Nachruf auf Steffen Jacob (Geb. 1947): Die Prinzenrolle
Er war groß und auch mal stark und ließ sich „Rotlichtprinz“ nennen. Der Nachruf auf einen Berliner Luden, der den Paten spielte: die Sprüche groß, die Ringe gold, die Hemden bunt.
Über Steffen Jacob stand schon viel in den Zeitungen, vor allem in denen mit den großen Bildern, doch nicht allzu viel davon war wahr. Denn die Quelle der Geschichten war zumeist er selbst. Das Bild, das er verbreiten ließ, könnte man so beschreiben: Ein Geschäftsmann, der das Leben zu genießen versteht, und der anderen beim Genießen hilft. Ein Mann, der sich in der Welt des Rotlichts auskennt, der die schönsten Frauen an seiner Seite hat und sie großzügig weitergibt. Ein Mann, der in der guten alten Zeit, als ein Wort noch ein Wort und eine Faust noch eine Faust war, gezeigt hat, dass er’s drauf hat, und der sich als letzter ehrlicher Deutscher den Machenschaften der organisierten Kriminalität aus Osteuropa entgegenstellt, bis es nicht mehr geht.
Da gibt es etwa die Geschichte aus dem November 1996, Überschrift: „Ich steige aus“. Die Rede ist vom „Rotlicht-Prinz“, der seinen Abschied nehme vom Geschäft mit den Nutten, um was Neues, Seriöses, Großes aufzubauen. Gemeinsam mit seinem Freund Mahmoud Alzein wolle er an der Lietzenburger Straße, gleich um die Ecke vom Ku’damm, einen Vergnügungskomplex mit Restaurants, Disko und Casino aufbauen, ein Millionending, zu dem nur noch ein paar Millionen fehlten. Warum er aussteigen will, sagt der „Prinz“ nicht, die Reporterin schreibt ganz allgemein vom „Druck“, der in der Rotlichtszene zunehme. Alzein wird als mächtiger Geschäftsmann vorgestellt, der Restaurants und Sicherheitsdienste betreibe und „der Präsident“ genannt werde. Den Titel wird er sich selbst verliehen haben, ebenso wie Steffen Jacob sich irgendwann „Prinz“ hat nennen lassen.
Geld verdienen ohne Frauen? Wie denn?
Die Geschichte war natürlich Quatsch. Wie sollte Steffen Jacob aussteigen? Er wusste ja gar nicht, wie man ohne Frauen Geld verdient. Und Mahmoud Alzein war ein finsterer Bursche, der mit Drogen und Waffen sein Geld verdiente (und nebenher mit seiner Familie ein paar tausend Mark Sozialhilfe bezog). Einige Tage bevor der Artikel erschien, hatte die ARD einen Dokumentarfilm über Steffen Jacob ausgestrahlt, „Der Rotlichtprinz“. Darin kam auch Mahmoud Alzein vor – als Freund und Beschützer des Prinzen. Worauf die Freundschaft beruhte, ahnten die Filmemacher zwar, aber sie konnten es nicht sagen, da Beweise fehlten, und weil sie ihren Protagonisten auch nicht allzu nahetreten wollten. Das BKA ging davon aus, dass in Jacobs Puffs und Bars Alzeins Drogengeld gewaschen wurde. Obwohl im Film davon keine Rede war, war Alzein sauer: Dass er in Verbindung mit Jacobs Prostitutionsgeschäften gebracht wurde, erschien ihm unschicklich. Für einen Moslem gehört sich so was nicht. Mit dem Zeitungsartikel sollte die Sache aus der Welt gebracht werden. Deshalb das Zitat des „Präsidenten“: „Ich habe es Steffen schon immer geraten, mach es wie ich, lass die Finger vom Rotlicht.“
Der Geldwäscheverdacht wurde nie belegt, einigermaßen sicher aber ist, dass Jacob seinem Freund Schutzgeld zahlte, 1000 bis 2000 Mark pro Woche. Tatsächlich war er auf Alzeins teuren Schutz angewiesen, da die Russenmafia in die Geschäfte drängte. Er mochte groß und stark sein – an seine Prinzenrolle glaubten aber bloß die Leute von der Presse.
Eine andere Geschichte war die von Achmed, Jacobs Leibwächter. In dem Film hat er einen kurzen Auftritt, er sagt, dass sein Chef und er die friedlichsten Leute überhaupt seien, wenn aber jemand Ärger suche, könne er ihn haben. Es gibt dann Ärger, im Film heißt es, acht Libanesen hätten Jacobs „Evi-Club“ gestürmt, um Schutzgeld zu erpressen. Achmed schoss einem Albaner in den Rücken und wanderte in den Knast. Im Film sehen wir, wie Steffen Jacob, fette Goldkette mit Kreuz überm schwarzen Pullover, mit dem angeschossenen Albaner, der gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, verhandelt. Er möge bei der Polizei aussagen, dass Achmed von vorn geschossen habe, dann ginge das als Notwehr durch. Wie die Sache ausgeht, erzählt der Film nicht mehr.
Jacobs Erzählungen halfen vor Gericht nicht weiter. Achmed blieb vier Jahre im Gefängnis und wurde dann abgeschoben. Tatsächlich war es nicht um Schutzgeld gegangen, und Achmed hatte auch nicht Steffen Jacobs Leben gerettet, wie es später in der Zeitung stand. Es hatte Streit um eine Prostituierte gegeben, der Albaner war allein, Steffen Jacob hockte zu Hause, und Achmed schoss von hinten. Steffen Jacobs Freundin musste hinterher das Blut aufwischen.
