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Berlin: Die guten Seelen von Schönefeld Sie sind Gottes Bodenpersonal und gerade besonders gefragt: die Flughafenseelsorger.

Sie können erzählen, warum die Krise so schmerzt – und warum die Leute in Tegel sagen: Jetzt erst recht.

In der Not wird man erfinderisch. „Ich habe schon gedacht, dass ein mobiler Kirchenbau mit Kartonstellwänden gut wäre für die Übergangszeit“, sagt Martin Taegener. Das würde ein wenig mehr Intimität schaffen. Jetzt sprechen sich die Leute bei ihm mitunter oberhalb der Tegeler Haupthalle auf Eisenstühlen aus und nicken zwischendrin vorbeilaufenden Kollegen höflich grüßend zu. Taegener hatte früher als Richter und Vizepräsident des Finanzgerichts das Sagen. Jetzt ist Zuhören der Hauptjob des 65-jährigen ehrenamtlichen Flughafenseelsorgers. Und es gibt vieles, worüber die Mitarbeiter auf den Alt-Flughäfen Tegel und Schönefeld zwischen Baufahrzeugen und Rollkofferschlangen ihr Herz ausschütten. Doch der 120-Quadratmeter-Komplex beim BER mit der Kapelle und dem Raum der Stille mit seiner Windrose gen Mekka, der ist zwar bezugsfertig, aber doch unerreichbar.

„Wir haben antizyklisch reagiert: Was die anderen verschoben haben, haben wir vorgezogen“, sagt der evangelische Pfarrer Justus Fiedler, einer der beiden hauptamtlichen Berliner Flughafenseelsorger. Pünktlich zum vorletzten avisierten Eröffnungtermin, dem 3. Juni 2012, waren ein Dutzend ehrenamtliche Seelsorger fertig ausgebildet. Am Sonnabend trafen sich nun zehn Freiwillige der zweiten Ausbildungsrunde im Gemeindehaus Schönefeld zum Seminar, es ging um Abschiebegewahrsam und Flüchtlingspolitik. Sieben Monate lang werden die Seelsorger etwa in Recht, Interkulturellem, Kommunikation, zu Notfällen an Airports und im Umgang mit Traumatisierten geschult. Gut, dass Fiedler und sein neuer Kollege, Jesuitenpater Wolfgang Felber von der Zehlendorfer All-SaintsGemeinde, schon jetzt an drei Tagen mindestens drei Ehrenamtliche in den Dienstplan zum Herzausschütten eintakten können. Sie kommen ihrer Schweigepflicht nach und haben doch viel zu erzählen. „Wer beim Flughafen arbeitet, muss viel Spott ertragen“, berichtet Felber. Die Menschen müssten sich verteidigen, seien aber dennoch solidarisch mit ihrem Arbeitgeber. Sie bekommen dumme Sprüche zu hören, obwohl jeder sein Bestes gebe. Vor allem die Beschäftigten der Läden in Schönefeld leiden unter dem nicht enden wollenden Abwicklungsstatus, weiß Felber. Da liegen Zeitungen ungelesen herum, Obst verfault. Die Seelsorger erinnern sich noch gut an den 25. Dezember, da sei der Airport tot gewesen bis auf wenige Abflüge. Immerhin war Zeit zum Reden, Zuhören, Singen. Kleine Freuden gegen alle Existenzängste.

Seelsorger Martin Taegener spürt dieser Tage aber auch vielerorts Teamgeist und Kollegialität. In Tegel, wo sich immer noch das Hauptgeschäft abspiele, „bringen die Mitarbeiter einen erkennbar großen Einsatz und sind hoch motiviert“. Sie denken: Es ist alles eine Schande, aber wir wollen zeigen, dass wir es schaffen. Taegener hat oft beobachtet, wie Angestellte am Check-in oder die Leute vor der Sicherheitsdurchleuchtung noch die gestresstesten Fluggäste bei Laune halten. Da drängt es ihn dann auch mal zu einem ganz persönlichen Lob. Der Katholik aus Zehlendorf will Fluggesellschaften anschreiben, sie um eine ruhige Gesprächsecke in ihrer Lounge in Tegel bitten. In ihrem kleinen Raum in der Sanitätsstelle können die Helfer nur Jacke und Tasche deponieren. In Schönefeld gibt es ein verglastes Büro mit Jalousien, kein würdiger Ort.

Polizisten, Feuerwehrleute, Bundespolizeibeamte – sie alle sind von der erneuten Verschiebung betroffen. Und langsam wagen sie es häufiger, mit den Seelsorgern zu plaudern. „Die Menschen werden nicht im Sturm erobert“, sagt Taegener. Man erkennt die Helfer an ihrer fliederfarbenen Weste mit den englischen „Airport Chaplaincy“-Lettern. Trotz ihres Flughafenausweises werden sie nicht als Arbeitgeber-Vertreter empfunden. Von den Eröffnungsverschiebungen haben sie selbst nur aus den Medien erfahren. Danach hätten die Helfer selbst mal Dampf ablassen und „Entlastungsgespräche“ führen wollen.

Manch einer in Tegel ist aber auch froh, noch länger dort zu arbeiten, etwa wegen kürzerer Anfahrtswege. Wegen der Rückzugsecken unter Kollegen und wegen des guten Arbeitsklimas – die Passagiere fliegen eben gern vom City-Airport. Viele Sicherheitskräfte mit Migrationshintergrund seien stolz auf ihren Job mit hohem Renommee. Auch die Flughafenseelsorger sehen sich als Visitenkarte der Kirche, an privilegierter Wirkungsstätte mit internationalem Publikum. Fiedler und Felber proben nun im Ausnahmezustand die Kirche to go, eine Art Seelsorger-Streetwork, und dabei lernen sie selbst dazu. Sie sind als humanitäre Helfer für alle da, egal ob und wie jemand nun gläubig sei.

Es gehe um persönliche Not, auch jenseits des BER. Da werden Obdachlose betreut oder gestrandete Reisende beraten. Auch Urlauber, die wegen ihres Alkoholpegels erst gar nicht in eine Maschine einsteigen dürfen. Psychisch kranke Menschen wollen versorgt sein, die am Airport jeden Tag aufs Neue vermeintlich Freunde abholen wollen, die aber nie ankommen. Menschen, die den Flughafen als Zuhause auf Zeit wählen, die trotz Schlips und Kragen heimlich Pfandflaschen sammeln. Manchmal ziehen die Seelsorger auch die gelbe Warnweste an: Wenn sie jemanden direkt vom Flieger abholen, weil dessen Partner während der Reise verstarb. Die Seelsorger machen das, weil sie ihr eigenes Glück schätzen, weil sie nicht nur an sich denken wollen.

Viele der Beschäftigten freuen sich zwar auf den neuen BER – irgendwann. Aber sie fürchten eine Lagerhallenatmosphäre im riesigen Terminal. Wenn der neue Flughafen doch einmal eröffnet werden sollte, ist auch die erste Berliner Flughafenkirche für alle offen. Im ersten Stock, gleich hinter Starbucks.

Annette Kögel

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