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Flughafen BER: Die Akte Schönefeld - 1989 bis 1996

In genau sechs Monaten wird der neue Flughafen „Willy Brandt International“ eröffnet – nach mehr als zwanzig Jahren Planung. Im Gespräch waren damals viele Standorte. Wie kam es eigentlich zu der Entscheidung?

Nach dem Fall der Mauer hatte das sich schnell wiedervereinende Berlin vieles doppelt und von manchem zu viel, von anderem aber nicht genug. Drei Opernhäuser zum Beispiel, drei Universitäten, drei große Hochschulkliniken. Und zweieinhalb Flughäfen, wenn man zu denen in Tegel und Schönefeld noch den eigentlich ziemlich still gewordenen in Tempelhof dazurechnet. Dass die Flughafenkapazitäten angesichts der prognostizierten Wachstumsraten eher zu klein als zu groß waren, begriff die Politik schnell. Es war nicht nur der berlintypische Nachwende-Wachstums-Wahn, der die Planer trieb, sondern die nüchterne Erkenntnis, dass das aus allen Nähten platzende Tegel viel zu klein, das nicht ausgelastete Schönefeld hingegen in der Substanz auf Dauer zu marode sein würde.

Der Erste, der bereits am 14. Dezember 1989, also gerade einmal einen Monat nach dem Fall der Mauer, auf das Thema zu sprechen kam, war der damalige Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Detlev Dzembritzki. Bei einer Sitzung des Rates der Bürgermeister stellte er fest, die innerstädtischen Flughäfen Tegel und Schönefeld seien mittelfristig für einen Ballungsraum von fünf Millionen Menschen ungeeignet. Die fünf Millionen waren für die Hauptstadt alleine zu hoch gegriffen - nimmt man die Region Berlin-Brandenburg als Einzugsgebiet, trifft die Zahl aber ziemlich genau.

Keine vier Wochen später, am 19. Januar 1990, luden die Vorsitzenden der Lufthansa, Ruhnau, und der DDR-Gesellschaft Interflug, Henkes, zu eine Pressekonferenz nach Schönefeld und verkündeten, beide Fluggesellschaften planten den Bau eines neues Großflughafens außerhalb von Berlin. Er solle „Berlin International“ heißen, Baubeginn solle 1995 sein. Tegel hatte damals sechs Millionen Passagiere jährlich, Schönefeld drei Millionen. Für 2005 rechnete Ruhnau mit 30 Millionen Passagieren, Henkes nannte 20 Millionen. Der neue Flughafen solle südlich von Berlin entstehen und nicht weiter als 40 Kilometer vom Zentrum entfernt sein. Man werde darauf achten müssen, so Henke, dass An- und Abflüge künftig nicht mehr über das Stadtgebiet führten.

Bereits vier Tage danach, am 23. Januar 1990, beschließt die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus „Grundsätze zur Berliner Luftverkehrspolitik“, die sie eine Woche später, am 30. Januar, der Öffentlichkeit vorstellte. Die Sozialdemokraten rechnen bis zur Jahrtausendwende mit 15 Millionen Passagieren und stellen fest, dass sich diese Menschenmassen nur durch den Neubau eines Flughafens, nicht aber durch den Ausbau von Tegel und Schönefeld, bewältigen lassen. Und sie zeigen Weitsicht: Ein zügiger Ausbau der Bahnstrecke Berlin – Hannover könne die Zahl der Flugreisenden um 500 000 pro Jahr reduzieren ...

Die CDU-Fraktion geht einen Monat später über den Tagesspiegel an die Öffentlichkeit. Ihr verkehrspolitischer Sprecher, Rainer Giesel, kommt am 25. Februar 1990 mit einem umfangreichen Beitrag in dieser Zeitung zu Wort. Der Kern der Botschaft: Ein neuer Großflughafen muss im Süden der Stadt gebaut werden, es „bietet sich der heute von der Sowjetunion genutzte Flughafen Sperenberg in der Nähe von Luckau an“.

