Streit um Guggenheim Lab: Die Brache ist mehr als nur leerer Raum
Er habe den Konflikt kommen sehen, sagt Franz Schulz, Bürgermeister von Kreuzberg. Weil in Berlin die Brache ein Ort persönlicher Freiheit ist. Vielleicht erklärt das, warum das Guggenheim Lab unerwünscht ist.
In New York hat es eine Lücke gefüllt. In der Houston Street, Lower East Side, wurde das BMW Guggenheim Lab in einem schmalen Nichts zwischen zwei Häusern errichtet. Bagger fuhren hin und her, und schon war es fertig. Ein grauer Karton, Leichtbauweise, entworfen von einem Architektenpaar aus Tokio. Die Gegenwehr bestand darin, dass sich im Vorfeld ein Lokaljournalist über die phrasensatte „Think-Tank- Sprache“ des Labors lustig machte. Es gab dann zwischen August und Oktober 2011 rund 100 Veranstaltungen in dem Lab-Kasten, und seit der wieder weg ist, wird überlegt, was nun in die Lücke hinein soll. Eine Grünfläche oder vielleicht ein Katzenspielplatz.
Der Kasten ist per Frachtschiff über den Atlantischen Ozean nach Berlin gekommen. Und jetzt hier: tierische Aufregung. Worum geht es noch mal?
BMW, der Sponsor, hat emotional vermintes Gelände betreten am Spreeufer in Kreuzberg. Dort ist nichts vergessen, nicht die Zwangsarbeiter im Krieg, nicht die Rolle der Eigentümer-Familie Quandt im Nationalsozialismus. Dass BMW mithilfe der Guggenheim-Stiftung, die weltweit einen exzellenten Ruf genießt, Imagepflege betreiben möchte, halten Kreuzberger Aktivisten für verwerflich. Außerdem treibe das BMW Guggenheim Lab die Mieten weiter hoch. Das Lab darf nicht nach Berlin kommen, haben die Gegner beschlossen. Dabei lautet der Lab-Arbeitstitel „Confronting comfort“: Man sucht die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem westlichen Lebensstil, mit Ressourcenverbrauch, Bequemlichkeit und Luxus. Da muss die Kreuzberger Szene etwas falsch verstanden haben. Oder nur radikal anders?
Niemand möchte da jetzt noch etwas sagen. Nachrichtensperre. Zu heikel, wenn ein Wort zu viel oder gar ein falsches fallen würde. So halten sie es bei der Guggenheim Foundation. Aus New York kommt immer nachmittags eine Mail: „We cannot comment further.“ Kein weiterer Kommentar.
Was das Lab ist und zu welchem Zweck es nach Berlin kommt, wissen die wenigsten, aber darum dreht sich die Debatte gar nicht. „Das hätte auch jemanden anderes als das Lab treffen können“, sagt eine Bewohnerin aus dem Wrangelkiez. „Es war wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“. Einige Initiativen im Kiez hätten sich zunächst für das Lab interessiert, seien aber umgeschwenkt, als sich der Verdacht aufdrängte, dass es gar nicht um die Probleme vor Ort geht, um Verdrängung und steigende Mieten. „Wir fühlten uns verarscht. Hier wissen viele nicht, wie sie ihre Miete im nächsten Monat zahlen können.“ Als die Lab-Initiatoren erklärten, einen anderen Standort suchen zu wollen, seien die Leute im Kiez „völlig baff“ gewesen. Zwei große Player wie Guggenheim und BMW geben sich geschlagen. Wer wagt es jetzt noch, nach Kreuzberg zu kommen?
Protest war klar - das Lab widerspricht dem Kreuzberger Lebensgefühl
Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, hat den Streit um das Lab kommen sehen, wie er sagt: „Natürlich war die Konfliktlandschaft bekannt.“ Die Gegner des Vorhabens auf der großen Brache mit Spreeblick hätten sich bei Diskussionen zur Zukunft des Wrangelkiezes bereits deutlich zu Wort gemeldet. Schulz erinnert mit schrägem Lächeln an seinen Ruf als Bürgermeister der Runden Tische. Als solcher hat er jedenfalls mitbekommen, wie aus der Idee des Labs ein Konflikt erst um den Standort, dann um das ganze Projekt geworden ist. Da ist Schulz klar geworden: Wenn das Lab ein Erfolg werden soll, müssten dessen Kritiker sich „ganz authentisch“ einbringen können.
