Frauen unter Attraktivitätsdruck: „Die MILF ist ein Gütesiegel“
Kinder, Karriere und der Zwang zur Sexyness. Ein Gespräch mit der Autorin Katja Grach über Frauenbilder und den Selbstoptimierungsstress von Müttern.
Frau Grach, Sie beklagen in Ihrem Buch den Attraktivitätsdruck, dem sich Mütter sogar schon direkt nach der Geburt und auch später ausgesetzt fühlen. Was hat sich geändert?
Früher war das Thema sexuelle Attraktivität nicht so stark mit der Mutter verknüpft, weil es sich kulturhistorisch ausgeschlossen hat. Stichwort: Heilige und Hure. Mittlerweile ist der Attraktivitätsdruck, den es auf Frauen grundsätzlich schon immer gab – der sich aber auf junge Frauen bezog –, auch auf die Mütter übergeschwappt.
Wie äußert sich das?
Man merkt es sehr stark daran, wie das Thema öffentlich diskutiert wird. Ob zum Beispiel der Körper einer Frau wieder dem Zustand vor der Geburt entspricht. Ganz besonders offensichtlich wurde das bei dem Fotoshooting von Herzogin Kate, das direkt nach der Geburt stattfand. Bei der ersten Geburt war das große Aha, dass sie den Post-Schwangerschaftsbauch zeigte, der in der Form woanders nie medial präsent war. Bei den weiteren Geburten wurde dann aber wieder auf eher schlank inszeniert. Auch wie schnell sie immer gleich top in Form kommt, ist großes Thema.
Wie wollen die Frauen aussehen?
Möglichst schlank. Was besonders schwierig für Mütter einzuhalten ist. Gerade wenn man nach der ersten Geburt merkt, wie der Bauch sich verändert hat. Möglichst haarlos zu sein, gehört im Sinne der Körperästhetik ebenfalls zum guten Ton. Und das ist eben alles mit sehr viel Arbeit verbunden. Das ist eine sehr große Zeitinvestition.
Welche anderen Strapazen nehmen Frauen auf sich, um attraktiver zu sein?
Was Schönheitsoperationen betrifft, liegt die Korrektur von Schamlippen voll im Trend. Mit Korrektur ist die Verkleinerung der inneren Schamlippen gemeint. Gleichzeitig gibt es so etwas wie eine G-Punkt-Aufspritzung. Es wird so getan, als ob man alles Mögliche verschönern müsste. Im Trend ist auch, sich einen großen Po anzutrainieren. Also nicht dass man ihn einfach so hat, weil man sich wenig bewegt. Sondern der muss möglichst knackig sein und die Taille möglichst schmal. Dafür werden Kniebeugen gemacht, die heute Squats heißen. Und ein Sixpack, wie Veronica Ferres das letztens in einem „Bild“-Interview hat verlauten lassen, gehört ebenfalls dazu.
Sie schreiben, das Ideal, an dem sich viele Frauen orientieren, sei die MILF. Können Sie dem nicht pornoaffinen Leser erklären, was eine MILF ist?
Der Begriff stammt aus der Teenie-Komödie „American Pie“ Ende der 1990er Jahre, in der eine sehr attraktive Mutter eines College-Studenten so benannt worden ist. Die Pornoindustrie hat diesen Begriff, die „Mom I’d like to fuck“, aufgenommen, um eine Kategorie zu haben, in der auch über 20-jährige Frauen auftauchen. Das Ideal, das in den Medien als MILF betitelt wird, bezieht sich allerdings stark auf Promifrauen, die nach der Geburt wieder sehr schnell erschlankt sind. Eine Heidi Klum, die wenige Wochen nach der Geburt schon wieder über den Laufsteg bei Victoria’s Secret stolziert, zum Beispiel. Es geht dabei um Frauen, die alles verkörpern: Kinder und Karriere verknüpft mit sexueller Attraktivität unter einen Hut bringen. Dazu noch Beziehungen, die tadellos funktionieren. Oder eben wie bei Heidi Klum einen jungen Lover bei Laune halten. Natürlich schaffen diese Promifrauen das nicht alles alleine, sondern sie haben einen ganzen Hofstaat, der ihnen hilft. Aber es schaut nach außen halt so aus.
Es ist also ein allgemeiner Leistungsgedanke, der dahintersteckt?
