Berlins Olympia-Bewerbung: Die letzte Hürde
Berlin oder Hamburg? An diesem Montag entscheidet das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbunds über die Bewerberstadt für Olympia. Was und wer gibt den Ausschlag?
Im Saal „Gold“ des Hotel Lindner in Frankfurt am Main haben die olympischen Sportverbände am Sonntag zum letzten Mal über den deutschen Olympiabewerber für 2024 beraten. Ein passender Ort. Denn eine Silbermedaille gibt es in diesem Wettbewerb nicht. Das Städteduell zwischen Hamburg und Berlin läuft auf einen Sieger und einen Verlierer hinaus. Es ist ein knappes Rennen. Und wenn das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an diesem Montag um 15 Uhr zusammensitzt und um 19 Uhr seine Entscheidung bekannt gibt, wird es daher vor allem auf einen Mann ankommen: DOSB-Präsident Alfons Hörmann.
Warum ist der Einfluss des Präsidenten so wichtig?
Die Argumente sind inzwischen fast alle ausgetauscht. Es gibt zwei einander entgegengesetzte Positionen. Die eine besagt, dass die Berliner ihre Bewerbung nicht im Volksentscheid durchbekommen. 55 Prozent Zustimmung in der letzten Umfrage sind nicht die Welt. Und im Allgemeinen lassen sich Nörgler, Skeptiker, Verhinderer leichter mobilisieren als Befürworter und Optimisten. Gerade wenn eine solche Abstimmung nicht an eine Wahl, ob für Europaparlament, Bundestag oder Abgeordnetenhaus, gekoppelt ist und die Menschen sowieso ins Wahllokal zieht.
Die andere Position lautet: Mit Hamburg hat der deutsche Sport international keine Chance. Zu klein. Zu unbekannt. Und vor allem zu unerfahren, was internationale Großereignisse betrifft. Der Präsident eines großen deutschen Sportverbands sagt: „In Hamburg könnten wir für uns noch nicht mal eine deutsche Jugendmeisterschaft veranstalten.“
Beide Positionen sind stark und zwischen beiden klafft ein tiefer Graben. Bei der letzten, entscheidenden Präsidiumssitzung dürfte daher der Präsident seine Meinung unmissverständlich kundtun. Mit dieser Meinung könnte er sich auch durchsetzen. Denn vier der sieben anderen abstimmenden Präsidiumsmitglieder sind erst seit Dezember im Amt. Sie haben eigentlich nicht die Stärke, um die Wahl zu beeinflussen.
Alfons Hörmann hat sich dagegen in seiner jetzt knapp eineinhalbjährigen Amtszeit viel Einfluss und Kompetenz erarbeitet. In manchen Fragen hat er sich sogar von seinem Vorgänger emanzipiert, den zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) aufgestiegenen Thomas Bach.
Wen favorisiert der Präsident?
Es gibt viele Geschichten, Gerüchte und Aussagen über Hörmanns Position in diesem Wettbewerb, die alle von irgendjemand gehört haben wollen. Die meisten davon sind unbestätigt. Beispielsweise, dass er sich einen größeren Abstand zwischen Hamburg und Berlin in der Meinungsumfrage gewünscht habe, um Hamburg leichter durchwinken zu können.
Die Behauptung ist jedoch nicht falsch, dass Hörmann starke Sympathien für Hamburg hegt. Das lässt sich auch aus seiner Biografie und seinen Erfahrungen herleiten. Hörmann ist Unternehmer. In der Baustoffbranche hat sich der 54-Jährige eine finanzielle Grundlage geschaffen, die ihm nun die ehrenamtliche Arbeit als Vollzeitjob ermöglicht. Mit dem Pragmatismus eines Unternehmers führt er auch den DOSB. Und in Hamburg hat er in der Bewerbungsphase viele Menschen getroffen, die ähnlich denken und handeln wie er. Hinter der Hamburger Bewerbung steht die starke Hamburger Wirtschaft. Sie wird getragen vom Hamburger Kaufmannsgeist. Mit der Berliner Mentalität kann der Allgäuer Hörmann weniger anfangen. Er mag es bürgerlicher. Für die CSU hat er in der Kommunalpolitik schon einige Ämter übernommen. Klaus Wowereit hatte ihn auch bei einem der ersten Treffen in Berlin mit seiner Großmäuligkeit vor den Kopf gestoßen.
