20 Jahre Hauptstadtbeschluss: Die Gegner in den eigenen Reihen
Widerspenstige Beamte, Einflüsterungen, Verzögerungstaktik stoppten den Umzug von Bonn nach Berlin nicht. Weil einer ihn vorantrieb, der an den Steuerzahler dachte-
Offen wurde der Kampf gegen den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin nicht ausgetragen. Der Beschluss war ja demokratisch legitimiert durch die Abstimmung am 20. Juni 1991 im Bundestag. Doch das Ergebnis fiel nur knapp zugunsten von Berlin aus, und die Mitarbeiter des Regierungsapparates hatten sich komfortabel am Rhein eingerichtet – wer wollte da schon nach Berlin wechseln? So kursierten bald Parolen wie diese auf den Fluren der Behörden und Ministerien: „Jetzt müssen wir schnell arbeiten, um langsam umzuziehen.“ Ein leitender Beamter ließ sich gar aus der Reserve locken – mit für ihn schwerwiegenden Folgen. „So lange ich auf diesem Stuhl sitze, zieht keiner vor dem Jahr 2010 um“, beschied der Mann den jungen „Referatsleiter Regierungsbauten“ Manfred Rettig. Falsch gedacht. Er verlor das Kräftemessen mit Rettig, der heute als Stiftungschef das Schloss in der Mitte Berlins aufbaut. Bis zum Kanzleramt musste Manfred Rettig mit seiner Überzeugung gehen. Dann saß er als Umzugsmanager auf dem Stuhl des damaligen Umzugsgegners.
Vor genau zehn Jahren wurde das Bundeskanzleramt eröffnet nebst Neubauten für den Bundestag. Die Bundesregierung nahm am 1. September 1999 offiziell ihre Arbeit in Berlin auf. Umgerechnet zehn Milliarden Euro hat der Umzug gekostet – und vom Beschluss des Bundestages an gerechnet fast genau zehn Jahre gedauert. So war es auch geplant. Dass alles klappte, grenzt an ein Wunder. Denn umgezogen sind nicht nur Regierung, Kanzleramt und 14 Ministerien, sondern auch Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident – vier Verfassungsorgane.
Auf einen Erfolg des Unternehmens hätte am Anfang kaum jemand gewettet. Es gab Dutzende von Arbeitskreisen mit Hunderten von Sitzungen – „ohne erkennbare Effizienz“, sagt Rettig. Dem setzte er zusammen mit dem damaligen Bauminister Klaus Töpfer (CDU) ein Ende. Die vielen Arbeitskreise in Ministerien strichen sie. Alles konzentrierte sich auf den politischen „Ausschuss Bonn-Berlin“. Erst danach lief alles nach Plan: Die Ministerien mussten ihren Flächenbedarf anmelden, die von Ingenieuren des Umzugsbeauftragten geprüft und eingedampft wurden: 100 000 Quadratmeter wurden weniger gebaut als beantragt. „Damit habe ich mein Lebensgehalt verdient“, sagt Rettig.
Rückblickend bedauert er nur, dass die Gelegenheit nicht für eine Verwaltungsreform genutzt und Ministerialaufgaben an Behörden abgegeben wurden. Eine solche Reform hätte aber viele Ministerialbeamte die Zulagen gekostet. Und noch mehr Widerstand erzeugt. Die zusätzliche Front wollte sich keiner zumuten.
Die Kosten für den Steuerzahler, sagt Rettig, habe er bei seinem Auftrag stets vor Augen gehabt. Der Mann kam vom Rechnungshof und war insofern eine Idealbesetzung. Denn vor dieser Zeit galt für Bundesprojekte: Wenn das Geld nicht langt, greift man in die Haushaltskasse. Rettig wagte den Systembruch und führte ein rigides Kostencontrolling ein.
Umgesetzt wurde es so: Bei den regelmäßigen „Jours fixes“ unter Beteiligung der Ministerien zückte Rettig sein Portemonnaie und zog einen kleinen, dicht bedruckten Zettel mit Eckdaten und Kostenplänen heraus. Dann ließ er sich berichten. Lagen die Ausgaben über Plan, ging der Umzugsmanager nicht, ehe die Zusatzkosten an anderer Stelle wieder eingespart waren. Die allerwichtigste Entscheidung für den Erfolg des Vorhabens aber war: Die Regierung nicht nur in Neubauten unterzubringen, sondern auch „historisch kontaminierte Altbauten“ zu nutzen. Eine demokratische Regierung in Preußischen Prunkbauten oder Gebäuden des NS- oder DDR-Regimes, das war ein politisch höchst umstrittener Plan. Deshalb sah das erste „Unterbringungskonzept“, das die damalige Bauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) am 17. Dezember 2001 vorlegte, Abrisse im großen Stil und eine Unterbringung der Regierung ausschließlich in Neubauten vor.