„Hart is’ hart, weich is’ weich, immer weich is’ ooch hart.“
Das war Sabine, die nach seiner Mutter wohl wichtigste Frau in Steffen Jacobs Leben. Im Film steht sie neben ihm, als er sagt: „Die Frauen haben mich zu dem jemacht, watt ick bin. Ick weiß aber nich’ ob dit nun ’ne positive Aussage is’.“ Einer von seinen Sprüchen, und man sieht Sabine an, dass sie auch den schon ein paar Mal gehört hat. Ein anderer: „Hart is’ hart, weich is’ weich, immer weich is’ ooch hart.“ Oder der hier, quasi die Geschäftsgrundlage seiner Branche: „Die Männer haben alle ein Problem: Sie kommen als Babys aus der Muschi raus und wollen ihr janzet Leben wieder rein.“
Steffen Jacob gab sich keine große Mühe, sympathisch zu erscheinen. Cool wollte er wirken, einer, der die Dinge im Griff hat und weiß, wie das gute Leben funktioniert. Dabei fiel ihm dazu nicht viel mehr ein als: fettes Auto, schicke Braut und Schampus. Wer ihm in dem Filmporträt zusieht, wundert sich über dieses Leben im Klischee: Ein Berliner Lude spielt Pate. Klopft Sprüche, zeigt stolz seine billig aussehende aber bestimmt ganz teure Wohnung, fährt im Bentley durch die Gegend, trägt zu dicke Uhren, zu bunte Hemden, gibt seiner missgestimmten Sabine einen Schmatzer auf den Mund und sagt, dass er auch jede andere haben kann: „Ick sach ma, ick hab’n jewisset Charisma, dit die Mädels erst mal eh anzieht.“
Wichtig für das Charisma waren die Geschenke. Er kutschierte seine Mädels nicht nur in den größten Autos durch die Gegend, er kaufte ihnen auch gern teure Sachen. Sabine erinnert sich an den 3000-Euro-Jogginganzug aus Cashmere, kurz vor der Karibik-Reise. Er fand, sie müsse den nicht mitnehmen, da sei es warm genug. Sie nahm ihn trotzdem mit, fürs Flugzeug. Das fand er auch okay.
Sabine hielt es lange mit ihm aus, obwohl sie, wie sie sagt, sehr eifersüchtig war. Anfang der Neunziger hatten sie sich kennen gelernt, da war er noch mit Inge verheiratet und mit einer ganz anderen zusammen. 1999 kam der Sohn zur Welt – in der Zeitung stand, er habe ihn immer im Bentley zum Kindergarten gebracht, Sabine sagt, er konnte mit dem kleinen Kind nichts anfangen und wünschte sich nur, dass der Junge mal ordentlich boxen lernt.
Seine Beziehungen zu Frauen waren in aller Regel geschäftlicher Natur. Die einen ließ er anschaffen und kassierte, weil er sie gegen die anderen, die sonst kassiert hätten, beschützte. Die anderen, darunter seine Mutter und Sabine, ließ er seine Läden führen. Sie hatten die Konzessionen – und das Risiko wegen Förderung der Prostitution abzuwandern. Sein Argument: „Wennse dich drankriegen, hol ick dich wieder raus.“
„Ick mach’ ’ne Eisdiele auf.“
2003 heiratete er Sabine mit großem Tamtam und freute sich, dass er in der Zeitung mal wieder als Prinz beschrieben wurde, der es krachen lässt. Drei Jahre später trennte sie sich von ihm. Sie mochte seine Sprüche nicht mehr hören, all die Pläne, was ganz anderes zu machen, „wat mit Niveau“. Er hatte Zucker, sein Herz war angeschlagen, und er sagte, er müsse was für die Gesundheit tun, Bewegung, Laufen. Ein Wirt erzählte ihm vom Jakobsweg, na bitte, bei dem Namen musste das was für ihn sein. War’s aber nicht. Nur einer seiner Pläne.
Wovon Steffen Jacob lebte, nachdem er seinen letzten Laden, das „Bon Bon“ am Stuttgarter Platz, abgeben musste, weiß Sabine nicht. Nur, dass vom großen Geld nichts übrig war, und dass er sie oft anrief, weil’s ihm dreckig ging. Dann hat er wieder was erzählt: „Ick mach’ ’ne Eisdiele auf.“ „Ick koof ’ne Schlossetage.“ Sie hat dann irgendwann seine Nummer gesperrt.
Im Frühjahr starb seine Mutter, im Sommer starb er. Seine letzten Monate hatte er in einer Pflegestation verbracht, ein gerichtlich bestellter Betreuer kümmerte sich um seine Dinge. Ums Begräbnis aber nicht mehr.
Das machte dann Sabine. Sie ging zur Ex-Frau Inge, zum Autohändler, bei dem Steffen Jacobs immer seine Bentleys gekauft hatte, zum Juwelier, der an ihm gut verdient hatte, und sammelte Geld. Es kam genug zusammen für eine halb anonyme Bestattung. Seine Urne kam in eine Wiese, an der Wand dahinter gibt es eine Plexiglasscheibe, in der neben all den anderen sein Name mit Geburts- und Sterbejahr eingraviert wird. An die 20 Leute waren beim Begräbnis, nicht allzu viele für einen Prinzen.