Reichenberger Straße: Die Mietsozialisten von Kreuzberg
In einem "Bezirkshaus" kämpfen die Bewohner gegen die Gentrifizierung. Sie kürzen dem grünen Bürgermeister Franz Schulz die Miete.
Das Haus steht da, wo Kreuzberg noch Kreuzberg ist. In der Reichenberger Straße hält man nicht viel von aufgehübschten Altbauten. Die Haustüren sind voller Graffiti, Aufkleber besagen, dass Nazis unerwünscht sind. In Erdgeschoss-Wohnungen sitzen junge Männer mit Wollmützen auf dem Kopf am Rechner und sind kreativ. Eine Unternehmensberatung macht in „Umwelttechnik“. Türken betreiben Bäckereien und Cafés. Die „Schultheiß Bierstube“ hat sich aus alten Zeiten in eine Gegenwart gerettet, in der sich viele in Kreuzberg um dieses Kreuzberg Sorgen machen. „Reclaim your city“, liest man in Hauseingängen – eine Parole gegen die Gentrifizierung, die Aufwertung der Gegend, wobei „Aufwertung“ steigende Mieten bedeutet.
In Nummer 63a machen sie das nicht mehr mit. Die Mieter des Hauses haben in der Bezirksverordnetenversammlung demonstriert und den Bürgermeister verbal angegriffen. Denn das Haus, in dem sie wohnen, ist ein besonderes: Generalmieter ist der Bezirk, der es an die Bewohner weitervermietet hat. Jetzt zeigen die Leute aus der Nummer 63a dem grünen Bürgermeister Franz Schulz, was sie von seiner Politik in Kreuzberg halten: Sie kürzen ihm die Miete.
So was geht wohl nur in Kreuzberg. Der Bezirk hatte ganze Häuser gemietet, um mit Wohnungen Konflikte zu lösen – ein politisches Konzept aus der Hausbesetzerzeit und den rauen achtziger Jahren. Die Reichenberger Straße 63a war, so erklärt es die frühere grüne Baustadträtin Franziska Eichstädt-Bohlig heute, ein „Bezirkshaus“ unter mehreren. Hier wurden Mieter untergebracht, die aus ihren Wohnungen im Sanierungsgebiet raus mussten. Und ein paar Hausbesetzer konnte man gleich mit unterbringen, indem man ihnen das Hinterhaus vermietete.
Heute zeigt sich, dass diese Art der Konfliktminimierung den Bezirk über die Jahre einiges gekostet hat. Seit 2002 bis zum September 2010 sind einige Bewohner des Hauses Nr. 63a dem Generalmieter Bezirksamt 331000 Euro schuldig geblieben. Dort nahm man das hin. Auf den Einsatz von Gerichtsvollziehern verzichtete das Bezirksamt – „in Kenntnis der finanziellen Möglichkeiten“ der Mieter, wie es in der Antwort auf eine kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Sebastian Czaja heißt, „da keinerlei Vermögenswerte erkennbar sind“.
Die Reichenberger Straße 63a ist inzwischen das letzte „Bezirkshaus“, wie der grüne Bürgermeister Franz Schulz versichert. Der Bezirk als „Generalmieter“ – das ist für Schulz nicht mehr zeitgemäß. Da gebe es Gegenden in Kreuzberg, wo die Mietsteigerungen viel bedrohlicher seien, sagt er.
In der Reichenberger Straße 63a sehen sie das etwas anders – und sie können erklären, warum. Das gilt jedenfalls für die Mieter, die über die Lage reden wollen, es sind ein paar junge Leute aus dem Vorderhaus. Die Mieter des Hinterhauses, die als alternatives Wohnprojekt „Trottke“ firmieren, wollen gar nicht erst reden.
Florian und Gernot aus dem Vorderhaus gehören zu denen, die den Protest in die BVV getragen haben unter dem Motto „Mietsteigerungen im Reichenberger Kiez stoppen!“ Für sie sind die angekündigten Mietsteigerungen ein Politikum. Zugespitzt gesagt: Das Bezirksamt trägt aktiv zur Gentrifizierung bei. Das kann man sich in diesem Haus mit seiner sich sehr links verstehenden Bewohnerschaft nicht bieten lassen.
Bei Florian W., Anfang 30, Student, grüßt Che Guevara von der Flurwand. Auf dem Tisch in seinem WG-Zimmer liegt „International Socialism“. Er beobachtet die Gentrifizierung in Kreuzberg und verweist zum Beispiel auf das „Carloft“-Haus im nächsten Block, wo man das Auto per Lift mit auf die Wohnetage nehmen kann. Für Florian W. sind es die Leute mit Geld, die den Kiez verändern, aber nicht besser machen. Sie wollen chicen, schönen Altbau-Luxus und können dafür zahlen. Das treibt die Mieten in die Höhe. Simone, auch eine Streiterin gegen die Mieterhöhung, sagt über die wohlhabenden Neu-Kreuzberger, sie kämen wegen der Kreuzberger Mischung, „aber sie tragen nichts dazu bei“.
Von der Politik sind die drei enttäuscht. Florian hält für bloßes Gerede, was er zum Mietenproblem vom Senat oder dem grün geführten Bezirksamt hört. Sollte es den Willen geben, Leute mit geringem Einkommen in Kreuzberg zu halten, gehe das nur mit Subventionen, meint Florian. Dass er und seine Mitstreiter aus der Reichenberger Straße 63a damit auf Kosten der Steuerzahler leben, kann er nicht finden. Indem man für niedrige Mieten kämpfe, tue man etwas für die Gegend, sagt er. Denn niedrige Mieten halten den Mietspiegel niedriger.
Man sei bereit, mehr Miete zu zahlen, sagt Florians Mitstreiter Gernot. Der Bezirk aber versuche, „Fakten zu schaffen“: Das Bezirksamt schreibe bedrohliche Briefe, in denen rechtliche Schritte angedroht würden, während über die „Reiche63“ noch politisch in der BVV diskutiert werde. Gernot plus Mitbewohner sollen für 2,5 Zimmer nicht mehr 580 Euro zahlen, sondern 720 – bei eher unsicheren Lebensverhältnissen. Sicher, der Bezirk habe „kaum noch Geld“, gibt Florian W. zu. Aber das liege daran, dass die Kommunen ausgepresst würden, um Banken mit Milliardensummen zu retten. „Wir sind an dem ganzen Scheiß nicht schuld.“ Werner van Bebber
Werner van Bebber