Der Aufschrei in Berlin war groß. Und auch in den Ministerien gab es Bedenken: Der Umzug sollte doch auch ressourcenschonend erfolgen. Klimatechnik war durch Stararchitekten wie Norman Foster in Mode gekommen. Der Wettbewerb für den Umbau des Reichstages hatte sogar einen Entwurf mit einem großen Solardach hervorgebracht. Und Foster erhielt den Auftrag für den Umbau mit einem ausgeklügeltem Energiekonzept. Aber auch wenn die Sanierung von Altbauten nicht billiger ist als der Neubau – in der energetischen Gesamtbetrachtung ist der vorangehende Abriss ein ökologischer Offenbarungseid. Das erkannte schon Schwaetzer und schob ein zweites Altbaukonzept für den Umzug nach. Und ihr Nachfolger Töpfer setzte später sogar noch ein Zehn-Millionen-Euro-Programm für Solartechnik durch.
Klaus Kinkel, den damaligen Außenminister der FDP, überzeugte Töpfer von dem Altbaukonzept am Rande des Neujahrsempfanges von Bundespräsident Roman Herzog. Das Außenministerium sollte eigentlich einen Neubau in den Ministergärten bekommen. Töpfer und Rettig schlugen Kinkel stattdessen das Gebäude der früheren Reichsbank als Dienstsitz vor. Das war „doppelt kontaminiert“: Die Reichsbank hatte den Weltkrieg der Nazis finanziert. Und das Zentralkomitee der DDR-Einheitspartei SED hatte eine Mauer zwischen dem eigenen Volk und dem Westen gezogen. Kinkel ließ sich zu einem Ortstermin überreden. Die drei Männer stiegen nach dem Empfang in einen Dienstwagen und am Werderschen Markt stimmte Kinkel zu. Nach geschickten Eingriffen des mit dem Umbau beauftragten Architekten Hans Kollhoff und dem Erweiterungsbau nach Plänen von Müller Reimann ist das Auswärtige Amt heute ein Musterbeispiel für die Umwertung architektonischer Zeichen.
Edmund Stoiber, ausgerechnet dem so fest in München verwurzelten früheren Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef ist es zu verdanken, dass ein weiterer Altbau genutzt wird: Das frühere Preußische Herrenhaus. Stoiber war im Jahr 1995 Bundesratspräsident geworden – „und wollte so schnell wie möglich nach Berlin ziehen“, erzählt Manfred Rettig. Ein Jahr später stand der Entschluss der Länderkammer. Und am 28. September 2000 wurde der gut 100 Jahre zuvor errichtete Neobarock-Bau als neuer Sitz des Bundesrats eröffnet.
Für die Berlin-Gegner war es ein herber Rückschlag. Denn der Bundesrat sollte einen Teil eines „Hexagon“ genannten Neubaus nutzen. Dahinter stand die Idee, Bundes- und Landeseinrichtungen in einem Haus unterzubringen, das keinen Raum für Erweiterungen gelassen hätte. Das sollte den in Bonn gefürchteten und in Berlin gewünschten „Rutschbahneffekt“ verhindern, der die am Rhein verbliebenen Teile der Regierung an die Spree befördern könnte. „Die Geschichte hätte uns irgendwann bestraft, wenn wir nicht Standorte mit genügend Fläche ausgewählt hätten“, sagt Rettig.
Fünf Milliarden Euro gab er allein für die Bauaufgaben aus. Nach dem Machtwechsel im Kanzleramt wurde ganz genau hingesehen, wie. Ging bei der Unterbringung des Innenministeriums im Neubau von Pizza-Multi Ernst Freiberger wirklich alles mit rechten Dingen zu? Gefunden wurde nichts. Der Mietpreis, die Realisierungschancen und die Lage hatten die Auswahl entschieden – und es war nachverhandelt worden.
Hat wirklich nie jemand versucht, Entscheidungen zu manipulieren, vielleicht einen Koffer voller Geld für einen Bauauftrag angeboten? „Dann hätte ich sofort Strafanzeige erstattet“, sagt Rettig. Subtilere Einflussnahmen, telefonisch, „von hochrangigen politischen Stellen“, gab es jedoch. Dann habe er nachgefragt, ob er jetzt die öffentliche Ausschreibung absagen und direkt vergeben müsse – Offenheit als Gegenwehr. „Wenn wir den kleinen Finger gereicht hätten, wäre nicht die Hand, sondern der Kopf ab gewesen“, sagt er.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität