Wahlen in Berlin: Die Parteien stehen vor einem Viererpatt
Kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus liegen in Berlin gleich vier Parteien fast gleichauf. Für wen wird das knappe Rennen zum Problem? Und wer kann gewinnen und mit wem regieren. Fragen und Antworten zum Thema.
- Robert Birnbaum
- Stephan Haselberger
- Antje Sirleschtov
Wenn Sie auch noch nicht so richtig wissen, wen sie demnächst ins Rote Rathaus wählen sollen: Willkommen im Berliner Club! Zwei Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus zeichnen die jüngsten Umfragen das Bild eines nahezu allumfassenden Patt. SPD, CDU, Grüne und Linke liegen im aktuellen „Ländertrend“ von Infratest-dimap im Auftrag von RBB und Morgenpost praktisch gleichauf, gefolgt von der AfD.
Düster ist diese Perspektive vor allem für die SPD. Nicht genug damit, dass sie als Partei auf den niedrigsten Wert abgesackt ist, den das Institut für die Sozialdemokraten je in der Hauptstadt gemessen hat – auch ihr Regierender Michael Müller fährt neue Minusrekorde ein. Der Erste Bürgermeister teilt sich das traurige Los des unbeliebtesten deutschen Regierungschefs mit dem Bremer Parteifreund Carsten Sieling. Das miese Image seines Senats ist unter allen Landesregierungen sogar völlig ohne Beispiel.
Wenn nicht in den Sommerferien plötzlich neue Einsichten die Wähler überkommen, könnte ein kurioser Wahlabend am 18. September bevorstehen und verzwickte Zeiten danach. Wer der oder die künftige Regierende wird, scheint vom Zufall abzuhängen. Mehrheiten gibt es nur im Dreierpack. Und für manchen in der Bundespolitik könnte die Hauptstadtwahl zum Menetekel werden.
Wie ist die derzeitige Lage?
Über die Berliner Verhältnisse sind sich die Wahlforscher durchaus uneins – das Forsa-Institut wertete die SPD durchweg besser und die AfD weit schlechter als die Kollegen. Bemerkenswert ist aber, dass die dimap-Forscher praktisch zu den gleichen Zahlen kommen wie eine Woche vorher die Kollegen von Insa: 21 Prozent für die SPD, 20 (19) für die CDU, 19 Grüne, 18 Linke, 13 (14) AfD.
Müllers persönliche Beliebtheit ist bei dimap um fünf Prozentpunkte auf nur noch 42 Prozent Zufriedene gesunken, ein Wert wie bei Vorgänger Klaus Wowereit kurz vor dem Rücktritt. Dass ein Fünftel der Befragten ihn gar nicht kennt, trägt zum blassen Bild bei.
Welche Koalitionen scheinen möglich?
Dass das Reiseunternehmen FlixBus das Oneway-Ticket von Berlin nach Magdeburg gerade mit sieben Euro bewirbt, sollte den Strategen der Berliner Parteien ein Fingerzeig sein. Ein Besuch bei den Parteifreunden in Sachsen-Anhalt könnte im September sinnvoll werden. Dort weiß man seit März, was es heißt, wenn bisher Große verlieren und bislang Kleine gewinnen. Zu zweit würde nach den jüngsten Umfragen nämlich auch in Berlin nichts mehr gehen, die große Koalition wäre zu klein. Bleiben nur zwei Dreierbünde: Rot-Rot-Grün oder Kenia, also SPD mit CDU und Grünen. Nur ein beeindruckender Wiedereinzug der FDP könnte weitere exotische Varianten ermöglichen. Politisch und nicht bloß mathematisch betrachtet wird viel vom Abschneiden der SPD abhängen. Wird sie stärkste Kraft, erscheint ein Kenia-Bündnis mit CDU und Grünen ebenso möglich wie der Bund mit Grünen und Linken. Was kommt, dürfte auch vom SPD-Innenleben abhängen: Überlebt Müller einen knappen Sieg?
Wird hingegen zufällig die CDU stärkste Partei, spricht alles für Kenia; obsiegen die Grünen, dürfte Grün-Rot-Rot das einzige innerparteilich durchsetzbare Bündnis sein. Mit einem Linken als Regierenden rechnet im Moment ernsthaft noch niemand.
Was steht in Berlin bundespolitisch auf dem Spiel für…
…die SPD?
