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Leere Lokale. Das Coronavirus trifft Teile der Berliner Wirtschaft hart.
© Christophe Gateau/dpa
Update

Konjunkturumfrage der Kammern: Die Berliner Wirtschaft steckt in ihrer größten Krise

Corona beeinträchtigt die Berliner Wirtschaft erheblich, heißt es in der Umfrage. Die Angst vor Insolvenzen ist so hoch wie nie zuvor.

Im „freien Fall“ wie noch im Frühjahr, also zu Beginn der Coronakrise, befindet sich die Berliner Wirtschaft zwar nicht mehr – doch die Aussichten sind im Herbst weiterhin sehr schlecht, sagt die Konjunkturumfrage der Berliner Handwerkskammer (HWK) und der Industrie- und Handelskammer (IHK). Und mit dem anstehenden Lockdown-Light noch deutlich schlechter als zu der Zeit, als die Konjunkturumfrage lief.

Jährlich im September erheben die Kammern den Geschäftsklimaindex bei den Unternehmen. Zum Umfragezeitraum habe der Inzidenzwert in Berlin noch bei 55 gelegen, jetzt teilweise bei mehr als 200, sagte HWK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Wittke. Lag der Geschäftsklimaindex zu Beginn der Pandemie im Frühjahr bei 65 Punkten – der niedrigste Wert, der jemals gemessen wurde – ist er im Herbst immerhin auf 106 Punkte gestiegen.

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Allerdings gibt es große Unterschiede innerhalb der Branchen. Bei einigen hänge die Existenz „am seidenen Faden“, mahnte der IHK-Geschäftsführer für Wirtschaft und Politik, Henrik Vagt.
Besonders schlimm betroffen sind bekanntlich weiterhin das Gastgewerbe, die Hotellerie sowie die Messe- und Veranstaltungsbranche.

Die Umsatzeinbußen durch den Lockdown und die Sperrstunde seien nicht mehr aufzuholen und „dauerhaft langanhaltend zu spüren“, hieß es.

Auch Bäckereien und Konditoreien merken, dass das Catering-Geschäft fehlt

Allein 58 Prozent der Betriebe rechnen damit, Personal abbauen zu müssen. Investitionen werden in dieser Branche deutlich weniger gemacht werden, offenbart der Bericht. Relativ gut hingegen geht es noch der Bauindustrie, sie ist laut Konjunkturumfrage weniger betroffen als andere Branchen.

Die aktuelle Lagebeurteilung sei noch positiv, dennoch: Der Saldo von 32 Punkten liegt deutlich unter den Ergebnissen vergangener Jahre. Auch die Bauunternehmen blicken laut der Umfrage pessimistisch in die Zukunft: Ein Grund sei die schwieriger werdende Fachkräfteakquise. Auch im Handwerk nimmt der Pessimismus zu. Im Spätsommer bewerteten 37 Prozent ihre aktuellen Geschäftsergebnisse noch als gut, nun ist die Besorgnis groß: Nur noch 17 Prozent gehen von einer Verbesserung der Lage aus. „Bäcker und Konditoren merken, wie ihnen das Catering-Geschäft, beispielsweise auch die Lieferungen zu den Hotels fehlt“, beschreibt Jürgen Wittke eines der Probleme.

Auch die Gebäudereinigungsfirmen litten stark unter den Auswirkungen der Pandemie.

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Denn da die Veranstaltungsbranche coronabedingt nahezu still steht, gibt es auch für die Reinigungsfirmen weniger Aufträge. Eine nicht in der Öffentlichkeit so bekannte Gruppe, die ebenfalls extreme Umsatzeinbußen erleiden musste, sind die Zahntechnikerinnen und -techniker. „Da die Zahnärzte zum Lockdown im Frühjahr nur Notbetrieb hatten, wurden keine Kronen und Brücken oder Prothesen in Auftrag gegeben“, schildert Wittke.

Das Bauhauptgewerbe hat gut gefüllte Auftragsbücher, blickt aber pessimistisch in die Zukunft

Das Bauhauptgewerbe und die Gewerke aus dem gewerblichen Bedarf seien die einzigen, die noch von ihren gut gefüllten Auftragsbüchern profitierten. Allerdings gaben 22 Prozent im Bauhauptgewerbe an, dass der Auftragsbestand zu klein sei. Die Betriebe schauen daher eher verhalten auf die kommenden Wintermonate; immer mehr Firmen gehen von einer sinkenden Zahl an Aufträgen aus. Beim Handel ist das Bild wohl am unterschiedlichsten: Während der Online-Handel durch die Decke ging und auch die Lebensmittelhändler – sie durften zum Lockdown im Frühjahr offen bleiben – keine erheblichen Einbußen hatten, geht es dem stationären Handel, insbesondere in stark von Touristen frequentierten Quartieren, sehr schlecht, beschreibt Henrik Vagt. Er prognostiziert, dass das Weihnachtsgeschäft sich extrem auf den Online-Handel verlagern wird, und die stationären Geschäfte und Läden, die eigentlich immer vom Vorweihnachtsgeschäft profitierten, extrem schlecht dastehen werden und diese Einbrüche nicht wieder aufholen können. Bei den Berliner Industrieunternehmen überwiegen laut Wittke „die optimistischen Einschätzungen“. Allerdings liege die Branche weit hinter der guten und stabilen Situation der vergangenen Jahre.

Allerdings sehen insbesondere kleine Unternehmen die Situation kritischer als größere, hieß es.

Die Angst vor einer Insolvenz war noch nie so groß

Insgesamt rechnen laut HWK und IHK alle Branchen durch die Coronakrise mit einem erheblichen Beschäftigungsabbau.

Und noch etwas sei extrem besorgniserregend und so noch nie vorgekommen: Die Umfrage ergab, dass 13 Prozent der Unternehmen eine Insolvenz für „sehr wahrscheinlich“ und vier Prozent für „wahrscheinlich“ halten. Damit sei davon auszugehen, dass jedes fünfte Unternehmen insolvent gehen wird, im Gastgewerbe sieht es sogar noch schlimmer aus: Hier gehen die Kammern davon aus, dass jeder dritte Betrieb Pleite geht.

„Das ist ein tiefer Schlag in die Diversität der Branchen und Berliner Geschäfte“, sagte Jürgen Wittke.

Land und Bund haben schnell und gut reagiert

Bereits vor einem Jahr hatten die Kammern bei der Vorstellung ihres Konjunkturberichts gemahnt: „Die Party ist vorbei“ – damals sei abzusehen gewesen, dass sich die Lage der Berliner Wirtschaft im Vergleich zu den Vorjahren eintrüben wird.

Die Herausforderungen: Der Brexit, die Digitalisierung und die Anforderungen an den Klimaschutz seien extrem hoch. „Damals konnte niemand im geringsten ahnen, was uns ab im Februar/März bevorstehen würde“, erinnert Vagt. Er lobte in diesem Zusammenhang das „schnelle Handeln von Bund und Land“.

Mit dem Bereitstellen von Sofort- und Überbrückungshilfen habe der Senat „gute Arbeit geleistet“ und schnell reagiert, so dass ein totaler Zusammenbruch der Berliner Wirtschaft verhindert werden konnte. Dazu gehöre auch die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes – derzeit sind laut Vagt immer noch 180.000 Berliner in Kurzarbeit. Doch die Unterstützungsprogramme müssten nun ausgebaut werden, vor allem mit Blick auf die Gastronomie seien weitere Nothilfen nötig.

Über den Berg sei man noch lange nicht. „Es ist, wie die Bundeskanzlerin sagte: Wir erleben die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.“

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