Am 30. März 1990 meldet sich Matthias Prokoph, der „Direktor für Flughäfen“ bei der DDR-Luftverkehrsgesellschaft Interflug. Auch er sieht den neuen Flughafen im Süden der Stadt und erklärt, warum alle Standorte im Westen oder Osten der Stadt automatisch ausscheiden – weil dies die Hauptwindrichtung sei und alle startenden und landenden Maschinen die Stadt in niedriger Höhe überfliegen müssten.

Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 war die Hoheit über den Luftverkehr von und nach Berlin wieder auf deutsche Stelle übertragen worden. Da hatte der Luftverkehr bereits derartig zugenommen, dass ein Ausbau der bestehenden Flughäfen unausweichlich schien.

Am 11. Oktober 1990 plädiert der sozialdemokratische Wirtschaftssenator Peter Mitzscherling nicht nur für den Neubau eines Flughafens und den Ausbau der bestehenden, sondern fordert auch, für den Geschäftsverkehr die Flughäfen Gatow und Tempelhof wieder zu öffnen.

Am 30. Dezember 1990 sagt Flughafendirektor Robert Grosch im Tagesspiegel, Tempelhof müsse stärker genutzt, und Schönefeld und Tegel sollten im Abfertigungsbereich deutlich ausgebaut werden. Alle Turboprop-Maschinen sollten künftig den alten Zentralflughafen ansteuern. Grosch empfiehlt, für den neuen Flughafen müssten Experten mehrere Standorte parallel prüfen und sich nicht vorzeitig nur auf einen Ort festlegen.

Am 6. Januar 1991 teilt die Lufthansa mit, sie würde ihre Flüge nach New York (kein Lesefehler!) nicht mehr von Schönefeld, sondern künftig von Tegel aus abfertigen. Die primitiven Verhältnisse in Schönefeld seien unzumutbar.

Am 22. April stellt Brandenburgs Wirtschaftsminister Hirche ein Vierpunkteprogramm vor, das eine Arbeitsgruppe Luftverkehr beider Bundesländer erarbeitet hatte. In die Abfertigungsanlagen in Schönefeld sollen 300 Millionen DM investiert werden, für den Bau eines neuen Großflughafens werden 20 bis 25 Jahre veranschlagt. Als mögliche Standorte werden die Gemeinden Sommerfeld, Groß Behnitz, Altes Lager und Sperenberg erwähnt. Durch den Bau zusätzlicher Startbahnen im Süden von Schönefeld könnten die Kapazitäten des vorhandenen Flughafens deutlich gesteigert werden.

Am 2. Mai 1991 unterzeichnen Bund, Berlin und Brandenburg einen Vertrag über die Gründung einer gemeinsamen Flughafenholding für Tegel, Tempelhof und Schönefeld.

Am 9. Mai verkündet der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck, man sei sich mit Berlin über den Bau eines neuen Flughafens im Süden der Stadt einig geworden. Drei Standorte seien im Gespräch: Sperenberg, Genshagener Heide und Schönefeld-Süd. Gegen eine Erweiterung des bisherigen Schönefelder Flughafens sprächen nicht nur Umweltprobleme, der Standort sei auch verkehrsmäßig nicht vernünftig anzubinden.

Am 3. Juni 1991 sprechen sich Brandenburger Landräte und Bürgermeister der möglichen Standortregionen für Sperenberg aus. Bürgermeister Donath verweist auf eine Umfrage, wonach 76 Prozent der Einwohner seiner Gemeinde dem Bau eines neuen Flughafens zustimmen. Die Sperenberger wüssten genau, was auf sie zukommt. Sperenberg sei seit 120 Jahren Militärstandort und seit 40 Jahren Militärflughafen. Brandenburgs Verkehrsminister Wolf will Sperenberg durch den Bau eines Transrapid an Berlin anbinden. Wenige Tage später sind Berlins Umweltsenator Volker Hassemer und sein Brandenburger Kollege Matthias Platzeck in Schönefeld bei einem Bürgergespräch mit hitzigem Widerspruch gegen den Standort Schönefeld-Süd konfrontiert. Darüber freut sich der Zossener Landrat Giesecke, denn der will den Flughafen nach Sperenberg holen: „Wir brauchen den Flughafen, weil unsere Region sonst wirtschaftlich tot ist“, sagt er.

