinbart – insgesamt bis zu 690 Doppelwagen. Eine solche Großbestellung kann den Preis drücken. Geben Sie diesen Vorteil jetzt aus der Hand?
Sollte die S-Bahn einen besonders vorteilhaften Preis erzielt haben, so wäre das erst einmal ein Vorteil für das Unternehmen und nicht automatisch auch für die Länder. Wir sind ja nicht Vertragspartner dieses Rahmenvertrages und wissen nicht, ob ein Kostenvorteil der DB AG sich in einem günstigeren Angebot für die Länder niederschlagen würde. Auch andere Hersteller können gute Angebote machen. Wir werden jedenfalls sehr genau auf den Preis achten. Und auf die Qualität. Gerade deswegen machen wir ja die Markterkundung.
Apropos Qualität. Sind Sie mit der Leistung der S-Bahn derzeit zufrieden?
Momentan ist die Leistung suboptimal. Der Mangel an Fahrzeugen lässt sich zwar erst mit den neuen Zügen beseitigen, aber die S-Bahn schwächelt auch an Stellen, wo sie besser sein kann. Der Informationsservice bei Störungen reicht nicht aus, die digitale Technik wird zu wenig genutzt. Und wir brauchen bei Störungen im Betrieb mehr Personal in den Bahnhöfen, das den Fahrgästen mit Rat und Tat helfen kann. Und nach wie vor gibt es zu viele Signal- und Weichenstörungen. Wir brauchen hier eine gemeinsame Analyse der S-Bahn und von DB Netz. Hier befinden wir uns im Gespräch.
Vielleicht müssen Sie sich weiter nur mit der S-Bahn unterhalten. Beim Ring waren die anderen Bewerber ja schon vor der Vergabe des Betriebs abgesprungen.
Genau das wollen wir dieses Mal vermeiden. Anbietermonopole führen einfach nicht zu dem Preis-Leistungs-Verhältnis, das wir uns als Auftraggeber wünschen.
Zunächst sind Sie aber noch auf die S-Bahn angewiesen, weil andere Betreiber auf die neuen Fahrzeuge warten müssen.
Das ist richtig. Der Verkehrsvertrag mit der S-Bahn ist am 14. Dezember 2017 ausgelaufen. Wir haben mit ihr zwei Interimsverträge vereinbart – für den Ring bis 2021 und für die Stadtbahn und die Nord-Süd-Strecken bis 2026.
Sollte es mehrere Betreiber geben, kann es Reibungsverluste im Betrieb geben. Kann man ein solches Produkt, das mit seinem besonderen technischen System einmalig ist, sinnvoll auseinanderreißen?
Von einem Auseinanderreißen kann keine Rede sein, aber wir müssen aus europarechtlichen Gründen verschiedene Lose vergeben. Das Angebot wird von den Ländern und dem VBB einheitlich geplant und bestellt. Für die Fahrgäste würde es in Bezug auf Anschlüsse, Kundeninformation und so weiter keinen Unterschied machen, ob es einen oder verschiedene Betreiber geben sollte. Der Betrieb auf den drei Teilnetzen – Stadtbahn, Ring und die Nord-Süd-Strecken – ist weitgehend unabhängig voneinander möglich. Es gibt weit weniger betriebliche Abhängigkeiten, als oft pauschal behauptet wird. Für eine geringe Störanfälligkeit des Netzes wird es nicht darauf ankommen, ob wir einen oder mehrere Betreiber haben, sondern dass es für alle Teilnetze genug zuverlässige Fahrzeuge gibt und dass die DB Netz für jedes Unternehmen, das gute Leistung auf die Gleise bringen will, eine zuverlässige Infrastruktur zur Verfügung stellt.
Werden die Fahrzeuge bei unterschiedlichen Betreibern auch verschieden lackiert?
Wie die Fahrzeuge aussehen, geben ja die Länder vor, und da gibt es sicher keine zwei Meinungen: Eine einheitliche Farbgebung steht außer Frage – sicher wieder mit den traditionellen Berliner Farben.