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Alles wie immer. Noch ist in der Fliegersiedlung am Tempelhofer Damm nicht viel zu merken von den Zuzüglern.
© Kai-Uwe Heinrich

Flüchtlingsunterkunft in Berlin: Die neuen Nachbarn in Tempelhof

Skepsis und Neugier – was die Anwohner über die Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Flughafen denken.

Eine Grenze aus vier Fahrspuren und einem Grünstreifen – der Tempelhofer Damm. Auf der einen Straßenseite stehen Häuser mit von Abgasen ergrauten Fassaden, ältere Bewohner gehen mit ihren Hunden spazieren, an einem Balkon hängt ein Deutschlandfähnchen. Auf der anderen Straßenseite sollen bald mehr als 6000 Flüchtlinge leben: In den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof, in der ehemaligen Blumenhalle und auf dem südlich angrenzenden Freigelände – dort sollen Traglufthallen als Notunterkünfte errichtet werden. Es entsteht ein Flüchtlingszentrum von der Größe einer Kleinstadt.

Mehr als 2000 Menschen sind bereits in den Hangars 1, 3 und 4 untergebracht. Es gibt kaum Privatsphäre, in den großen Hallen trennen nur weiße Wände die Reihen von Doppelstockbetten. Es gibt keine Aufenthaltsräume, keine Beschäftigung. Toiletten, Duschen und Waschräume fehlen. Hinter den Hangars spielen Kinder Fußball, mit bloßen Füßen.

Wenn Christine Springefeld über den Tempelhofer Damm schaut, sieht sie davon nichts. Stattdessen blickt sie auf einen Zaun und rote Mauern. Die 49-jährige Rentnerin, mit dem kurzen graumelierten Haar, führt vor ihrem Haus ihren Terrier aus. „Wir Anwohner kriegen nicht viel von den Flüchtlingen mit“, sagt sie. „Außer wenn die mit den Bussen zum Schwimmbad gebracht werden.“ Springefeld sagt, sie beginne sich unwohl zu fühlen, angesichts so vieler Flüchtlinge. „Weil ich die Sprache ja nicht verstehe“, sagt sie. Deshalb fahre sie in letzter Zeit auch ungern mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die jugendlichen Flüchtlinge dort machten sie unsicher.

Die neuen Nachbarn tun ihm leid - Angst vor Einbrüchen gibt es auch

Ihre diffuse Furcht vor den Fremden teilt sie mit dem Mitarbeiter im Eurogida-Supermarkt am Platz der Luftbrücke. „Ich glaube, es wird Schwierigkeiten geben“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Es gebe bereits vermehrt Einbrüche im Bezirk. Trotzdem tun ihm die Nachbarn leid. „Einmal habe ich einen Mann aus der Unterkunft beobachtet, wie er vor dem Geschäft eine Weintraube vom Boden aufgelesen, sauber gewischt und dann gegessen hat. Das ist schon sehr traurig“, sagt er. Es habe ihn nachdenklich gemacht.

„Grenzenlos telefonieren“ – das verspricht ein kleines Plakat am Internet- und Postshop „SurfPoint“ schräg gegenüber von Eurogida. Hier arbeitet Niyazi Kanal, 33, seine schwarzen Haare hat er zu einem kleinen Dutt zusammengebunden. „Das erste Problem, das die Flüchtlinge haben, ist, eine Verbindung in die Heimat herzustellen“, sagt Kanal. Der „SurfPoint“ hat dafür die Lösung parat. „Mittlerweile verkaufen wir zehn bis zwanzig SIM-Karten mit Internet am Tag.“ Ihm sei aufgefallen, dass viele Flüchtlinge zu dünn angezogen seien, keine wetterfesten Schuhe hätten. „Da frage ich mich schon, wie es denen da drüben so geht“, sagt Kanal. In den Laden gehen die Flüchtlinge lieber als in andere Shops in der Nähe, weil einige Mitarbeiter Kurdisch oder Urdu sprechen. Aber auch wenn es mit der Sprache mal nicht so gut klappt: „Irgendwie kriegen wir das hin“, sagt Kanal.

Die Initiative 100 Prozent Tempelhof befürchtet eine Bebauung des Flugfelds

Das glaubt auch Ed Koch, Geschäftsführer des Tempelhofer Forums, der sich schon lange mit dem ehemaligen Flughafengelände beschäftigt. „Zum Glück gibt es hier keine Demos wie in Dresden oder anderswo“, sagt er. Ihn ärgert vor allem die Position der Initiative „100 Prozent Tempelhof“, die befürchtet, dass die Errichtung der Traglufthallen die Entscheidung der Bürger gegen eine Bebauung aushebeln soll. „Zum Zeitpunkt des Entscheids hatten wir nicht diese Flüchtlingssituation. Wir müssen jetzt alle umdenken“, sagt Koch. Das Tempelhofer Feld sei schließlich größer als der Central Park in New York. „Da können und müssen wir eine ganze kleine Stadt einrichten.“

Auch Vera Lüters, graues Haar, Brille, aktiv im Nachbarschaftszentrum Tempelhof-Schöneberg, sieht kein Problem darin, dass in den nächsten Tagen und Wochen alle Hangars belegt werden sollen. „Ich erlebe eine große Bereitschaft zu helfen“, sagt sie. Es gäbe viel Interesse, mit den Menschen in den Unterkünften in Kontakt zu treten, auch kulturell voneinander zu lernen. „Allerdings wächst bei einigen auch die Skepsis, weil Politiker Sorgen schüren“, sagt Lüters. Sie ist sich aber sicher: „Flüchtlinge sind keine Belastung für den Bezirk, sondern eine Bereicherung.“ Kommende Woche will sie sich mit den Betreibern der Unterkunft treffen, um herauszufinden, wie der Nachbarschaftsverein helfen kann.

Kita-Leiterin: „Hier sind jedes Kind und seine Eltern willkommen.“

Manchmal verschwindet eine Grenze, wenn man die Straßenseite wechselt. Entlang des Tempelhofer Damms reiht sich eine Kindertagesstätte an die nächste. Auf einem Fensterbrett stehen Kindergummistiefel, die mit Kapuzinerkresse bepflanzt sind. Die Kinder aus den Hangars können erst zur Schule gehen, wenn sie registriert sind. Doch schon jetzt stellt sich für die Kindergärtnerinnen die Frage: Wie gehen wir mit Traumata um? Maxi Küster ist Leiterin der Kita in der Ringbahnstraße. Sie hat eine Ausbildung zur Trauerbegleitung begonnen, denn die Kinder hätten oft Verlust und Tod erlebt. „Wir gehen mit der Situation ganz offen um“, sagt sie. Wichtig ist ihr vor allem eines: „Hier sind jedes Kind und seine Eltern willkommen.“

Am Platz der Luftbrücke stehen noch die alten Wegweiser zu den Terminals, zu denen seit Langem kein Flugzeug mehr gerollt ist. In Schwarz auf gelbem Grund steht da, worum es hier geht: Ankunft.

Pascale Müller

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