Berghain gegen Übersee-Club: Die härtesten Türen von Berlin und Hamburg
Wer kommt rein? Das Berghain in Berlin und der Übersee-Club in Hamburg haben die härtesten Türen ihrer Stadt. Charlotte Parnack und Sebastian Leber stellten sich trotzdem an. Nur einer hat es geschafft.
Berlin, das Ziel. Die Avantgarde will unter sich bleiben. Ein ausgedientes Heizkraftwerk am Berliner Ostbahnhof. Das Berghain gilt als einer der bekanntesten Technoclubs der Welt, die Tür als eine der härtesten. An diesem Freitag ist „Electromotive Force Nacht“, im Internet kursieren Einlasstipps. Zahnspangen, Snowboardjacken und Provinzgehuber sind demnach schlecht. Waffen verboten. Ich habe weder Zahnspange noch Snowboardjacke. Ich bin nicht aus der Provinz, sondern aus Hamburg. Ich besitze keine Waffen. Die Chancen stehen also nicht schlecht.
Hamburg, das Ziel. Die feinen Pinkel wollen unter sich bleiben. Ein Schmuckpalais aus dem 19. Jahrhundert, feinste Lage, direkt an der Binnenalster. Der Übersee-Club gilt als exklusivste Adresse der Stadt. Feierrefugium für die Mächtigen und Reichen. Für die Bosse. Die Pfeffersäcke. Im Übersee-Club, so heißt es auf seiner Homepage, verkehren „herausragende Köpfe“ in „hervorragender Gesellschaft“. Wer reinwill, muss Mitglied sein. Oder wenigstens die Einladung eines Mitglieds vorweisen können. Das kann ich nicht mal ansatzweise.
Berlin, der Plan. Die Berliner mögen lässig sein und hip. Aber eines können sie nicht: verhandeln. Wie stark ich dagegen durch meine merkantile Herkunft geprägt bin, wurde mir jüngst auf einem Flohmarkt in Düsseldorf klar. Ich wollte um einen Kerzenständer feilschen, nur zum Spaß, wie auf dem Fischmarkt. Der Düsseldorfer nahm es ernst, das endete schlecht für ihn: Zuletzt schenkte er mir den Kerzenständer und strahlte immer noch, als hätte er ein Bombengeschäft gemacht. Die Masche müsste doch heute auch funktionieren. Außerdem weiß ja jeder, wie tolerant es zugeht in Berlin, wo Etikette für den Klebezettel am Marmeladenglas gehalten wird. Man lebt nebeneinander, nicht nach Klassen getrennt. Also: Was sollten die gegen mich haben?
Hamburg, der Plan. Die Schnösel vom Übersee-Club mögen Einfluss und Villen besitzen, aber eines nicht: Berliner Kaltschnäuzigkeit. Über die verfügt nur, wer jahrelang in der Hauptstadt überlebt hat. Die täglichen Straßenkämpfe zwischen Fußgängern und Radfahrern, Hundebesitzern und Hundehassern, Yuppies und Gentrifizierungsopfern, sie lehrten mich eines: Im Zweifel siegt nicht das bessere Argument, sondern die größere Dreistigkeit. Wer nur nachdrücklich genug behauptet, recht zu haben, setzt sich durch. Ich werde die Hamburger also überrumpeln. Werde behaupten, ich sei eingeladen, vom Präsidenten himself. Der heißt, habe ich recherchiert, Michael Behrendt. Er war früher Vorstandsvorsitzender von Hapag-Lloyd und verbringt nun viel Zeit auf Sylt. Diesen Herrn könnte ich vom gemeinsamen Krabbenpulen kennen, da könnte er mich doch eingeladen haben in seinen elitären Club. Sollte hinhauen, der Plan. Sofern Behrendt nicht da ist.
Hamburger Stehkragen gegen Berliner Schluffigkeit
Berlin, das Outfit. Ich mache es mir nicht leicht. Ich trage Perlenohrringe, Goldknöpfe und Stehkragen. Hochgeklappt, wie auf einer Cabriofahrt durch Blankenese. Ich sehe aus wie auf einer Afterworkparty der Jungen Union. Andererseits, wenn man bedenkt, dass Berlins Hipster auch nur Moden der Siebziger und Achtziger rekonstruieren, dann bin ich sozusagen der Superhipster: Ich rekonstruiere den Stil meiner Omi.
Hamburg, das Outfit. Im Übersee-Club sind Jackett und Krawatte Pflicht. Ich habe extra meinen Anzug mit nach Hamburg gebracht, Modell Abi-Ball, leicht zerknittert. Aber nichts da, sagt die Kollegin Parnack. Ich müsse mich schon in meiner ganzen Berliner Schluffigkeit präsentieren: Kapuzenpullover, ausgewaschene Jeans, Turnschuhe. Die Kollegin sagt auch, sie gehe davon aus, mein Abend werde todsicher auf einer Hamburger Polizeiwache enden. Aber dass sie mich dort, versprochen, schon irgendwie rausholen werde. Typisch Hamburgerin. Hält sich für allmächtig.