Genau, es geht vor allem darum, dass man das jetzt auch noch schafft, neben vielen anderen Dingen. Es würde nicht reichen, nur als Mutter attraktiv zu sein. Aber die sexuelle Attraktivität ist eben das Sahnehäubchen, das jetzt noch dazukommt.
Welche Art von Frau ist denn besonders empfänglich, diesem Ideal nachzueifern?
Diesen Leistungs- und Selbstoptimierungsdruck, den tragen wir alle in uns. Der bezieht sich auf viele gesellschaftliche Bereiche. Doch gerade nach der Geburt des ersten Kindes ist die Enttäuschung darüber, dass der Körper nicht mehr so ist, wie er mal war, besonders groß. Das Leben verändert sich. Dass es ein großes Bedürfnis gibt, als Frau weiterhin als sexuell attraktiv wahrgenommen zu werden, ist ja legitim. Aber wenn dieser Gedanke von außen kommt und ständig medial wiedergekäut wird, verstärkt das natürlich den Druck auf die Frauen.
Ist es nicht so, dass zumindest Mütter in einer festen Partnerschaft – die ja schließlich keine sogenannte Torschlusspanik mehr haben sollten – endlich befreit sind von dem Zwang, ständig perfekt aussehen zu müssen?
Dieser Selbstoptimierungsdruck macht ja vor Beziehungen nicht halt. Mittlerweile gibt es den Begriff Power Couple. Beide Partner sind quasi die Superchecker in allen Bereichen. Die Beziehung kriegen sie bis zum Optimum hin, mit einer sexuellen Leidenschaft und romantischer Liebe bis zum 80. Lebensjahr. Der Haushalt wird gleichberechtigt aufgeteilt und das mit den Kindern funktioniert auch tadellos. Das sind Ansprüche an heutige Beziehungen, die unsere Elterngeneration noch nicht im Kopf gehabt hat. Hinzu kommt gleichzeitig die Angst vor dem Scheitern der Beziehung. Angesichts der hohen Scheidungsraten ist es fast schon ganz normal, dass man sich in der Lebensmitte einen neuen Partner oder eine neue Partnerin sucht. Und dann sollte man mehr oder weniger in Schuss sein, so der Gedanke. Das ist anders als die Lebensrealität noch vor 40 Jahren.
Sie schreiben, dass es selbst unter attraktiven Promifrauen klare Kriterien gibt, welche Mütter als MILF betitelt werden und welche nicht. Wer gehört denn in den Kreis und wer ist nicht dabei, und warum?
Es gibt einen amerikanischen Ratgeber „Got Milf?“ von Sarah Maizes, der sagt zum Beispiel, dass eine Britney Spears keine MILF ist. Ihr wurden die Kinder abgenommen und dann hat sie sich auch noch eine Glatze rasiert. Das passt nicht mehr. Demi Moore schon eher. Mir ist beim Nachforschen über die MILF aufgefallen, dass Frauen, die nicht weiß sind, in der Klatschpresse nicht als MILF bezeichnet werden. Eine Jennifer Lopez, die ja Zwillinge hat, wird in Zeitschriften nicht so benannt. Latinas oder Women of Color wurden kulturhistorisch gesehen extrem sexualisiert. Sie galten seit jeher als exotisch und überaus fruchtbar. Deshalb gibt es bei ihnen diesen Tabubruch nicht. Und um diesen Widerspruch geht es ja. Obwohl sie eine Mutter ist, möchte ich Geschlechtsverkehr mit ihr haben. Der ökonomische Status ist außerdem wichtig. Eine MILF ist gut situiert, gebildet und hat Geld auf dem Konto.
Wie hat sich denn bei uns kulturhistorisch gesehen das Mutterbild gewandelt?
Durch unsere christliche Tradition haben wir eine sehr starke Zweiteilung zwischen der guten und braven Frau, der Heiligen, die zwar auch Mutter ist, aber nicht das Sexuelle in die Mutterschaft mitbringt, sondern dieses Aufopferungsvolle, und – diametral gegenüber – der Hure. Sie steht für die selbstbestimmte Sexualität und widerspricht allem, was mit Mutterschaft zu tun hat. Dämoninnen, Hexen oder die Femme Fatale sind immer die, die bestraft worden sind, kulturhistorisch in der Literatur, im Film, oder in der Realität. Durch die Frauenbewegung und durch die Popkultur in den 1990ern hat sich dieser Widerspruch zunehmend aufgelöst. Das Heilige und das Huren-Ding haben sich stark vermischt. Es ist in geworden, ein bisschen böse und verrucht zu sein. Langweilig, prüde und feministisch zu sein, ist quasi das Gegenteil dazu.