Am 13. Juni 1991 verwirrt Bundesverkehrsminister Günther Krause, immerhin der Vertreter des Bundesanteils in der Holding, die Berliner und Brandenburger mit einer neuen Idee. Krause will die Abfertigung vom eigentlichen Flugbetrieb abkoppeln. Gepäck könne in Berlin aufgegeben und dann nebst Passagieren mit einer Magnetschwebebahn oder dem Transrapid schnell zum weit außerhalb liegenden Flughafen gebracht werden. Auch einen Standort dafür hat Krause: Parchim in Mecklenburg.

Am 24. August 1991 tritt ein neuer Bewerber um den künftigen Großflughafen an: Die Kreisstadt Jüterbog bringt sich als Standort ins Gespräch. Auf dem 8200 Hektar große ehemaligen Panzerschießplatz der roten Armee sei, so Bürgermeister Rüdiger, sowieso nur verbrannte Erde und Karnickelsand, man mache also ökologisch nichts kaputt. Und wie in Sperenberg gilt auch in Jüterbog: Die Gemeinde erhofft sich durch den neuen Flughafen wirtschaftlichen Aufschwung für eine benachteiligte Region.

Auch in der Berliner CDU schreitet der Meinungsbildungsprozess voran. Noch im Oktober hatte Umweltsenator Hassemer dementiert, dass sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen skeptisch über den Bau eines neuen Großflughafens geäußert habe und stattdessen den Ausbau von Schönefeld favorisiere. Am 27. Dezember 1991 sprechen sich der Vizepräsident des Umweltbundesamtes Andreas Troge (er wird später dessen Präsident), ein CDU-Mann, sowie der CDU-Staatssekretär Lutz Wicke für den Standort Schönefeld-Süd aus. Ein weit von der Stadt entfernter Airport, so argumentieren beide, verursache zusätzlichen Straßen- und Schienenverkehr und gefährde die angestrebte Schließung der innerstädtischen Flughäfen.

Das lässt den brandenburgischen Umweltminister Platzeck nicht ruhen, passen doch die Berliner Äußerungen zusammen mit anderen Überlegungen in der Hauptstadt-CDU, Tegel und Tempelhof nicht zu schließen, wenn der neue Großflughafen zu weit vor der Stadt liegt. Platzeck warnt, die gemeinsame Linie der beiden Länder – ein neuer Großflughafen statt der drei bisherigen – zu verlassen. Die Genshagener Heide, also Großbeeren, ist zwischenzeitlich als Standort aus der Diskussion, weil die Ungewissheit die Einrichtung eines Güterverkehrszentrums in der Region behindert, wegen der Unsicherheit springen bereits Investoren ab. Sperenberg, Jüterbog und Schönefeld-Süd bleiben im Rennen.

In ganz großen Dimensionen denkt inzwischen der frühere Lufthansachef Heinz Ruhnau. Er engagiert sich für den Standort Sperenberg, hat die Vision von drei bis vier Startbahnen und jährlich 60 bis 80 Millionen Passagieren, berichtet der Tagesspiegel am 30. März 1992. Einen Tag zuvor zitiert die Zeitung den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe mit der Prognose, die endgültige Standortfestlegung könne vermutlich Ende 1993 erfolgen.

Am 17. Juni 1992 spricht sich Bundesverkehrsminister Günther Krause für Schönefeld-Süd aus. Den Befürwortern von Sperenberg und Jüterbog wirft der CDU-Mann vor, sie hätten die Einreichung der nötigen Planungsunterlagen „verpennt“.

Am 21. August des Jahres scheint die Entscheidung gefallen. Ein von der brandenburgischen Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten des Beratungsunternehmens Lahmeyer zur Standortprüfung gibt Schönefeld-Süd und Sperenberg kaum eine Chance und favorisiert Jüterbog-Ost und Jüterbog-West, zwei ehemalige Truppenübungsplätze sowie Borgheide mit dem Truppenübungsplatz Lehnin und Michelsdorf westlich davon. Sofort zeichnet sich ab, dass Berlin mit dieser Standortauswahl nicht einverstanden ist.

