Gastbeitrag von Dr. Motte: Die Gema zerstört unsere musikalische Vielfalt
Vor zwei Wochen schrieb Lorenz Maroldt hier, es sei nicht die Schuld der Gema, wenn Clubs sterben. Techno-DJ Dr.Motte sieht das ganz anders – und erklärt, warum er sich gegen die Tariferhöhung wehrt.
Ich fange mal so an: Seit dem Mauerfall hat sich Berlin zu einer Kulturmetropole mit vielfältiger Clubkultur entwickelt. Eine neue Jugendkultur entstand: Techno und House. Anfänglich eine Underground- und Nischenkultur, hat sie sich durch die besonderen Bedingungen der unklaren Verhältnisse im Ostteil der Stadt zu dem entwickelt, was sie jetzt ist. 40 Prozent aller Berlin-Besucher kommen wegen der kulturellen Vielfalt in die Stadt.
Alle Clubs und Veranstalter müssen laufende Kosten tragen. Einkäufe, Strom, Lohn, Miete, Steuern, abzuzahlende Kredite, Künstlergagen, Gema, GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten), unvorhersehbare Kosten. Wenn die Rahmenbedingungen in Berlin so blieben, wie sie sind, oder nur minimal erhöht würden, könnten alle damit leben. Die Einzigartigkeit der Berliner Club- und Kulturszene ist ein Jobmotor und eine nicht unbedeutende Steuereinnahmequelle. Schätzungsweise 40000 Arbeitsplätze existieren dadurch in Berlin.
Bildergalerie: Proteste gegen die neue Gebührenstruktur bei der Gema
Zur Überlebensfähigkeit der Berliner Clublandschaft gehören ein fairer Umgang und faire Rahmenbedingungen. Dazu gehört, dass ein Verein mit einer Monopolstellung wie die Gema sich an Regeln hält und neue Tarife mit ihren Mitgliedern aushandelt. Dies ist mit der Tarifreform 2013 nicht geschehen.
Stimmen aus den Reihen der Gema behaupten, der Verein wolle lediglich zehn Prozent der Eintrittsgelder. Das ist schlichtweg falsch. Stefan Büttner, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, erklärte der Berliner Initiative „FAIRplay – Gemeinsam gegen Gemeinheiten“ bei deren Treffen am 14. Mai die vielen neuen Zuschläge, die die Tarifreform umfasst, und deren Auswirkungen auf die angeblichen zehn Prozent vom Eintrittsgeld.
Neu: der Zeitzuschlag. Veranstaltungen, die länger als fünf Stunden dauern, sollen danach im Drei-Stunden-Takt um einen Zuschlag von 50 Prozent teurer werden. Außerdem wird die gesamte Fläche der Veranstaltung herangezogen anstelle nur der bewirteten Fläche. Open Airs wie die Antaris oder die Fusion, die auf über zwei Millionen Quadratmetern Fläche stattfinden, werden so nicht mehr finanzierbar. Wollte man dies mit den Eintrittspreisen kompensieren, würde der danach gestaffelte Zuschlag immer teurer.
Verteuerungen von 1000 bis über 3000 Prozent
Aber auch die Gäste, die nicht in Clubs der Stadt gehen, sondern nur in der Eckkneipe ihr Feierabendbierchen trinken wollen, sind von der Tarifreform betroffen, denn gerade auch kleine Musikkneipen trifft es hart. Schnell kommen Verteuerungen von 1000 bis über 3000 Prozent zusammen, wie der Dehoga in Beispielrechnungen zeigt. Lothar Grasnick, der Veranstalter der Berliner Biermeile, sagte mir am Telefon, dass er sich nach Verhandlungen mit Vertretern der Gema dazu entscheiden musste, auf seiner Veranstaltung keine Musik mehr abzuspielen. Die Herren beharrten auf einer Gebühr für die gesamten 2,2 Kilometer anstelle der tatsächlich beschallten Quadratmeter um Bühnen und Theken.
Video: Berliner Clubszene beschallt Gema
Und die Politik? Obwohl sich beinahe alle Parteien mit der Initiative FAIRplay solidarisiert haben und das Anliegen der Clubbetreiber und Veranstalter unterstützen, möchte Wirtschaftssenatorin Frau von Obernitz abwarten, wie ein Schiedsverfahren vom Marken- und Patentamt entschieden wird (Quelle: http://youtu.be/3C1sfshQGsU). Das kann über ein Jahr dauern! Die Gema will trotzdem die neuen Gebühren auf ein Anderkonto gezahlt haben. Das bedeutet das Ende eines Großteils der Veranstaltungsbranche in Deutschland und eine Zerstörung der musikkulturellen Vielfalt – nicht nur in Berlin.
Deshalb haben wir auf der Kundgebung beim Gema-Mitgliederfest gerufen: „Stoppt die Gema-Tarifreform!“ Denn viele von ihnen sind schlecht informiert. Im Mitgliedermagazin „Virtuos“ wurde dem Thema eine halbe Seite Text gewidmet. Und als wäre all das nicht schlimm genug, will die GVL zusätzlich 100 Prozent auf den Gema-Tarif. Und dann will das Finanzamt Mitte auch noch nachträglich Geld für zu wenig gezahlte Steuern auf Eintrittspreise rückwirkend für fünf Jahre...
Und ich als Künstler und DJ? Wo trete ich auf, wenn es kaum noch Clubs in Berlin und Deutschland gibt? Was ich als angeschlossenes Mitglied von der Gema ausgezahlt bekomme, ist lächerlich. Soll ich ab 1. Januar 2013 meine Rücklagen verbrauchen und in absehbarer Zeit zum Jobcenter gehen? Es gibt genug Gründe, sich zu engagieren und sich öffentlich für eine faire Tariffindung mit allen Beteiligten einzusetzen. Ich danke allen Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus für ihre Solidarität!
Dr. Motte ist Techno-DJ sowie Gründer und ehemaliger Organisator der Loveparade.
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