Ist es nicht auch ein Zeichen von Emanzipation, dass sich die moderne Mutter von dem Bild der Heiligen befreit hat?
Auf der einen Seite ist es ein Zeichen von Emanzipation, weil es mehr Varianten gibt. Gleichzeitig gibt es diese gewisse Erwartungshaltung. Wenn man das alles nicht erfüllt, dann ist man irgendwie langweilig oder gilt als Versagerin. Wenn es diesen äußeren Druck gibt, dann haben wir nicht so viel Freiheit, wie wir meinen. Das Akronym MILF ist schließlich eine Fremdzuschreibung von heterosexueller männlicher Seite. Es klingt so ähnlich wie ein Gütesiegel. Wenn mich jemand so nennt, dann bin ich etwas wert. Und so soll es ja nicht sein. Es gibt tausend verschiedene Formen von Attraktivität und davon, was sexy ist.
Haben denn tatsächlich die Ansprüche, die Männer an das Äußere von Frauen haben, so stark zugenommen?
Ich glaube nicht, dass die Männer die Schuldigen sind. Es ist nicht das Patriarchat, sondern mehr die Selbstoptimierungsgesellschaft, in der wir leben. Für alle Lebensbereiche – ob das jetzt Erziehung, Ernährung, Fitness, Arbeit oder Sexualität ist – gibt es tausend Ratgeber. Überall sollen wir das Optimum erreichen. Und das hat eben vor dem Thema Attraktivität nicht haltgemacht. Durch die digitale Fotografie, die die Selbstinszenierung auf Instagram oder anderswo ermöglicht, und durch die Werbung haben wir ein sehr unrealistisches Bild von der Wirklichkeit.
Wie wirkt sich das alles auf die jüngere Generation aus?
Als Sexualpädagogin ist meine Hauptaufgabe, zu entlasten. Auf der einen Seite werden durch Teenie-Filme wie „Twilight“ übertrieben romantische Beziehungsideale hergestellt. Auf der anderen Seite gibt es die Pornografie. Viele wollen den Schönheitsidealen genügen und tun einiges dafür. Jungs trainieren schon früh im Fitnessstudio und für Mädchen entsteht dadurch der Eindruck, dass ein Sixpack in der Pubertät auf wundersame Weise wächst. Genauso, wie es wenig Bewusstsein bei Jungs gibt, dass auch Mädchen Körperbehaarung haben. Diese Arbeit am Körper, die dahintersteckt, ist etwas, was Jugendliche schon viel mehr beschäftigt als vor zehn oder 20 Jahren. Das Ganze wird dann noch wirkungsvoll für Instagram inszeniert. Machen Erwachsene ja auch. Doch was Likes bringt, ist halt nicht die Realität, sondern die Arbeit an der perfekten Inszenierung. Damit generieren wir ein falsches Bild der Wirklichkeit. Außerdem gibt es eine verfälschte Körperwahrnehmung durch die ständige Verwendung von Filtern.
Wie kann man seine Kinder darin bestärken, dem zunehmenden Attraktivitätsdruck nicht allzu sehr nachzueifern?
Am besten sich selbst an die Nase fassen und schauen, wie man über seinen eigenen Körper spricht und welche Kommentare man über die Körper anderer Menschen macht. Bei Mädchen zielt das erste Kompliment häufig auf das Äußere. Wie hübsch das Kleid ist. Wie hübsch die Haare sind. Wir könnten uns mehr bemühen, Komplimente für Eigenschaften zu geben, die mit geistigen oder körperlichen Fähigkeiten zu tun haben. Insgesamt geht es darum, mehr Vielfalt und Komplexität vorzuleben. Zeigen, dass Schönheit viele Facetten hat und dass Menschen wertvoll sind, so, wie sie sind.
Katja Grach ist Sexualpädagogin und Geschlechterforscherin. Auf ihrem Blog krachbumm.com schreibt sie über Lifestyle, Sex und Elternschaft. Mit ihr sprach Saara von Alten.
Das Buch „MILF-Mädchenrechnung – Wie sich Frauen heute zwischen Fuckability-Zwang und Kinderstress aufreiben“ ist bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen und kostet 14,99 Euro.