Oskar/Oscar: „Die Blechtrommel“ kehrt ins Kino zurück
Volker Schlöndorffs berühmte Grass-Verfilmung kommt als "Director's Cut" erstmals ins Kino. Zentrale Szenen entstanden in Neukölln, das alte Pflaster ist noch da.
Danzig lag gleich um die Ecke. Am besten, man nahm die U-Bahn bis zur Neuköllner Karl-Marx-Straße, dann links in den Herrnhuter Weg, rechts in die Richard- und gleich wieder rechts in die Uthmannstraße – schon war man da. Von der Karl-Marx-Straße aus wäre es näher gewesen, aber da versperrte eine haushohe Holzwand den Durchgang. Von den auch damals, Anfang Oktober 1978, pausenlos vorbeirauschenden Autos aus war nicht viel zu sehen. Die Leute aus der Uthmannstraße aber meinten plötzlich in einer Sackgasse zu wohnen, blickten nun auf die Fassade der „Danziger Aktien Brauerei“. Auch sonst hatte sich einiges in der Straße verändert, Wochen hatte der Umbau gedauert, ganze Fassaden waren ergänzt worden, auch neue Geschäfte dazu gekommen, ein Kolonialwarenladen, einer für Obst und Gemüse. Aber die schönen großen Pflastersteine der Straße, die waren original und sind es noch heute.
Auch neue Anwohner bevölkerten nun die Straße, der Gemüsehändler in seinen kurzen Hosen, der Kolonialwarenhändler mit seinem rheinischen Akzent, öfter mal in SA-Uniform, und dann dieser Knirps mit seiner rotweißen Kindertrommel, vor dessen durchdringendem Schrei keine Gaslaterne sicher war.
Ganz recht, „Die Blechtrommel“, Volker Schlöndorffs mit der Goldenen Palme und dem Oscar prämierte Verfilmung des Romans von Günter Grass. Im Kino hat man sie schon lange nicht mehr gesehen, auch als der Regisseur vor knapp vier Jahren seinen „Director’s Cut“ herausbrachte, den 142 Minuten noch einmal 20 hinzufügte, blieb es bis auf wenige Vorführungen bei der DVD-Veröffentlichung. Jetzt aber kommt das in Polen, Jugoslawien, Frankreich und eben auch Berlin gedrehte Mammutwerk noch einmal in die Kinos, im Rahmen des bundesweiten Festivals, mit dem das Filmlabel Arthaus sein 20-jähriges Bestehen feiert: Heute angesiedelt bei der Berliner Filmfirma Studiokanal, war es im Mai 1994 mit zehn Filmen, noch auf VHS, gestartet, hat sich seither der Pflege des internationalen Films jenseits der Blockbuster und besonders auch dem deutschen Film verschrieben, auf DVD, Bluray, per Video on Demand oder eben auch im Kino. Zu den 20 Filmen des Festivals, alle erstmals in digitaler Bild- und Tonqualität, gehören Werke wie „Fitzcarraldo“, „Die Reifeprüfung“; „Apocalypse Now Redux“ oder „Angst essen Seele auf“. Am Montagabend wird das Festival im „Filmkunst 66“ mit einer Vorführung in der Langversion vor geladenem Publikum eröffnet, als Ehrengäste werden Schlöndorff, seine Darstellerinnen Katharina Thalbach und Angela Winkler sowie Produzent Eberhard Junkersdorf erwartet.
Der Start in Berlin und mit der „Blechtrommel“ ist nur folgerichtig, schließlich verdankt Schlöndorffs Film der Stadt viel. Ja, ohne deren Förderung wäre er vielleicht nie zustande gekommen. In seiner Autobiografie „Licht, Schatten und Bewegung“ (Hanser) beschreibt der Regisseur die Schwierigkeiten, das Geld für den Film zusammenzubekommen, das Warten auf ein von der Stadt Berlin angekündigtes „Kreditprogramm für Film“, nur ein Baustein in der Finanzierung, aber doch ein wesentlicher. Erst am 6. Juni 1978 wurden 700 000 DM bewilligt, wenig später folgte eine weitere Zusage von der Filmförderungsanstalt – die Verträge konnten geschlossen werden.
Hauptdarsteller David Bennent lebte mit seinem Vater in München, aber einige der von Schlöndorff verpflichteten Schauspieler wie Berta Drews, Katharina Thalbach, Otto Sander kamen aus Berlin, wohnten damit sicher angenehmer als das übrige Filmteam, das in einem heruntergekommenen Apartmenthaus in der Bundesallee untergebracht war.
Die Uthmannstraße in Neukölln gehörte zu den wichtigsten Drehorten. „Es ist die Straße, in der Oskar aufwächst, der immer wiederkehrende Ort der Handlung, von Grass wie ein Mikrokosmos beschrieben: der Labesweg in Danzig-Langfuhr“, wie Schlöndorff schreibt. Es hatte erheblichen Papierkrieg mit den Berliner Behörden gegeben, bevor der Dreh möglich wurde – Filmen in West-Berlin war kein Vergnügen. Aber es hat sich gelohnt, die Straße war ideal für den, wie Schlöndorff sagt, „Spagat zwischen Fantasie und Realismus“, und kein Zuschauer hätte geahnt, das Danzig in Neukölln lag. Und in Wedding, in der Wiesenstraße. Dort stehen noch heute die zum Teil kriegszerstörten, nie wieder aufgebauten Reste der Einrichtung des „Berliner Asyl-Vereins“, 1896 von Leuten wie August Borsig und Rudolf Virchow gegründet, zunächst nur für obdachlose Männer gedacht, später für Frauen erweitert. Eine Brandbombe hatte im Krieg die große Sammelhalle zerstört. Bei Schlöndorff wurde daraus die Danziger Synagoge beim Brand am 9. November 1938, Gedreht wurde dort fast auf den Tag genau 40 Jahre nach der Pogromnacht.
Auch Spandau wurde zu Danzig: In Artur Brauners CCC-Studios auf Eiswerder entstand die Wohnung der Matzeraths, hier wurde auch die Szene mit Oskars Sturz gedreht, dem Anfang seiner Wachstumsverweigerung. Ein simpler, aber effektvoller Trick: David Bennent mit aufgerissenem Mund und wedelnden Armen auf dem Kamerakran hockend. Auch die Geburtsszene entstand hier, Oskars Weg aus dem Mutterleib. Schlöndorff hatte per Storyboard alles genau geplant und damit den „Schweizerhof“ in der Budapester Straße indirekt am späteren Ruhm teilhaben lassen: Gezeichnet hatte er die Einstellungen auf Hotelbriefpapier.