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Am Wochenende war Drachenfest auf dem Gelände des früheren Airports.
© Kai-Uwe Heinrich

25 Jahre Deutsche Einheit (7): Die Freiheit von Tempelhof

Wenn heutzutage die Drachen vom alten Flughafen starten, ist beinahe vergessen: Die US Air Force hatte hier mal das Kommando.

Der spannendste Moment? Wahrscheinlich dieser Montag im April, früher Vormittag, die Sonne döste hinter den Hangars. Kai-Uwe Heinrich und Mike Wolff widmeten sich gerade einem späten Frühstück, als plötzlich drei dunkle Limousinen auf das Flugfeld rasten, immer weiter bis zu der Propellermaschine, die draußen auf der Rollbahn parkte. Heinrich und Wolff hatten von ihrem Büro aus beste Sicht auf die Soldaten, die aus den Autos sprangen, in ihrer Mitte ein Zivilist, den sie ins Flugzeug geleiteten. Die Propeller rotierten und weiter ging es nach Frankfurt.

Was da ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung zur Vorführung kam, war eines der letzten Kapitel des Kalten Krieges. Der war im April 1991 eigentlich vorbei, aber Spione jagte die US Army immer noch. Wie Jeffrey Carney. Den Mann, der tonnenweise geheimes Material nach Ost-Berlin geliefert hatte und sich nach der Flucht in die DDR Jens Karney nannte, entführten die Amerikaner 1991 in Friedrichhain auf offener Straße und karrten ihn nach Tempelhof. Das vertrug sich nicht ganz mit der deutschen Rechtslage, aber die hatte nie höchste Priorität an diesem seltsamen Ort. Im östlichen Flügel des Flughafens, von dem ein wenig in Vergessenheit geraten ist, dass er militärisches Sperrgebiet war.

2000 Militärs und 700 Zivilisten arbeiteten dort

Knapp 50 Jahre lang herrschte vom Platz der Luftbrücke den Columbiadamm hinauf Richtung Neukölln nicht das Grundgesetz, sondern die US Air Force. Der Tempelhof Central Airport war ein eine Welt für sich. TCA besaß eigene Kraft- und Wasserwerke, hinten an den Sportplätzen Richtung Neukölln gab es eine Müllverbrennungsanlage, dazu eine Bank, Kinos, und Geschäfte, in denen nicht mit D-Mark bezahlt wurde, sondern mit Dollar.

Bis zum Abzug der Air Force im September 1993 arbeiteten in Tempelhof gut 2000 Militärs und 700 Zivilisten. Berliner wie die heutigen Tagesspiegel-Fotografen Kai-Uwe Heinrich und Mike Wolff. Sie fotografierten für die Dokumentation der Air Force, für die hausinterne Zeitung oder wenn Berühmtheiten aus den USA zu Besuch kamen.

Und manchmal machten sie – nichts. „Teilweise war das wie ein bezahltes Ferienlager“, sagt Heinrich. Wenn die Fotografen sich im Büro langweilten, gingen sie ein paar Räume weiter zu den Piloten. „Ist mal wieder Zeit für ein paar Luftaufnahmen.“ Dann knatterten sie mit dem Hubschrauber auf Sightseeing-Tour über Berlin. Oder luden in Zehlendorf ein paar schwer bewaffnete GIs ein, um die Enklave Steinstücken für ein Picknick zu besuchen, kleine Machtdemonstration inklusive.

Die Natur holt sich vieles zurück

Öfter kamen auch Piloten aus der Ramstein Air Base vorbei, und sei es nur, um ein paar Flugstunden abzureißen. „Die haben ein Eis gegessen und dann flogen sie wieder zurück.“ Der Tempelhofer Ice Cream Parlor im Flur schräg über dem Büro der Fotografen genoss einen einzigartigen Ruf in der US Army.

