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Ein Polizist sichert in Köln die Spuren der Explosion in der Keupstraße.
© dpa

Nagelbombenattentat in der Keupstraße: Die Bombe in Köln galt uns allen

Wie kann man Übergriffen, ausgelöst durch Fremdenhass, entgegenwirken? Zehn Jahre nach dem NSU-Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße fordert unsere Autorin, gemeinsam ein Zeichen zu setzen.

Und dann rummst es, ohne Vorwarnung. Kein Knall, mehr eine Geräuschorgie, die so unmittelbar alles überlagert, als hätte die ganze Welt auf einmal beschlossen, stillzustehen.

Umherfliegende Nägel bohren sich kratzend in Autos, dringen aus den unterschiedlichsten Winkeln in menschliche Haut, bohren sich durch Knochen. Menschen schreien, halten sich Wunden, wälzen sich am Boden, liegen unbeweglich in sich ausbreitenden Pfützen des eigenen Blutes.

Das, was passiert ist, kennen wir normalerweise nur aus den Nachrichten. Aus Beirut, Tel Aviv, aus Damaskus, Bagdad, Kabul, Nairobi oder Mumbai. Eine Bombe geht in einer belebten Straße hoch, auf einem Markt oder einem Busbahnhof. Das Ziel ist, möglichst viele unbeteiligte, wehrlose Menschen zu töten. Allein auf Hass gegründet, nehmen sich Ideologen das Recht heraus, anderen das Recht auf Leben zu nehmen. Man sucht sich Opfer, die sich nicht wehren können und ergötzt sich anschließend an der Macht, andere in Ohnmacht zu stoßen.

Diese Szenen sind weit weg, glauben Sie? Ein Irrtum. An Pfingsten jährt sich zum zehnten Mal der Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln. Auch weit weg, denken Sie? Nein, denn die Keupstraße ist so, wie bei uns die Oranienstraße, die Adalbertstraße, die Karl-Marx-Straße, die Müllerstraße, die Turmstraße. Dort sind auch lauter Geschäfte, die von türkischen Mitbürgern betrieben werden.

Wenn Sie nur für einen Tag mit meinen Augen durch diese Straße gingen, was würden Sie sehen? Einen Blumenladen, eine Änderungsschneiderei, einen Lebensmittelladen, einen Döner-Imbiss, ein Internetcafé. Sie würden sie als potenzielle Tatorte erkennen, in denen man ermordet werden kann, nur weil man türkischer Herkunft ist.

Nur gemeinsam sind wir stark

So war die Polizei felsenfest davon überzeugt, dass es sich um eine interne Drogen-, Schutzgeld-, PKK-Geschichte handeln musste. Die Hilflosigkeit der Opfer gründet deshalb nicht nur auf das Geschehene, sondern auch darauf, wie damit umgegangen wurde. Erst viel später stellte sich heraus, was dahintersteckte. Bis heute versucht man zu ergründen, wer, wo und warum Wissen zurückhielt, Akten schredderte oder konsequent in die falsche Richtung ermittelte. Auch in Berlin sind Akten mit wichtigen Daten verschwunden. Bis heute ist niemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden.

Jedem von uns sollte nach den Morden des NSU klar sein, dass Angriffe auf Minderheiten Angriffe auf uns alle sind. 1993 habe ich den Brandanschlag von Solingen quasi vor meiner Haustür in Duisburg erlebt – ebenso wie die folgende Welle der Solidarität. Zehntausende gingen damals auf die Straße, demonstrierten mit Lichterketten. Diese Solidarität hat mir bei den Taten des NSU gefehlt. Deshalb ist es unsere Pflicht, jetzt nach Köln zu blicken.

Wir haben lange genug allein vor uns hingetrauert, jetzt müssen wir auf die Straße. „Birlikte“, heißen drei Tage der Erinnerung in Köln; Zusammenstehen, heißt das. Wir müssen ein Zeichen setzen, ein Signal an Nazis und Rassisten senden: Ihr habt nicht nur Türken gegen euch, sondern die ganze Gesellschaft. Die Bombe in Köln galt uns allen. Oder wie mein Vater sagen würde: „Birlikten kuvvet dogar.“ Aus Zusammenhalt entsteht Stärke.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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