Erinnern wird sich Hörmann jetzt auch noch mal an eine bittere Abstimmungsniederlage. München hatte für die Olympischen Winterspiele 2022 ein Bewerbungskonzept erarbeitet, das als besonders nachhaltig galt. Deutschland wurden international große Siegchancen nachgesagt. Die Bevölkerung in mehreren bayerischen Kommunen ließ die Bewerbung jedoch platzen.
Hörmann gehörte als Präsident des Deutschen Ski-Verbands zu den Trägern der Bewerbung. Es wären Olympische Winterspiele vor Hörmanns Haustür geworden. Vor dem Volksentscheid hatte die Münchner Bewerbung in einer Umfrage 65 Prozent Zustimmung bekommen, also sogar noch einen Prozentpunkt mehr als diesmal Hamburg in der jüngsten Forsa-Umfrage. Berlin wackelt dagegen mit 55 Prozent. Es ist die Frage, ob Hörmann sich von dieser für den deutschen Sport traumatischen Niederlage der Münchner Bewerbung frei machen kann.
Was könnte Hörmann doch noch umstimmen?
Seine starke Position hat sich Alfons Hörmann im deutschen Sport auch mit Zuhören erarbeitet. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember sagte er, das erste Jahr seiner Amtszeit habe aus 100 Veranstaltungstagen, 1000 Gesprächen und 100 000 Reisekilometern bestanden. Hörmann interessieren dabei gerade auch kritische Positionen. Eines seiner ersten Gespräche als DOSB-Präsident hat er mit Diskus-Olympiasieger Robert Harting geführt, der sich den Ruf als Systemkritiker erworben hatte. Hörmanns offenes Ohr könnte jedenfalls ein Indiz sein, dass er seine Haltung bis zum Schluss offenhält und sich auf der Zielgeraden noch von Argumenten für Berlin überzeugen lassen könnte.
43 Experten aus Politik, Sport und Gesellschaft hat der DOSB noch am Montagmorgen eingeladen, um sich ein letztes Mal beraten zu lassen. Einfluss nehmen werden auch Michael Vesper und Bernhard Schwank, der Vorstandsvorsitzende und der für die Olympiabewerbung zuständige Vorstand des DOSB. Auf ihr Wort legt Hörmann großen Wert. Beide könnten sich eher für Berlin aussprechen.
Ein anderer Punkt ist die Position der Spitzenverbände. Sie haben nach den Präsentationen der beiden Bewerberstädte am Sonntagabend abgestimmt. Das Ergebnis erfährt das Präsidium erst am Montag. Eine klare Zustimmung für Berlin würde Hörmann die Entscheidung für Hamburg schwerer machen. Zumal er angekündigt hatte, das Votum des DOSB-Präsidiums falle im Einvernehmen mit dem gesamten deutschen Sport.
In der Aussprache war allerdings noch kein Übergewicht für Berlin erkennbar. Der Deutsche Handball-Bund zog die Fähigkeit Berlins in Zweifel, die Spiele wirtschaftlich solide durchführen zu können. Der Deutsche Turner-Bund verwies dagegen auf die internationalen Großveranstaltungen im Sport, die Berlin gemeistert habe.
Gab es schon einmal Überraschung bei ähnlichen Entscheidungen kurz vor Schluss?
Die Wahl Leipzigs als deutscher Bewerber für die Sommerspiele 2012 war eine kleine Sensation. Denn eigentlich war Hamburg der Favorit. Düsseldorf kam dahinter. Doch dann lieferte Leipzig eine emotionale Präsentation ab, getragen vom Cellospiel des damaligen Oberbürgermeisters Wolfgang Tiefensee. Und Düsseldorfs Stimmen wanderten hinüber nach Leipzig, weil der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Leipzig als ostdeutschen Kandidaten favorisiert hatte – oder sich vielleicht einfach eine SPD-Connection gebildet hatte. Leipzig siegte jedenfalls. Kam aber beim Internationalen Olympischen Komitee nicht mal in die Endauswahl.
Leipzig ist daher neben München das zweite, jüngere Olympiatrauma des deutschen Sports. Das eine, München, spricht nun für eine Entscheidung für Hamburg. Das andere, Leipzig, aber für Berlin.