Wenn sie an deprimierende Umfragewerte und den angeschlagenen Vorsitzenden denken, trösten sich die Genossen gern mit der Erfolgsbilanz in großen Städten. Städte mit mehr als 400.000 Einwohnern werden fast ausnahmslos von Sozialdemokraten geführt. Die SPD nennt sich stolz „Metropolenpartei“. Klar, dass sie auch in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen regieren will. „Berlin ist für die SPD als Partei der Metropolen wichtig“, warnt vorsorglich Bundesvize Ralf Stegner. „Wir müssen am Ende vor der Union liegen.“
Gelingt das nicht, dürfte es auch für Sigmar Gabriel eng werden. Der SPD-Chef steht intern seit Wochen in der Kritik, seine Lage wird weithin als „instabil“ beschrieben. Etliche in der Partei zweifeln an seiner Eignung zum Kanzlerkandidaten, manche selbst in der Führung wollen ihn auch als SPD-Chef ablösen. Ihre Stunde könnte am Abend der Berlin- Wahl gekommen sein. Der SPD droht schon bei der Landtagswahl am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern eine Niederlage. Müsste sie zwei Wochen später auch noch das Amt des Regierenden Bürgermeisters abgeben, könnte Gabriels Maß der Misserfolge voll sein.
…die CDU?
In der Bundes-CDU gilt die Berliner Tochter seit Langem als leicht missratenes Kind. Vorsichtshalber behauptet daher jeder, der in der Bundespartei etwas zu sagen hat, dass ihn die Hauptstadtwahl nicht interessiere. Tatsächlich ist das Berliner Wählervotum für Parteichefin Angela Merkel weit weniger wichtig als das in ihrer mecklenburgischen Heimat zwei Wochen vorher. Dort könnte es zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder einen CDU-Ministerpräsidenten geben. Wenn die AfD nicht vom sinkenden Bundestrend mit nach unten gezogen wird, werden aber zugleich im Nordosten die Rechtspopulisten einmal mehr zu den großen Wahlgewinnern. Ein zusätzliches starkes Abschneiden der Berliner Truppe um Beatrix von Storch gäbe den Kritikern von Merkels Flüchtlingspolitik ganz sicher neuen Anlass für gallige Kommentare.
…für die Grünen?
Die Bundes-Grünen können der Berlin- Wahl mit großer Gelassenheit entgegensehen. Das liegt vor allem daran, dass sie die Erwartungen nicht so hoch gesteckt haben wie vor fünf Jahren. Damals versuchte Renate Künast vergeblich, Regierende Bürgermeisterin zu werden. Den Anspruch erheben die Berliner Grünen diesmal gar nicht erst. Erreichen sie ein gutes zweistelliges Ergebnis und sichern sich eine Regierungsbeteiligung, hilft das auch der Partei im Bund. Die will 2017 schließlich auch endlich wieder mitregieren – sei es in einer schwarz-grünen oder rot-rot-grünen Koalition.
…für die Linke?
Die braucht nach etlichen bösen Schlappen, zuletzt vor allem in Sachsen-Anhalt, dringend einen Wahlerfolg. Die Berliner Genossen sollen ihn liefern. Wobei Erfolg bedeutet: Regierungsbeteiligung. Im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale, hoffen sie deshalb auf eine rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt. Die soll dann auch Signalwirkung für die bisher eher zögerlichen Versuche entfalten, ein Linksbündnis für den Bund attraktiv zu machen.
…für die AfD?
Für die Alternative geht es in den zwei Landtagswahlen im Herbst um viel, wenn nicht um alles. Raketenartiger Aufstieg auf dem Höhepunkt einer Krise, gefolgt von inneren Kämpfen und steilem Abstieg – was die Anti-Euro-Partei schon einmal erlebt hat, kann der Anti-Flüchtlings-Partei gleich wieder widerfahren. Wenn ihr Triumphzug aus dem Frühjahr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt weitergeht, kann die AfD darauf hoffen, auch bei der Bundestagswahl kräftig mitzumischen. Umgekehrt gilt: Misserfolg gebiert Missmut, und Missmut führt zu Misserfolgen.
…und für die FDP?
Für die FDP war Berlin immer ein schwieriges Pflaster. Glaubt man den Umfragen, bleibt das auch so. Je nach Institut werden die Liberalen mal drin im Abgeordnetenhaus gesehen und mal draußen. Die Erwartungen in der Partei schwanken denn auch zwischen trüber Vorahnung und stiller Hoffnung bis hin zum Traum von einer Bürgermeistermacher-Rolle. Auf dem Spielplan von Parteichef Christian Lindner für die Wiederauferstehung der Bundes-FDP spielen Mecklenburger und Berliner aber so oder so nur eine Nebenrolle – für ihn als Person und die FDP als Partei wird die Landtagswahl in Lindners Heimat NRW im Mai 2017 die entscheidende Vorgabe für das Bundesfinale im folgenden Herbst.