Am 7. Oktober 1992 beklagt der Tagesspiegel, dass ein Raumordnungsverfahren, die unabdingbare Voraussetzung für eine Flughafenplanung, mit Sicherheit nicht, wie geplant, zum Ende des Jahres abgeschlossen sein wird – das Verfahren wurde überhaupt noch nicht beantragt, weil sich Berlin und Brandenburg nicht über den Standort einigen können.

Und dann werden noch einmal 93 weitere Standorte geprüft

Am 3. Februar 1993 versucht Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe, im Standort- und Terminstreit zu schlichten. Er macht widersprüchliche Aussagen der drei Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg für die Verwirrung verantwortlich. Tatsächlich hat Bundesverkehrsminister Günther Krause, nachdem sein Lieblingsprojekt Parchim in Mecklenburg von allen anderen als „aus der Welt“ zurückgewiesen wurde, wohl aus Trotz erklärt, angesichts der „schweren Versäumnisse“ der beiden Landesregierungen sei das ganze Vorhaben kaum mehr zu verwirklichen. CDU-Mann Krause ist erneut für den Ausbau von Schönefeld. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf will aus ganz anderen Gründen überhaupt keinen neuen Großflughafen im Süden der Hauptstadt: Er fürchtet, der neue Leipziger Flughafen würde dann zum reinen Messeflughafen „verkommen“.

Am 9. März 1993 schreibt Lufthansa-Chef Jürgen Weber im Tagesspiegel, Berlin brauche nicht drei, sondern einen großen Flughafen – so stadtnah wie möglich, rund um die Uhr betriebsbereit, mit Schiene und Straße optimal vernetzt. Und Weber droht: „Entscheidungen über den weiteren Ausbau des Standortes und eines Drehkreuzes können wir aber nur treffen, wenn wir die Parameter und damit die Kosten kennen.“

Eine Woche später, am 16. März, reißt eine im Auftrag des Bundesverkehrsministers Krause erarbeitete Luftverkehrsprognose für den Raum Berlin-Brandenburg alle Planer aus den Träumen. Im Jahre 2010 würden es, heißt es da, statt der bislang erwarteten 30 Millionen Passagiere wohl nur 21 Millionen sein. Daraus ergebe sich die Frage, ob man überhaupt einen neuen Flughafen braucht.

Am 27. April 1993 überrascht das Brandenburger Wirtschaftsministerium mit einem weiteren Standortvorschlag. Minister Walter Hirche hat neben den bislang acht ausgewählten Standorten weitere 93 überprüfen lassen und findet jetzt auch Tietzow bei Nauen nahe der Autobahn nach Hamburg geeignet.

Am 20. Juni 1993 verkündet eine Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburg-Flughafenholding, man habe sich auf die nähere Evaluierung von nunmehr nur noch drei Standorten geeinigt: Schönefeld-Süd, Jüterbog-Ost und Sperenberg. Für alle drei potenziellen Standorte solle ein Raumordnungsverfahren eingeleitet werden.

Am 16. Januar 1994 meldet sich die Bürgerinitiative „Flughafen Sperenberg - Nein danke“ mit der Nachricht im neuen Jahr zurück, der Bau eines Flughafens in der Region würde eine für Deutschland beispiellose Waldvernichtung zur Folge haben. Auf insgesamt 3300 Hektar müssten 22 Millionen Bäume abgeholzt werden. Die Bürgerinitiative fordert deshalb die sofortige Einstellung aller Planungsarbeiten.

Matthias Wissmann (CDU), inzwischen Nachfolger Günther Krauses im Amt des Bundesverkehrsministers, fordert am 20. Januar 1994 den stufenweisen Ausbau des bestehenden Flughafens in Schönefeld zum neuen Großflughafen. Dies sei die kostengünstigste Lösung.