Heute befindet sich der Eisstand im Alliierten-Museum an der Clayallee und der Flur steht leer, wie so viele Räume im Ostflügel. Die Natur holt sich zurück, was ihr mal gehört hat. Eine Tanne schmiegt sich nach 25 Jahren ungehinderten Wachstums an die Fassade und lugt in die Fenster des ersten Stocks.

Efeu schlängelt sich die Fassaden hinauf zu den alten Büros des Office of Special Investigation. Der früher militärisch kurz geschnittene Rasen wuchert über die Kanten der Gehwege. Plastiktüten, Zigarettenschachteln und Altpapier liegen verstreut im Gras. „Früher undenkbar“, sagt Kai-Uwe Heinrich. „Die Air Force hatten extra Leute dafür angestellt, die jedes Blatt aufklaubten“, damit es nicht seinen verhängnisvollen Weg in das Triebwerk eines Flugzeugs hätte finden können.

Geblieben ist eine Handvoll kleinerer Mieter

Das ehemalige Flugfeld trägt heute den schönen Namen Tempelhofer Freiheit und erfreut sich nicht nur bei den Anwohnern großer Beliebtheit. Im westlichen Flügel des riesigen Flughafengebäudes residiert wie vor der Wende der Polizeipräsident. Auf die Hangars, das überdachte Vorfeld und die Haupthalle fällt zuweilen das Licht von Modemessen, Konzerten oder Empfängen.

Nur um den einstigen militärischen Teil ist es still geworden. Für ein paar Jahre richtete sich die Deutsche Flugsicherung in Tempelhof ein, bis sie 2006 nach Bremen weiter zog.

Geblieben ist eine Handvoll kleinerer Mieter. Die Berliner Verkehrslenkung. Eine Privatuniversität, benannt nach Sigmund Freud. Tanzschule und Kita. Das Silverwings, Ableger des Clubs, in dem Johnny Cash mal aufgetreten sein soll. Oder das La Vie en Rose, Nachfolger des amerikanischen Theaters am selben Ort. 20 Fahrräder stehen an der lang gezogenen Gebäudeflucht. Nicht mal die Sprayerszene interessiert sich für die Häuserfluchten. Weit und breit bedeckt kein Graffito den hellen Sandstein von Tempelhof.

Der O-Club

Die von Soldaten bewachte Sicherheitsschleuse für Kai-Uwe Heinrich, Mike Wolff und die anderen Zivilangestellten befand sich am Columbiadamm. Eine verklinkerte Baracke, sie wittert seit 1993 vor sich hin. An der Fensterscheibe pappt immer noch der Hinweis „WARNING!!!“

Vorn rechts steht das leere Gebäude mit dem historischen Konferenzsaal der Lufthansa und dem früheren Officers’ Club, den alle nur O-Club nannten. Heinrich kennt die alten Wege noch wie früher. „Lass uns schnell da vorn reingehen, die Tür ist normalerweise zu.“ Links abbiegen und dann noch mal rechts, und schon weitet sich der Blick aufs Rollfeld. „Großartig, oder? In welchen Büro hat man schon so einen Ausblick!“

Ein Flughafen ist nicht mehr zeitgemäß

Kai-Uwe Heinrich ist in Kreuzberg aufgewachsen, er war als Kind regelmäßig beim Tag der offenen Tür der Air Force in Tempelhof. Fehlt ihm der Flughafen? „Nein. Ein Flughafen mitten in der Stadt ist nicht mehr zeitgemäß. Die Maschinen sind doch so tief geflogen, dass man den Piloten in die Augen schauen konnte.

Wir hatten unglaubliches Glück, dass kaum etwas passiert ist“, mal abgesehen von der Cessna, die 2001 beim Anflug auf Tempelhof gegen ein Neuköllner Wohnhaus krachte. Ab und zu geht der Fotograf Kai-Uwe Heinrich mit seiner Familie und Freunden zum Grillen auf das ehemalige Flugfeld. Bei der Volksabstimmung über die Nachnutzung des Feldes hat er gegen eine Randbebauung gestimmt. Es bleibt der Blick in die Weite, und beim Grillen ist es ein bisschen wie früher im Büro.

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