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Sogar Kerzen wurden aufgestellt. Dabei gibt es gar keinen Toten.
© dpa

Der angebliche Tote am Lageso in Berlin: Die Lüge ist ein Drama, aber keine Katastrophe

Ist die Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer durch die erfundene Geschichte vom toten Flüchtling diskreditiert? Nein. Dennoch ist das Geschehen eine Warnung. Ein Kommentar.

Der dramatische Facebook-Eintrag eines freiwilligen Helfers am Lageso über den nächtlichen Tod eines von ihm betreuten, beim Warten in der Kälte erkrankten Flüchtlings aus Syrien ließ gestern einige in der Stadt komplett durchdrehen. Sozialsenator Czaja wurde von völlig enthemmten Zeitgenossen als Mörder beschimpft, Oppositionspolitiker forderten seinen Rücktritt, andere Senatoren bekundeten tiefe Trauer, pathetische Todesanzeigen wurden verbreitet, Kerzen entzündet - der Konjunktiv ertrank schnell in einem Meer der Emotion.

Nur: Es gab keinen Toten. Es fand sich nicht der behauptete Notruf, nicht der Krankentransport und auch keine Klinik, die einen solchen Fall kannte. Der Helfer hatte sich in seiner Wohnung verbarrikadiert, war nicht zu sprechen, wollte, wie er per SMS schrieb, seine Ruhe. Am späten Abend gab er zu:Es war alles erfunden.

Bezeichnend für Zustände am Lageso

Eine Katastrophe, wie es schnell hieß? Nein, ein Toter wäre die Katastrophe gewesen. Die Lüge ist nur ein Drama - für die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich jetzt kollektiv ins Zwielicht gestellt sehen, und für den Mann selbst. Was ihn dazu brachte, ist nicht klar. Überforderung? Erschöpfung? Verzweiflung? Ein Schrei nach Anerkennung? Nach mehr Aufmerksamkeit, für ihn, für die Lage der Flüchtlinge? Was auch immer es war, jetzt braucht er selber Hilfe.

Wenn 'Lügen zum Muster für verfehlte Politik' herhalten und der Senat sich dauerhaft auf Vereine wie z. B. Berliner Tafel verläßt, könnte man von Politversagen sprechen.

schreibt NutzerIn ImmerOptimist

Es ist bezeichnend für diese aufgeregte, zuweilen hysterische  Zeit, vor allem aber für die Zustände am Lageso, wie viele Menschen einen solchen beschriebenen Tod sofort für möglich gehalten haben. Die beeindruckende, wichtige Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer ist durch den gestrigen Tag deshalb nicht diskreditiert. Aber vielleicht war es für den einen oder die andere auch eine Warnung - sich nicht selbst zu überschätzen, sich nicht zu überhöhen, auch den Einsatz anderer anzuerkennen.

Menschen machen Fehler. Überall. Über ihre Absichten, ihre Motive sagt das nichts.

Dieser Text erschien zuerst im Checkpoint, dem Berlin-Newsletter von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt.

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