Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf: Die Angst ist weg, die Unsicherheit geblieben
Vor einem Jahr war der Protest gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einer leeren Schule in Hellersdorf riesig. Inzwischen haben einige Anwohner sogar schon mal im Heim übernachtet. Nur wenige lassen sich noch von der NPD instrumentalisieren.
Bist du ein Nazi? André – 19 Jahre, Kurzhaarschnitt, um den Hals ein Thorshammer-Kettchen – stutzt. Die Sonne knallt auf Hellersdorf, 30 Grad, windstill. André setzt sich in einen schattigen Hauseingang in der Maxie- Wander-Straße. Nazi sei er nicht, auch wenn der Thorshammer ein bei Rechtsextremen beliebtes Germanensymbol ist.
Es ist gar nicht so leicht, in Hellersdorf einen richtigen Neonazi zu finden
Worauf die Frage abzielt, merkt André schnell: Ein paar Schritte weiter steht Deutschlands bekanntestes Flüchtlingsheim. Vor einem Jahr zogen in eine leere Schule in der Carola-Neher-Straße, Ecke Maxie-Wander-Straße 200 Flüchtlinge ein. Neonazis wollten das verhindern. Linke kamen zum Schutz der Flüchtlinge. Behelmte Polizisten rückten an, Fernsehteams filmten, ein Anwohner zeigte den Hitlergruß – das schlechte Image wird der Bezirk seitdem schwer los.
Und heute? „Ick sach ma’ so, gut find’ ick die Heimleute nicht“, sagt André. „Die sammeln Pfandflaschen aus’m Müll. Zusammen mit ihren Kindern... Und die sind laut.“ Kurze Pause: „Na ja, so laut ooch wieder nich’.“ Lange Pause: „Eigentlich is’ mir ditt egal.“ Dieser Tage ist es nicht leicht, in Hellersdorf einen richtigen Neonazi zu finden. Zum Glück.
Sicher, nach wie vor gibt es Anwohner, die Rassistisches von sich geben. Aber nur wenige lassen sich noch etwa von der NPD instrumentalisieren. Am Pfingstsonntag zogen Neonazis zum Heim – und blieben mit 40 Mann unter sich. Dass Bewohner und Mitarbeiter an solchen Tagen in Angst leben, wird von vielen im Bezirk als Schande gesehen. Doch insgesamt ist die Lage besser geworden.
Im Heim selbst ist viel passiert. In der einstigen Schule sind Wände in Flure eingezogen worden, jede Familie hat nun ein eigenes Bad. Ein Nachbargebäude wurde saniert, inzwischen leben hier 400 Frauen, Männer und Kinder. Die meisten kommen aus Syrien, Ägypten, Irak und Afghanistan, außerdem Roma vom Balkan und Kaukasier aus Russland.
Über den Hof rennen Kinder, malen mit Kreide, kreischen in der Sonne – was Kinder so machen. Einige Nachbarn haben sich darüber beschwert. Dabei war es viel lauter, als das Haus noch eine Schule war. Martina Wohlrabe, die Heimleiterin, ärgert sich besonders über Fälle wie diese: Wenn Fahrräder im Viertel gestohlen werden, klingeln Betroffene beim Heim – und sagen, sie müssten nachschauen, ob die Räder hier versteckt seien. Einige Bewohner berichten, dass man ihnen beim Einkaufen in den Supermärkten zwar distanziert, aber nicht aggressiv begegne. Ältere Nachbarn bringen Bücher und Spielzeug vorbei, Volkshochschullehrer geben Deutschkurse. „Wir können schon von so etwas wie Normalität sprechen“, sagt Wohlrabe. Vier Sozialarbeiter, die auch Arabisch oder Serbokroatisch sprechen, kümmern sich um die Bewohner. Zwei Betreuerinnen beschäftigen sich mit den 100 Kindern im Heim, 30 davon gehen in Schulen der Umgebung.
Einige im Bezirk kennen das Flüchtlingsheim sogar schon von innen
Seit einem Jahr ist auch „Hellersdorf hilft“ aktiv, ein Verein, der sich rassistischer Stimmungsmache sofort entgegengestellt hat. „Es gab viele Bewohner, die Ängste hatten, die sich mobilisieren ließen“, sagt Sprecher Stephan Jung. Und wer bislang NPD gewählt habe, werde es womöglich selbst dann wieder tun, wenn sich die Flüchtlinge völlig unkompliziert integrierten. „Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Ängste durch Begegnungen abbauen lassen.“
Ähnliches berichtet Sozialstadträtin Dagmar Pohle (Linke). Weil es vor einem Jahr hieß, der Bezirk habe die Anwohner übergangen, hat Pohle vor ein paar Monaten allen Haushalten im Kiez einen Brief geschickt, um den Einzug neuer Flüchtlinge anzukündigen. „Langfristig wünsche ich mir aber, dass diejenigen, die bleiben, in eigene Wohnungen können.“
Damit ein Asylantrag erfolgreich ist, muss er gut begründet werden. Die Behörden können dann eine Aufenthaltsgestattung für zwei Jahre erteilen. Damit dürfen Flüchtlinge arbeiten und einen Integrationskurs besuchen. Doch selbst wer gute Asylgründe angibt, kann in ein als sicher eingestuftes Drittland abgeschoben werden, das er auf dem Weg nach Deutschland zuerst erreicht hat. Viele Syrer sind über Bulgarien nach Deutschland gekommen. Und über Roma heißt es oft, sie seien aus ihrer Heimat geflohen, weil sie dort in Armut lebten. Armut aber gilt nicht als Asylgrund. Vergangenen Herbst besuchte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) das Heim und spielte Tischtennis mit einem bosnischen Jungen. Der Junge und seine Familie sind nun zurück in Bosnien.
Am 24. September soll es auf einem Platz in der Nähe ein Nachbarschaftsfest geben. Dazu lädt auch die PeWoBe ein, das Unternehmen, das das Heim im Auftrag des Senats betreibt. Neben dem Heim sollen sich dort Sportvereine, Jugendclubs und Wohnungsgesellschaften den Anwohnern vorstellen.
Einige im Bezirk kennen das Heim sogar schon von innen, dabei stammen sie aus Marzahn und nicht aus Mossul: Als im Mai ein Mann in Marzahn mit Gaskartuschen hantierte, löste er eine Explosion aus. Ein Hochhaus musste geräumt werden, einige Mieter kamen im Heim in der Maxie-Wander-Straße unter, wo gerade ein paar Zimmer frei waren.
Wie es weitergeht? Ein Nachbar – Typ: ordnungsliebender Gregor-Gysi-Fan – sagt: „Die Nazi-Lumpen bleiben weg, wenn genug Bürger zusammenstehen.“ Ein Syrer aus dem Heim, der sich auf den Weg zur U-Bahn gemacht hat, setzt sich noch kurz in den Schatten vor ein nahes Einkaufszentrum und trinkt mit einem Freund ein kühles Bier. André sagt: „Das hole ich mir jetzt auch. Das Heim bleibt, ditt steht fest. Gibt Schlimmeres.“