Da nicht klar ist, ob Schönefeld ausgebaut oder gar zum neuen Großflughafen umgebaut wird, und in welcher Richtung dies geschehen könnte, hat die Flughafenholding „auf Verdacht“ Grundstücke gekauft, die vermutlich nicht gebraucht werden, wie am 22. März 1994 bekannt wird. Für Kredite zum Bodenerwerb im sogenannten Baufeld Ost mussten 500 Millionen DM aufgenommen werden. Da dies zu einem Fehlbetrag in der Bilanz geführt hat, muss der geplante Ausbau von Schönefeld verschoben werden. Die Airlines haben ohnedies keine Lust, von Tegel nach Schönefeld umzuziehen.

Eine Woche später, am 29. März 1994, fordert der Köpenicker Bürgermeister Klaus Ulbricht, für Schönefeld ein Nachtflugverbot zu verhängen und den Ausbau zum Großflughafen auszuschließen. Das gesamte Naherholungsgebiet im Süden Berlins sei durch überfliegende Maschinen gefährdet.

Am 10. Mai 1994 teilt die Geschäftsführung der Flughafen-Holding mit, sie wolle Anfang 1995 über den Standort des künftigen Großflughafens entscheiden. Voraussetzung sei, dass das Potsdamer Umweltministerium das vergleichende Raumordnungsverfahren bis zum November 1994 abgeschlossen habe. Die Holding habe keine Präferenzen für einen der drei in die engere Wahl genommenen Standorte Sperenberg, Jüterbog oder Schönefeld-Süd. Eine Woche später, am 16. Mai, wird das Raumordnungsverfahren offiziell eröffnet.

Am 20. Mai legen die Beratungsunternehmen Arthur D. Little und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ein Gutachten vor, wonach der neue Flughafen für Berlin nur dann nennenswerte wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Wirkung habe, wenn er stadtnah angesiedelt werde. Voraussetzung für Wachstumsimpulse sei zudem ein dichtes Luftverkehrsangebot inklusive Nonstop-Flügen in den asiatisch-pazifischen Raum.

Die Lufthansa steht zu Berlin. Mit dieser Botschaft treten am 7. Juni 1994 die beiden Vorstände Hemjoe Klein und Wilhelm Althen an die Öffentlichkeit. Neben Frankfurt und München solle ein drittes Drehkreuz errichtet werden. Über Berlin sollen vor allem Anschlussflüge in Richtung Osteuropa abgewickelt werden. Wenn die Kapazitäten in Frankfurt und München erschöpft seien, biete Berlin die einzigen Wachstumsmöglichkeiten.

Plant Diepgen einen Regierungsflughafen in Tegel?

Am 24. Oktober warnt der sozialdemokratische Berliner Wirtschaftssenator Norbert Meisner „vor Tendenzen innerhalb der Berliner CDU und auch beim Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, auf den Bau eines Großflughafens für die Region Berlin-Brandenburg zu verzichten“. Diese Haltung sei mit einem hartnäckigen Widerstand gegen die Schließung von Tempelhof und der Erwartung verbunden, Tegel als Regierungsflughafen erhalten und ausbauen zu können.

Am 17. November liegen die Ergebnisse des vom Brandenburger Umweltministerium beauftragten Raumordnungsverfahrens vor. Im Gegensatz zu Jüterbog-Ost und Sperenberg entspreche Schönefeld-Süd nicht den Erfordernissen der Raum- und Landesplanung. Dieser Standort würde „unverhältnismäßig viele Einwohner belasten“.

Am 12. Januar 1995 verkündet die Brandenburger CDU, für sie sei der Standort Schönefeld „gestorben“. Der neue Flughafen müsse einen 24-Stunden-Betrieb ermöglichen und über eine Anbindung an die Hochgeschwindigkeitsnetze der Bahn verfügen. Nach diesen Kriterien sei Sperenberg Favorit.

Eine Woche später, am 19. Januar, schließt sich die Industrie- und Handelskammer aufgrund eines Gutachtens der Forderung nach einem 24-Stunden-Betrieb an. Nach der CDU des Landes votiert auch die Brandenburger SPD-Fraktion für Sperenberg.

Eine Woche später, am 28. Januar, zieht die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mit der gleichen Empfehlung nach.