Die Organisatoren des Lab seien dazu anfangs auch bereit gewesen, sagt Schulz. „Große Offenheit“ habe er bei ihnen festgestellt und gedacht: „Das ist auf einem guten Weg.“ Dann aber, bei einem weiteren Diskussionsabend im Wrangelkiez, hätten einige Gegner des BMW- Guggenheim-Projekts die BMW-Firmengeschichte und den Umgang von BMW mit Zwangsarbeitern thematisiert. Damit sei klar gewesen, so Schulz, dass es im Streit um das Lab nicht mehr nur um die Frage „Wie leben wir in einer Stadt?“ gehen würde.
Ein anderer Aspekt der Lab-Kritik speist sich vor allem aus der Furcht vor Mieterhöhung und Gentrifizierung. Dass es in Kreuzberg einen Prozess der urbanen Veredelung gebe, bestreitet Schulz gar nicht. Das sei sogar statistisch nachweisbar, und zwar seit dem Ende der 90er Jahre. Zuerst seien einkommensstärkere und gebildetere Leute in Gegenden wie dem Chamissoplatz zugezogen, dann im Graefekiez. Im Wrangelkiez laufe indes kein klassischer Gentrifizierungsprozess, sagt Schulz. Dort seien viele Türken weggezogen, doch zeige die Statistik, dass die neuen Mieter vom Einkommen her gerade den Kreuzberger Durchschnitt erreichten. Es seien Studenten und Auszubildende. Viele von ihnen könnten die hohen neuen Mieten wohl nur mithilfe ihrer Eltern bezahlen, oder sie wohnten in Wohngemeinschaften. Aus der zentralen Innenstadtlage wollen sie nicht vertrieben werden
Schulz beschreibt die jungen Leute im Kiez als eine Generation, die „heftige Verdrängungsprozesse“ bemerkt – und dagegenhält, indem sie „dem System etwas abtrotzt“. Der Umgang mit dem öffentlichen Raum, die ungenehmigte Techno-Party in einem Park und der Austausch über soziale Netzwerke – das verbinde große Gruppen, die auf diese Weise eine eigene politische Ausdrucksform entwickelt haben. Auch die Brache an der Schlesischen Straße ist ein öffentlicher Raum. Fremde Regeln gelten hier nicht. „Man nutzt ihn einfach und hat das Gefühl dabei, persönliche Freiheit zu gewinnen“, sagt Schulz
Der Bürgermeister beschreibt damit etwas vom Kreuzberger Lebensgefühl. Den Zugang zum Gelände an der Schlesischen Ecke Cuvrystraße findet man leicht durch eine Lücke im Bauzaun. Das fußballfeldgroße Grundstück ist zwar von einem zwei Meter hohen Zaun umstellt, doch offenbar meint es der Besitzer nicht ernst mit der Absperrung. Was irgendwann Bauland werden soll, liegt einfach da als Wiese, als Grube, in die ein Sofa gestürzt ist. Wer hier am Spreeufer sitzen will, kann das ungehindert tun. Ein nicht mehr ganz junger Mountainbike-Fahrer verschnauft auf der Brache, guckt über die Spree und stellt fest, es gebe in Kreuzberg nicht mehr viele Möglichkeiten, direkt ans Wasser zu gelangen.
Der Blick ist tatsächlich ziemlich einzigartig, während die Beine über dem Wasser baumeln und die Spree mal wieder nicht genau weiß, in welche Richtung sie fließen soll. Gegenüber weisen die Universal-Zentrale und das N-how-Hotel in die Zukunft. Ein Frauenpaar sitzt an der Wasserkante und plaudert, die eine hält eine Flasche Clubmate, die andere trinkt Weizenbier. Von denen, die hier Pause machen, bedauert keiner, dass mit dem Lab nun nicht werden soll, was werden sollte.