Berlin, das Aufwärmen. Das Restaurant „Schneeweiß“ liegt fußläufig zum Berghain und hat eine Karte mit viel Getrüffeltem und Geschäumtem. Am Tisch neben mir sitzen fünf Männer. Einer von ihnen ist sehr dick. Seine Jogginghose hängt so tief, dass ich beim Essen die Poritze sehen kann wie einen Münzeinwurf. Ich nehme an, dass es sich hier um Berliner Zwanglosigkeit handelt, und löffle tapfer weiter. Später frage ich den Kellner nach dem Weg zum Berghain. „Du meinst, weil eben die DJs neben dir saßen?“, fragt er. „Äh, nein. Weil ich da jetzt reinwill“, sage ich. Er mustert mich und kichert.
Hamburg, das Aufwärmen. Es nieselt, was sonst in dieser Stadt. Es wird dunkel, im Übersee-Club brennt bereits Licht. Erster verstohlener Blick durchs Fenster. Drinnen sitzen Grüppchen vor Ölgemälden und unter Kronleuchtern. Sehr schick gekleidet. Das könnte verdammt schiefgehen. Kleine Panikattacke. Zum Aufputschen noch einen Koffeinbomben-Energydrink.
Berlin, das Anpirschen. Es ist halb eins, aus dem Berghain zucken rötliche Blitze. Von außen erinnert das Gebäude an ein Spukschloss, erstaunlich still. Ich taxiere mein Ziel von der Theke der Wurstbude aus, die vor dem Club steht. Wahrscheinlich ein hoch subventioniertes Würstchen-Start-up, dessen Verkäufer nur auf die Entdeckung seiner genialen Idee wartet, der Würstchen-App. Er ist aber Student, stellt sich heraus. Er will Sozialarbeiter werden. „Versteck den Kragen“, rät er mit sanftem Lächeln. Und dass ich das hier alles nicht persönlich nehmen solle. „Manchmal ist es schwer, man selbst zu sein.“ Derart aufgebaut, nähere ich mich der Schlange. Mein Absatz bleibt im Matsch stecken.
Hamburg, das Anpirschen. Erst mal unauffällig ums Gebäude rum. Die Eingangstür wirkt so gewaltig wie die Pforte von Moria. Jedenfalls ist sie aus massivem Holz, ein Klingelknopf nebendran. Wer hinwill, muss erst fünf Treppenstufen hochsteigen. Ich bin der einzige Mensch weit und breit. Da ist nicht mal einer zum Fragen, ob er mich vielleicht mit reinnehmen wollte. Starker Drang, alles hinzuwerfen.
Schockmomente und peinliche Ausreden
Berlin, auf der Schwelle. Es wäre unangemessen, Ausgelassenheit zu erwarten, nur weil man feiern geht. Wir sind ja nicht auf einem Dorfbums. In der Schlange vor dem Berghain herrscht Anspannung, Ausgehen ist harte Arbeit am Image. Ein Mann im schwarzen Faltenrock trottet deprimiert von der Tür weg. Zu meinem Outfit würde sein Rock gut passen. Ein böses Omen? „Die Partys am Sonntag sind eh besser“, sagt ein Mann vor mir. „Sonntag? Da feiert in Hamburg keiner mehr“, sage ich. „In Hamburg habt ihr ja auch am Montag Arbeit“, antwortet er. Hinter mir stehen zwei Jungs aus Oxford. Sehr nervös. Warum sie hier sind? Weil sie letztes Mal abgewiesen wurden. „So why again?“ – „Just to try“, sagt der eine Junge. Mit dieser Einstellung habe ich im vergangenen Jahr an einem Triathlon teilgenommen.
Hamburg, auf der Schwelle. Nun aber los. Strammen Schrittes auf die Tür zu, das wird jetzt durchgezogen, denke ich, stehe schon kurz vor der ersten Treppenstufe, und dann geradewegs ... kehrtgemacht und 180 Grad zurück auf den Bürgersteig, als wäre ich ein Passant, der hier zufällig entlangflaniert. Exakt so lief es, als ich mit 19 das erste Mal in einen Sexshop wollte.
Berlin, Annäherung ans Ziel. Man kennt das vom Flughafen, seit 9/11: die Gitter, die Menschen aufs Ziel zuleiten, dass bloß keiner aus der Reihe tanzt. Die Selbstentblößung vor fremden Richtern: Passt es ihnen, was ich im Koffer habe, was ich im Sinn habe? In der Tür des Berghains stehen drei Richter mit breitem Kreuz. „Das Wichtigste: Du darfst nicht nett gucken“, ist das Letzte, was mir einer der Wartenden mitgibt.
