25 Jahre Berliner Revuetheater Wintergarten: "Die Artistik wird nie untergehen"
Seit einem Vierteljahrhundert findet die Show in der Potsdamer Straße statt. Doch der Wettbewerb im prallen Berliner Kulturleben wird immer härter.
So stand es vor 25 Jahren im Tagesspiegel:
Kurz nach halb acht öffnen sich die Türen des in Rekordzeit umgebauten einstigen Quartier Latin. Als erste betritt im Kameralicht Edith Schollwer das Foyer. Die Chansonette mit dunklem Nerz-Cape und fescher Lederkappe erinnert sich in diesem Moment weniger an ihre Zeit beim „Insulaner“ als daran, dass sie noch im „alten“ Wintergarten in der Friedrichstraße aufgetreten ist. „Das war damals ein aufregendes Programm: nur Frauen, Orchester, Künstler, alles Frauen – toll!“ André Heller, mit Bernhard Paul und Peter Schwenkow einer der drei Väter des Etablissements der leichtgeschürzten Muse, möchte „nicht in Wintergartens Fußtapfen treten“, sondern ‚vor ihm den Hut ziehen“.
Und Harald Juhnke weiß noch nicht, ob er auf der Bühne über dem samtrot ausgeschlagenen Saal unter den 4564 kleinen Sternen am dunkelblauen Himmel auftreten möchte – „ick bin ja keen Artist“. Sicher, es ist alles etwas intimer (und kleiner) als im alten „Wintergarten“, aber ewig jung ist diese Kunst der Illusionen und der biegsamen Körper, der Phantasie und der mysteriösen Dinge, die da aus dem Zylinder gezaubert werden. Immer in fünf Minuten alles geben, wie Clown Grock: Nit möööööglich! Doch möglich. Nach dem schönen Motto am Eingang: „Dem Staunen gewidmet“.
Von allem etwas für jeden
Soweit der Premierenbericht aus dem Herbst 1992. 25 Jahre danach feiern am Donnerstagabend, 19. Oktober, 600 geladene Gäste mit den Künstlern vergangener und künftiger Programme das Jubiläum. Längst erleuchten die gelben Glühlampen an der Fassade nicht mehr allein eine etwas trostlose Potsdamer Straße. Das „Wintergarten“-Symbol strahlt nun sogar im Himmel über dem ehemaligen Haus des „Tagesspiegel“, und die „Potse“ erlebt mit neuen Galerien, Ateliers, Cafés, Restaurants einen Aufschwung als quirliger Ausläufer des Potsdamer Platzes.
Der Wintergarten hatte den Anfang gemacht und ist sich trotz mancher Fahrten auf der Achterbahn des Erfolgs treu geblieben: Hier darf weiter gestaunt werden. Manchmal so laut, dass einem die Ohren wegfliegen, und dann wieder so leise wie das Zirpen einer Grille. Von allem etwas für jeden.
Direktor Georg Strecker sitzt im öffentlichen Wintergarten-Café direkt unter seinem Büro und flicht seinem Haupt mit den kurzen grauen Haaren keinen Lorbeerkranz, denn „der Wettbewerb, in dem wir arbeiten, ist sehr hart“. Jeden Tag bietet Berlin zwischen zwei- und dreitausend Veranstaltungen. Täglich gehen bis zu 30.000 Tickets über die Tresen.
"Harter und unfairer Wettbewerb"
So toll das überschäumende Kulturleben für den Konsumenten ist – für die Anbieter wird es immer schwieriger, in der Flut zu bestehen. In den fetten Jahren nach der Jahrtausendwende zog alles in die Hauptstadt, da kamen die Neuen und die Neugierigen, und manche, wie Herr Wodarz mit seiner Entenbraterei, kamen immer wieder. Das Tipi wurde für ein halbes Jahr gebaut, jetzt erfreut es sich schon 15 Jahre großer Beliebtheit im Tiergarten am Kanzleramt. Wie die Bar jeder Vernunft.
„Für uns ist es doppelt schwer, da wir nicht nur in einem harten Wettbewerb stehen, sondern in einem höchst unfairen“, sagt Georg Strecker und fügt hinzu, er wolle nicht in den Verdacht eines Neidhammels geraten. Nur: Staatsoper, Gorki-Theater und Friedrichstadt-Palast bekommen Millionen überwiesen, „wir müssen sehen, dass wir über die Runden kommen. Zweihunderttausend könnte uns die Staatsoper abgeben, da wäre uns schon geholfen“.
Oder diese City-Tax, die die Gäste unserer Stadt bezahlen müssen. „Visit Berlin reist durch die Welt und macht mit uns Reklame, aber von den zusätzlichen Einnahmen sehen wir nichts“. Das liebe Geld im „beinharten Wettbewerb“.
Frische Ideen sind gefragt
Aber da sind ja noch die Idee für eine Show, die Musik, das künstlerische Personal und das Novum, dass im Wintergarten während der Show Speis’ und Trank im Dunkel des Saals serviert werden. „Heute stellt das Publikum ganz andere Ansprüche an das, was ihm auf der Bühne geboten wird“, sagt Georg Strecker, „und wir müssen aus immer denselben Zutaten einen neuen Kuchen herstellen“. Frische Ideen sind gefragt.
Der schönste Handstand auf einem Finger wird nach drei Minuten langweilig. Und Nummernprogramme sind out, ebenso der Ansager (obwohl gerade Ältere dem Conférencier, der die Fäden zusammenhält und lustige Sachen erzählt, hinterhertrauern).
Dafür sei eine neue Generation von Artistenkindern herangewachsen: polyglott, vielseitig, musikalisch, tänzerisch begabt. Ein Trend geht zur Ensemblearbeit, ein anderer zu Shows mit Life-Musik und akrobatischen Bildern. In der Potsdamer Straße bleibt man experimentierfreudig.
Vielleicht kommt doch mal wieder ein Moderator vorbei? Oder es gibt die Musik der fünfziger („Elvis geht immer“), sechziger und so weiter Jahre? Country mit Artistik? Oder mal wieder Mozart? Eine Zauberschau? Zauberei, Können und Staunen, diese drei. „Die Artistik ist über 3.000 Jahre alt, und sie wird nie untergehen“, sagt Wintergarten-Chef Georg Strecker. Live is live. Gratulation!
Lothar Heinke