Am 10. Februar 1995 treffen sich in Bonn Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann, Ministerpräsident Manfred Stolpe und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Bei dem Gespräch, an dem auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Flughafen-Holding, Hans-Olaf Henkel, teilnahm, einigte man sich auf eine Entscheidung zwischen Sperenberg und Schönefeld-Süd. Jüterbog ist aus dem Rennen.

Am 12. Februar 1995 wird massive Kritik des Bundesrechnungshofes an den Dimensionen des Flughafenprojektes bekannt. Die angenommene Zahl von 25 Millionen Passagieren im Jahre 2004 resultiere aus einer „Übermaßplanung“. Der Ausbau des bestehenden Flughafens in Schönefeld sei völlig ausreichend. Der „Spiegel“ will erfahren haben, dass die projektierten Kosten von 15 Milliarden DM „alle bisherigen Monumente politischen Größenwahns in den Schatten“ stellen würden.

Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe warnt am 15. Februar 1995 davor, den neuen Airport in Schönefeld zu errichten. Er kritisiert: „Wer ernsthaft den Großflughafen in Schönefeld bauen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass er in spätestens 15 bis 20 Jahren einen innerstädtischen Flughafen hat“. Stolpe bezweifelt, dass am Standort Sperenberg 22 Millionen Bäume gefällt werden müssten. Es seien allenfalls 12 bis 15 Millionen „Gewächse“, davon seien weniger als die Hälfte nach biologischer Definition Bäume.

Zum wiederholten Mal spricht sich am 5. April 1995 die Industrie- und Handelskammer für den Standort Sperenberg aus. IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Hertz verweist auf die Notwendigkeit eines 24-Stunden-Betriebs und des Ausbaus eines internationalen Frachtverkehrs sowie eines Verkehrsknotenpunktes.

Die Mehrheit der Berliner ist für eine schnelle Fusion Berlins mit Brandenburg. Am 20. April 1995 veröffentlicht der Tagesspiegel die Ergebnisse einer Umfrage. Nur 25 Prozent der Berliner lehnen ein gemeinsames Bundesland ab. Auch in der Flughafenfrage haben die Berliner klare Ansichten: 77 Prozent sprechen sich für einen stadtnahen Flughafen, für Schönefeld, aus.

Eine Umfrage, veröffentlicht am 17. Mai 1995, hat ein überraschendes Ergebnis. Auch 80 Prozent der Brandenburger sind für den Standort Schönefeld.

Der Flughafen Schönefeld soll zumindest als Zwischenlösung ausgebaut werden. Darauf einigen sich am 2. Juni 1995 in Bonn Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann, Eberhard Diepgen und Manfred Stolpe.

Am 23. Juli telefonieren Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen miteinander. Nach einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur einigten sich beide darauf, dass mit Inbetriebnahme eines neuen Terminals in Schönefeld Tempelhof geschlossen werden solle.

Am 21. November 1995 verabschiedet sich Manfred Stolpe mit dem Vorschlag, Schönefeld für die nächsten 15 bis 20 Jahre auszubauen, letztlich vom Projekt Sperenberg.

Am 5. Mai 1996 scheitert die Fusion durch das negative Urteil der Brandenburger Bevölkerung. Während sich in Berlin 53,4 Prozent der Wähler für das Zusammengehen beider Länder aussprechen, sind in Brandenburg 62,7 Prozent dagegen.

Am 28. Mai 1996 herrscht endlich Klarheit. Die drei Flughafengesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg legen sich auf Schönefeld als Standort des neuen Flughafens fest, der bis 2010 für 20 Millionen Passagiere entstehen soll. Die CDU-geführte Bundesregierung und der CDU-geführte Senat von Berlin haben nicht nur die politische, sondern auch die Anteilsmehrheit. Spätestens mit dessen Eröffnung soll Tegel geschlossen werden, Tempelhof schon früher.

PS: Nach einer Hochrechnung der Berliner Flughafengesellschaft werden per 31. Dezember 2011 in Tegel und Schönefeld zusammen knapp 24 Millionen Passagiere abgefertigt worden sein.

Gerd Appenzeller

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