Franz Schulz hält die Lab-Gegner nicht für "Chaoten"
Bürgermeister Schulz hält die Lab-Gegner ohnehin nicht für „Chaoten“. Wie gewaltbereit sie seien, „kann man schwer sagen“, sagt Schulz in Erinnerung an seine Diskussionen: „Mir kamen die ziemlich normal vor.“ Schulz glaubt aber nicht, dass das Kreuzberger Klima Leute abschreckt, die etwas investieren wollen. Es gebe „sehr rege Investorennachfrage“, sagt der Bürgermeister. Das Gelände am Osthafen zum Beispiel sei „fast ausverkauft“. Dass ein Investor etwa aus Sorge um die Sicherheit seiner Mitarbeiter nicht nach Kreuzberg gehe, dafür kenne er „kein einziges Beispiel“, sagt Schulz.
Den Ärger um ein McDonald’s-Restaurant oder um das Carloft-Wohnhaus in der Reichenberger Straße erklärt Schulz anders: Das seien „Symbole des Kapitalismus“. Daher auch der Streit um die Mercedes-Investition am Spreeufer. „Der Mercedes-Stern über Kreuzberg“, sagt Schulz und muss selber grinsen bei dieser Vorstellung. Aber dass die Lab-Organisatoren nun nach Prenzlauer Berg ausweichen wollten, findet Schulz auch nicht richtig. Ihm gehe es darum, „für die Freiheit der freien Rede“ zu streiten. Und niemand, auch keine Initiative, dürfe Vorschriften über die Redefreiheit machen.
Am gestrigen Mittwoch tagte zum Thema der Innenausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus. Sondersitzung! Kurt Wansner, Kreuzberger CDU-Antipode aller linken Aktivisten, möchte eine Resolution erwirken des Inhalts, dass das Lab in Kreuzberg bleiben soll. Von „Tragödie“ spricht er. Nicht weniger sei es, wenn das Lab woandershin ziehe. Er denkt dabei an seinen eigenen jahrelangen Kampf für die „schweigende“ bürgerliche Mehrheit im Bezirk, der wieder einen Dämpfer verpasst bekäme. Wansner zitiert den Brief eines Loftbewohners, dem die Fensterscheibe zum Kinderzimmer eingeworfen wurde. Das Lab könne ein Signal an diese Bewohner sein, dass sie nicht aus Kreuzberg wegziehen müssten.
Beantragt haben das Sondertreffen allerdings die Piraten. Sie wollen herausfinden, warum sich die Lab-Organisatoren zurückgezogen haben. Vielleicht wegen der „kulturellen Unterschiede“, mutmaßt Pirat Christopher Lauer. Vielleicht würden New Yorker unter „Sachbeschädigung“ keine berlintypischen Farbbeutelwürfe vermuten, sondern „brennende Tanklaster“. Die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers kann ihn beruhigen. Die Amerikaner seien bei den Beratungen über die Sicherheitslage gar nicht dabei gewesen. Nur BMW und die Veranstalter vor Ort hätten mit der Polizei gesprochen und erfahren, dass mit Besetzungen des Geländes und mit Beschädigungen auf der Baustelle zu rechnen sei.
Aber BMW will es auch nicht gewesen sein. Thomas Girst von der BMW-Kulturabteilung sagt, „wir haben nicht mitentschieden, den Standort Kreuzberg aufzugeben, aber die Entscheidung unterstützt“. Daraufhin sagt Margarete Koppers, die Polizei habe „zu keinem Zeitpunkt empfohlen“, das Lab besser nicht nach Berlin zu holen. Da ist die Verwirrung komplett.
Also doch nur ein Streit um den Standort? Richtige Idee, aber nicht bei uns? Das bestätigt David Kaufmann, der Sprecher des Anti-Lab-Bündnisses in Kreuzberg, indirekt. Das Lab könne am Pfefferberg wahrscheinlich „ungestörter“ arbeiten als in Kreuzberg, wo die „Mediaspree“-Debatte um die Ufergrundstücke immer noch akut ist, sagte er. Für das betroffene Grundstück an der Spree wünschen sich die Anwohner einen „Nachbarschaftsgarten“. Ganz wie in New York.