Hamburg, Annäherung ans Ziel. Im zweiten Anlauf den Eingang erreicht, Klingel gedrückt. Herzschlag wie eine Berghain-Bassdrum. Die Tür schwingt auf, ich schreite los, nein, ich stürme. Kommando „Tatsachen schaffen“. Im Flur steht ein perplexer Concierge. Bisschen viel Gel im Haar. Seine Miene verrät Verwunderung, die sich in Entsetzen verwandelt, als ich meinen Mantel ausziehe und den Kapuzenpulli offenlege. Jetzt bloß in der Offensive bleiben. „Wo geht’s denn hier zur Bar?“ Der Concierge zögert, aber dann: „Dort entlang, bitte.“ Er hat tatsächlich „bitte“ gesagt.
Die Frage lautet: "In or out?"
Berlin, der Schockmoment. Die Türsteher nicken die Jungs vor mir am Eingang vorbei. Wortlos. Mit preußischer Disziplin folgen sie dem Urteil, durchgefallen im Assessmentcenter der Berliner Nacht. Ich werde nach vorn gebeten, ins Licht. Stehe auf der Schwelle und werde begutachtet wie eine Zuchtstute bei der Rassepferdeschau. „In or out?“, fragt einer der Türsteher seine Kollegen.
Hamburg, der Schockmoment. Drinnen Verwunderung meinerseits. Das ist kein Raum, das ist eine Halle. Säulen, Teppiche, Geigenmusik. Nur ein knappes Dutzend Gäste in den Ecken verstreut. Bedienungen stecken die Köpfe zusammen, blicken rüber. Ob sie vielleicht gleich die Polizei rufen? Schließlich nähert sich einer. O weh. Der Kellner sagt: „Darf ich Ihnen etwas bringen?“ Ich bestelle einen Kaffee.
Berlin, die Eskalation. Ich stehe minutenlang da. Werde angestarrt: ein Alien mit Stehkragen. Ist meine Spießigkeit schon wieder Pose? „In or out?“, fragt der Türsteher noch einmal, es wird über mich diskutiert, als wäre ich nicht da. Irgendwann lugt aus der Tür eine Frau, ein Wesen zwischen Katze und Elfe, und heftet ihren mäkeligen Blick auf mich.
Hamburg, die Eskalation. Allein rumzustehen wäre zu auffällig. Das Alien muss sich assimilieren. Ich setze mich ungefragt zu einem Ehepaar und erkundige mich, ob denn der Michael Behrendt heute noch erwartet werde. Das wissen die beiden nicht, aber Interesse an einem Gespräch scheinen sie zu haben.
Berlin, die Flucht nach vorn. Eine prekäre Lage löst man am besten mit Small Talk. Jedenfalls in Hamburg. „Ging ja schnell heute“, sage ich. „Ich dachte, oft steht man hier so drei Stunden an.“ „Wenn du willst, kannst du hier auch drei Stunden warten“, antwortet der Türsteher. Ich friere. Die Katzen-Elfen-Frau flüstert etwas. „Äh, soll ich jetzt gehen?“, frage ich. „Schätzchen, wird das ein Interview?“, sagt der Türsteher. „Oh. Tschuldigung.“ Das war ein Wort zu viel. „Schätzchen, mach Platz“, sagt er. Aber so leicht gebe ich nicht auf. Ich habe eine Wette mit dem Kollegen Leber.
Hamburg, die Flucht nach vorn. Die Sessel im Übersee-Club sind gemütlich, der Kaffee ist gut. „Was machen Sie beruflich?“, fragt mich der Herr, an den ich mich rangewanzt habe. Ich behaupte, ich hätte ein Start-up, irgendetwas mit Suchmaschinen, ein Name fällt mir auch fix ein: Nextweb.com. Der Mann sagt, das sei zugegeben eine spannende Branche. Er selbst arbeite als Jurist bei einem großen Versicherungsmakler. Und ob mir der Name etwas sage. „Logisch“, lüge ich. Dann geschieht das eigentliche Wunder.
Berlin, die Entscheidung. Der Kollege aus Berlin hat gesagt: Nie im Leben traust du dich zu sagen: Aber ich kenne den DJ. Ich stehe an der Tür und sage: „Aber ich kenne den DJ.“ Der Türsteher sagt nur noch ein Wort: „SCHÄTZCHEN!“
Hamburg, die Entscheidung. Die Eheleute, ob sie mich nun durchschauen oder nicht, haben sich offensichtlich entschieden, mich ernst zu nehmen und mit mir Zeit zu verbringen. Ist das nordische Contenance oder echte Toleranz? Der Kapuzenpulli ist egal, meine Unsicherheit auch. Viel Glück wünschen sie mir mit meinem Start-up und generell im Leben. Um im Berghain so viel Herzlichkeit zu erfahren, denke ich, müsste man ordentlich MDMA schlucken. Ich warte jede Sekunde auf die Entlarvung. Das können die mir doch nicht abnehmen.
Berlin, die Erkenntnis. Ich bin jetzt Schätzchen. Ich klappe den Stehkragen runter. Die Tür bleibt zu.
Hamburg, die Erkenntnis. Wir amüsieren uns. Wir machen Selfies. Die Tür bleibt offen.
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