Abschied von einer Traditionsbäckerei in Berlin-Kreuzberg: Die letzten Schrippen direkt aus der Backstube
Die Traditionsbäckerei Kasper in Kreuzberg macht an diesem Sonntag dicht – und folgt so einem traurigen Trend. Haben kleinere regionale Bäckereien überhaupt noch eine Überlebenschance?
Samstag früh um neun ist die Welt an der Kreuzberger Graefestraße 67 für viele Kunden ein letztes Mal in Ordnung. Es kann ja nicht jeder am Sonntag noch mal vorbeischauen, wenn bei Detlef Kasper der Ofen endgültig ausgeht und er seine Bäckerei um 14 Uhr für immer schließt. Krustenbrot? Nina, eine Mittvierzigerin, seit vier Jahren bei Kasper im Laden, reicht einem jungen Mann zwei Laibe rüber. Warm ist das Brot, und es duftet. Es ist der Duft bald vergangener Zeiten. Von Brot, das gerade frisch aus dem Ofen kommt.
„Nichts aufgebacken“, sagt Nina. Die Backstube ist nebenan, gehört zum Geschäft, das 1992 eröffnet wurde und 2017 noch Jubiläum feierte. 25 Jahre Bäckerei und Konditorei Kasper. Doch nun ist hier Schluss mit der traditionellen Backkunst.
Rund 140 eigenständige Bäckereien gibt es noch in Berlin
Also wieder einer weniger, der noch „mit Herz und Hand ... und einem guten Nudelholz“ selbst bäckt, wie es in der Bäckerhymne heißt, die beim Zentralverband des Bäckerhandwerks als Musik in der telefonischen Warteschleife läuft. Rund 140 Betriebe mit eigener Backstube gibt es derzeit in Berlin. 2003 waren es noch 240. Etwa 30 machten seit 2013 dicht. So weit die Verbandsstatistik. Dahinter verbergen sich kleine Kieztrauerspiele wie jetzt bei Detlef Kasper.
Eine lustige Kasperlefigur schmückt die Eingangstür, das Café „Süße Verführungen“ sieht einladend aus, an der Wand hängen dicht an dicht Zertifikate der Deutschen Bäckerakademie für „sehr gute“ Apfeltaschen, Plunder oder Rosinenschnecken, die Preise sind moderat: 1,70 Euro der Cappuccino, 2,50 zwei belegte Brötchen und Kaffee. Und an Kundschaft mangelt es ganz und gar nicht. „Man ist hier per Du“, sagen Stammkunden, „Kasper, das war unser toller Kieztreff.“ Sogar eine Wandzeitung haben sie draußen zum Abschied an die Mauer geklebt. „Danke für Eure Schrippen, Ihr wart spitze“, hat jemand draufgeschrieben. Warum also gibt Detlef Kasper jetzt auf? Der 56-Jährige ist, wie er sagt, an sein „persönliches Limit“ gelangt. Auszubildende und Mitarbeiter seien schwer zu finden, seit Langem stehe er täglich rund um die Woche selbst in der Backstube, von 2 Uhr früh bis 14 Uhr. „Urlaub“, sagt er, ,,kenn’ ich seit zehn Jahren nicht mehr.“ Und die Bürokratie sei „entsetzlich“ geworden. „Dafür habe ich nicht Bäcker gelernt.“ Seit zwei Jahren sucht Kasper einen Nachfolger. Nun will er nicht mehr.
Der Bäckerverband spricht vom Konzentrationsprozess
Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks in Mitte, kennt solche Klagen nur allzu gut. Dennoch mag er nicht von einem Bäckereisterben sprechen. Die Zahl der Betriebe gehe zwar zurück, die Umsätze im Gewerbe seien aber in etwa stabil geblieben. Deshalb spricht Schneider eher von einem „Strukturwandel“ und „Konzentrationsprozess“.
Im Alltag sieht dieser so aus: Brötchen aus dem SB-Backshop, Brot und Kuchen vom Discounter, die Konkurrenz expandierender Ketten drückt die Preise. Was sie liefern, sind in der Regel Teigrohlinge aus industrieller Produktion mit fertigen Backmischungen – vorgebacken, tiefgekühlt, mit Zusatzstoffen versetzt, uniform im Geschmack und an der Theke kurz wieder aufgebacken.
Vor allem einzelnen Läden wie der Bäckerei Kasper fällt es schwer, diesem Druck standzuhalten – obwohl der Graefekiez im Herzen von Kreuzberg noch am ehesten zu den Terrains mit Kunden gehört, die gute Backkunst schätzen. Aber die Liste mit den immer größeren Problemen für kleinere Betriebe ist lang. Daniel Schneider und sein Kollege Johannes Kamm von der Bäckerinnung Berlin haben die einzelnen Punkte parat.
Die Zahl der Azubis hat sich seit 2010 halbiert
Es beginnt mit dem eklatanten Nachwuchs- und Mitarbeitermangel, die Zahl der Azubis hat sich bundesweit und in Berlin seit 2010 halbiert. Hinzu kommt ein „riesiger Bürokratiedschungel“ – von Lebensmittelvorschriften bis zum Mindestlohn – den Großbetriebe leichter bewältigen können als Einzelkämpfer. Außerdem ist der Brotkonsum seit Jahren rückläufig, was viele Bäcker mit Snackangeboten aufzufangen versuchen. „Und schließlich merken wir in Berlin die Folgen der Gentrifizierung“, sagt Johannes Kamm: Steigende Gewerbemieten, Klagen neu zugezogener Nachbarn über Geruch und Lärm des frühen Backbetriebes.
Bäckermeister Klaus Mälzer setzt auf Alleinstellungsmerkmale
Haben kleinere, regionale Bäckereien überhaupt noch Überlebenschancen – trotz alledem? Klaus Mälzer (68), Inhaber der „Ersten Rheinländischen Bäckerei Mälzer“, ist optimistisch. „Man braucht vor allem ein Alleinstellungsmerkmal und gute Qualität als Markenzeichen“, sagt er. „Darauf legen heute wieder mehr Menschen wert.“ Sein Großvater gründete die Bäckerei 1899 in Schöneberg und warb schon damals mit besonderen Brotrezepten vom Rhein, die er als Handwerksbursche auf der Walz leidenschaftlich gesammelt hatte. Sie prägen bis heute Mälzers Image. „Außerdem backen wir noch mit Leib und Seele“, sagt der Chef. Ja, man müsse den Teig gut auswalken, ihm Zeit beim Gehen lassen, „damit sich die Aromastoffe bilden können“.
Vom Besuch einer Backfabrik musste er sich erstmal erholen
1986 übernahm Bäckermeister Klaus Mälzer den Familienbetrieb. Sein Ziel: Handwerkskunst bewahren, aber auf den Markt flexibel reagieren. Dafür ging er Kompromisse ein und vergrößerte den Betrieb. Zu seinem kleinen Backimperium gehören inzwischen sechs Läden im Westen Berlins sowie Verkaufsstände an acht Wochenmärkten. Es gibt eine zentrale Backstube, aber von dort wird die Ware sofort frisch zu allen Filialen ausgeliefert. Vor ein paar Jahren hat Klaus Mälzer eine Backfabrik im Süden Brandenburgs besichtigt. Alles lief automatisch, strikt optimiert, drei Mann überwachten die Produktion. „Als ich heimkam“, erzählt er, „musste ich mich erst mal von dem Schock erholen.“