Berlins Bildungssenatorin macht ernst: Die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss an Gymnasien können weg
Sandra Scheeres plant umfassende Reformen für Kitas und Schulen. Die Schulinspektion muss sich neu orientieren.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) plant im letzten Jahr ihrer Amtszeit umfassende Reformen. Dazu gehört, dass die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) an Gymnasien nur noch freiwillig sein sollen, sofern die rot-rot-grüne Koalition ihr darin folgt.
Die Vorhaben beruhen auf den Empfehlungen der von Scheeres eingesetzten Expertenkommission zur Schulqualität unter dem Vorsitz des Kieler Bildungsforschers Olaf Köller. Aus diesen Empfehlungen, die im Oktober vorgestellt worden waren, hat Scheeres zwölf Punkte ausgewählt, die jetzt angegangen werden sollen.
Dazu zählt die Einrichtung eines Qualitätsbeirats. Den Vorsitz übernimmt der Hamburger Bildungsverwaltungsfachmann Michael Voges, der bereits bei der Expertenkommission eine Schlüsselrolle innehatte. Da es parteiübergreifend viel Lob für die Empfehlungen der Kommission gegeben hatte, besteht die Erwartung, dass der Beirat über das Ende der Legislatur tätig sein kann.
Ihm gehören aus Berlin die Leiterin des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungswesen, Petra Stanat sowie FU-Erziehungswissenschaftlerin Felicitas Thiel an. Aus Hamburg ist Norbert Maritzen dabei, der ehemalige Direktor des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, und aus Bremen Heidemarie Rose, die Abteilungsleiterin bei der dortigen Senatorin für Jugend und Integration war.
Da auch die Bildungsverwaltung selbst umstrukturiert werden muss, wurde in den Beirat als "Berater der öffentlichen Hand" der ehemalige Lageso-Chef Sebastian Muschter berufen,weiterhin fünf Abteilungsleiterinnen und -leiter der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie Schulleitungen.
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Die Bedeutung des Beirats ist deshalb so groß, weil er strukturelle Veränderungen zu begleiten hat. So soll die zerklüftete Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften in einem Landesinstitut zusammengefasst werden. Parallel werden vier landesweit definierte Fortbildungsschwerpunkten in Deutsch, Mathematik, digitalem Lehren und Lernen und Inklusion entwickelt, für deren Absolvierung es dann eine Fortbildungsverpflichtung geben wird.
Und immer wieder: Deutsch und Mathematik im Fokus
Mehr Beachtung als bisher sollen die Vergleichsarbeiten finden. Das ist schon länger Scheeres’ Ziel, wird jetzt aber mit Nachdruck versehen. Die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten sollen demnach „als wichtige Bezugsgröße verankert“ werden. Sie bilden die Grundlage für Zielvereinbarungen zwischen Schulleitungen und Schulaufsicht: Da ein großer Teil der Berliner Schüler an den Mindeststandards in Deutsch und Mathematik scheitert, wird es vor allem darum gehen, dass Schulen nachweisen müssen, wie sie diese Ergebnisse verbessern.
Dieser Zielsetzung entspricht auch die angestrebte Veränderung der Schulinspektion: Die Inspekteure sollen sich auf Schulen mit besonderem Entwicklungsbedarf in den Kernkompetenzen Deutsch und Mathematik konzentrieren, anstatt die Schülerleistungen – wie bisher – weitgehend auszublenden. Die flächendeckenden Inspektionen dürften dann entfallen.
MSA: Die Grünen antworten ausweichend
Die Zustimmung der Koalition braucht Scheeres lediglich für die Veränderung beim MSA. Diese Zustimmung ist unsicher, denn Rot-Rot-Grün hat andere Prioritäten. Die Grünen wollten sich am Donnerstag nicht festlegen: "Wir Grüne diskutieren intern intensiv den Köller-Kommissionsbericht", teilte die bildungspolitische Sprechern Marianne Burkert-Eulitz auf Anfrage mit. Priorität hätten "die Fragen und Vorschläge, wie Kinder und Jugendliche bessere Ergebnisse in den Kernfächern Mathe und Deutsch erzielen können".
„Die Empfehlungen der Köller-Kommission bestärken uns, den Weg zur Qualitätsverbesserungen in unseren Schulen und Kitas konsequent fortzusetzen“, sagte Scheeres am Donnerstag. Mit dem neuen Qualitätsbeirat werde sichergestellt, „dass sich unsere Bildungseinrichtungen im Austausch mit der Wissenschaft und Expertinnen und Experten aus der Bildungsverwaltung gut weiterentwickeln – von der frühkindlichen Bildung bis zum Schulabschluss“.
Die Prioritäten im Überblick
- Die Umstellung des MSA an Gymnasien auf Freiwilligkeit. Statt verpflichtender MSA-Prüfungen Einführung einer "standardsichernden, an die gymnasiale Oberstufe angepassten Lernstanderhebung".
- Schulverträge verbindlicher gestalten: Vergleichsarbeiten sollen als wichtige Bezugsgröße verankert werden. Die Schulleitung vereinbart mit Schulaufsicht verbindliche Ziele, auf der Grundlage von gesicherten Daten.
- Umbau der Schulinspektion: Konzentration auf Schulen mit besonderem Entwicklungsbedarf auf Basis bestimmter Indikatoren, stärkere Fokussierung auf Leistungsdaten.
- Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte: Erarbeitung einer Fortbildungsverordnung mit vier landesweit definierten Schwerpunkten in Deutsch, Mathematik, digitales Lehren und Lernen und Inklusion.
- Konzeptionierung eines Landesinstituts: Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften wird gebündelt und miteinander verknüpft.
Die Vorarbeit der Kitas soll den Übergang in die Schule erleichtern
Da die Kitas die Kinder künftig besser auf die Schule vorbereiten sollen, gehört zum Beirat auch die Entwicklungspsychologin Rahel Dreyer von der Alice Salomon Hochschule. Von einer stärkeren Förderung in diesen Bereichen sollen insbesondere Kinder aus bildungsfernen Familien profitieren, indem Nachteile ausgeglichen werden. So solle der Übergang in die Grundschule erleichtert werden, heißt es in der Mitteilung der Senatsverwaltung für Jugend und Bildung.
Um diese Punkte soll es jetzt vorrangig gehen:
- Die Weiterentwicklung eines "Werkzeugkastens" (Toolbox) für pädagogische Anregungen in den Bereichen Sprache, Mathematik und Selbstregulation.
- Eröffnung zweier neuer Konsultations-Kitas für die Bereiche Mathematik und Digitalisierung sowie Mehrsprachigkeit: Sie richten sich an pädagogisches Fachpersonal und bieten die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch, Hospitationen und Beratung
- 40 zusätzliche Funktionsstellen in sozialen Brennpunkten.
- Sechs neue Sprachfördergruppen für Kinder, die keine Kita besuchen.
Letztgenannter Punkt ist von besonderer Bedeutung, weil es in Berlin für Kinder, die keine Kita besuchen, aber Förderbedarf aufweisen, zwar eine gesetzliche Pflicht zum Besuch einer Kita oder Vorschule im Jahr vor der Einschulung gibt, diese aber nicht umgesetzt wird: Seit Jahren verfolgen die Bezirke die Einhaltung dieser Pflicht nicht, weil sie entweder keine Kitaplätze haben oder kein Personal, um den Familien nachzugehen. Die neuen Sprachfördergruppen sind ein Versuch, dieses gesetzeswidrige Dilemma anzugehen.
Den vollständigen Bericht der Expertenkommission vom Oktober 2020 können Sie hier herunterladen.
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