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Der Regierende Bürgermeister Michael Müller besichtigt die Kleiderkammer in der Notunterkunft Karlshorst in Berlin und informiert sich über die Unterbringung von Flüchtlingen. Nun gab Müller Fehler im Umgang mit Flüchtlingen zu.
© dpa

Flüchtlinge in Berlin: Die Berliner sind schon weiter als ihr Senat

Michael Müller hat Fehler bei der Aufnahme von Flüchtlingen eingeräumt. Das ist gut - aber nicht genug. Die Politik muss mutig vorangehen. Ein Kommentar.

Als der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen vor einem Jahr wegen steigender Flüchtlingszahlen in den neuen „Beirat für Zusammenhalt“ berufen wurde, gab es 13 000 Asylbewerber. Diepgen hielt damals bereits Notunterkünfte am Flughafen Tempelhof und im ICC für möglich – wie es sein Nachfolger Michael Müller nun tut. So viel dazu, ob der Senat besser vorbereitet hätte sein können. Dies relativiert das anerkennenswerte Eingeständnis Müllers, dass Fehler gemacht wurden. Manche waren unvermeidbar. Täglich 600 neue Zufluchtsuchende sah keiner voraus. Anderes Unvermögen hätte sich vermeiden lassen. Viel zu lange etwa wurde CDU-Sozialsenator Mario Czaja im Senat von der SPD alleine gelassen – ohne Personal und Finanzen.

Wer moralisch überhöht betont, „solche Bilder“ am Lageso nicht mehr sehen zu wollen, der muss sich diesem Maßstab selber stellen. Die unerträglichen Zustände bei der Erstregistrierung, die Berlins Bild in der Republik böse beschädigt haben, sind nicht nur dem CDU-Senator zuzuschreiben. Wie würde Czaja heute gescholten, wenn er nicht frühzeitig Container für mobile Einrichtungen bestellt hätte – jetzt ist der Markt leer. Zur Chefsache machte Müller die Flüchtlinge aber erst nach langem Drängen von Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsbeirat. Die solidarische Stadt, die Müller zur Lösung der Herausforderung beschwört, ist längst am Lageso zu beobachten: Die bis zur Erschöpfung engagierten Freiwilligen von „Moabit hilft“ geben ein leuchtendes Beispiel für diese Solidarität.

Die Lage ist heute besser als vor Wochen

Vieles hat sich inzwischen zum Besseren verändert. Wir schaffen das – diesen Anspruch zu erfüllen, scheint realistischer als vor Wochen. Schnellere Belegung von Gebäuden, die Beschlagnahmung von Flächen auch gegen die Bezirke, Reaktivierung von Pensionären, ein Bürgeramt für Flüchtlinge oder die Belegung von Hallen am Flughafen Schönefeld zeigen einen entschlossenen Regierenden Bürgermeister. Gut so. Es geht immerhin um den sozialen Frieden; nicht um Abgrenzung und Profilierung innerhalb der rot-schwarzen Koalition. Die Risslinien, die sich im Plenum auftaten, stimmen da bedenklich. Bekommt der Senat die Lage nicht in den Griff, gibt es keine Entschuldigung, dann trifft das SPD und CDU gleichermaßen.

Und weil alles mit allem zusammenhängt, wie Müllers Vorvorgänger Diepgen zu sagen pflegt, muss die ganze Stadt zusammen gedacht werden. Ohne viele neue Wohnungen wird die Integration misslingen, Spannungen und Spaltungen in der Bürgergesellschaft würden zunehmen. Zumal die Last, die Berlin schultern muss, noch größer wird. Derzeit geht es darum, weitere Zehntausende notdürftig unterzubringen, die noch bis Jahresende hier erwartet werden. Wohin künftig mit den Menschen aus den Bundesländern, die als anerkannte Asylbewerber den Wohnort frei wählen dürfen, und von denen es überproportional viele in die Hauptstadt ziehen dürfte? Und die ihre Familien dann nachholen werden?

Die Berliner, die sich in allen Bezirken in bewundernswerter Weise engagieren, sind beim geforderten Mentalitätswechsel möglicherweise schon weiter als der Senat. Ein Wind des Wandels ist etwa zu spüren bei der Frage nach permanenter Randbebauung des Tempelhofer Feldes. Undenkbar war gestern. Die solidarische Stadt ist aber nur zu haben, wenn die Politik ehrlich und mit Mut vorangeht.

Die Tagesspiegel-Themenseite zu Flüchtlingen finden Sie hier.

Die Tagesspiegel-Themenseite zu Flüchtlingen in Berlin finden Sie hier.

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