Die Architektin des ICC: "Der Zustand ist tiptop!"
Am Sonntag fand im ICC in Berlin die letzte Show statt. Zeit für ein Abschiedsrundgang mit seiner Architektin – die auch prompt eine neue Idee präsentiert.
Das mit dem Raumschiff hat sie immer geärgert. Ebenso, wenn ihr Gebäude als Manifest der Technikgläubigkeit der 1960er und 70er Jahre bezeichnet wurde. „Alles Quatsch“, sagt Ursulina Schüler-Witte, während sie durch die Eingangshalle des Internationalen Congress Centrums geht. „Wir haben nicht nach ästhetischen Überlegungen gebaut, sondern nach praktischen, bauphysikalischen Bedingungen“, sagt sie. „Aber so, dass es hinterher ästhetisch aussieht.“
Fast 50 Jahre ist es her, dass Ursulina Schüler-Witte und ihr Mann Ralf Schüler den Wettbewerb gewannen, ein Gebäude der Superlative zu bauen – „ohne bis dahin ein einziges Haus geplant zu haben“, wie sich die Architektin mit schelmischem Lächeln erinnert. Mit 80 Sälen und Räumen sowie Kosten von knapp einer halben Milliarde Euro war das ICC der teuerste Bau West-Berlins, heute gilt das 1979 eröffnete Haus als eines der bedeutendsten deutschen Bauwerke der Nachkriegszeit.
Und, sehr zu Schüler-Wittes Verdruss, als eines der umstrittensten. Wegen hoher Betriebskosten und nötiger Sanierungen stand es jahrelang im Zentrum einer politisch aufgeladenen Kontroverse. Nun will der Senat das ICC zwar erhalten, sucht dafür aber statt der Messegesellschaft, die von dem Bau abgerückt ist, einen privaten Investor, der es saniert. In Kürze soll das ICC bis auf Weiteres schließen, an diesem Sonntag gab es mit dem „Zapfenstreich“ die letzte öffentliche Veranstaltung, nach der Hauptversammlung der Daimler AG im April bleiben die Türen bis auf Weiteres dicht.
Zeit für einen – vorläufigen – Abschiedsbesuch. Und ein engagiertes Plädoyer für die Erhaltung des Gebäudes. Denn wer mit Ursulina Schüler-Witte durchs ICC spaziert, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die 81-Jährige recht hat, wenn sie sagt: „Das wird für die nächsten 100 Jahre halten.“
Der Rundgang beginnt am Eingang unter einer Lichtskulptur, deren Zustand einen abfälligen Kommentar der Architektin provoziert. Wie bei so manchem in diesem Bau, das sie und ihr vor drei Jahren verstorbener Mann entworfen haben, lässt die Pflege zu wünschen übrig. Die Neonröhren sind tot, stattdessen leuchten „dämliche Strahler“, wie Schüler-Witte lästert. Das sei wie mit der Aluminiumfassade, die dem Bau ihr markantes Aussehen gibt: Die sei seit Jahren nicht mehr gereinigt worden. Nun sei sie sanierungsbedürftig. Wenngleich sie die öffentliche Debatte über den Sanierungsbedarf übertrieben findet. Vor allem das „Asbestgeschrei“, wie sie sagt – inzwischen hätten Gutachten klargestellt, was sie schon immer gesagt habe, nämlich dass Asbest kaum verwendet wurde, und wenn, dann in fester Form und in Ecken, wo er keinen Schaden anrichten könne.
Beim Gang zu den Veranstaltungssälen erzählt sie, wie der 320 Meter lange Bau zu seiner Form kam. „Das Grundstück prägte das Haus.“ Wegen der umliegenden Verkehrsadern mussten schmale, gestapelte Räume entworfen werden. Und um den Lärm von Bahn und Autobahn abzuwehren, wurde eine Haus-in-Haus-Konstruktion gewählt. Gebäude und Dach liegen auf Neoprenlagern, die den Schall schlucken, erklärt Schüler-Wittes Bekannter, Heinz Oeter: Der war damals als Geschäftsführer von Krupp Stahlbau Berlin fürs Dach zuständig und ist an diesem Tag zum Abschiedsbesuch mitgekommen.
"Der Zustand ist tiptop!"
„Das Haus diente der Kommunikation, deswegen haben wir viel Wert auf Transparenz gelegt“, sagt Schüler-Witte und zeigt auf einen Treppenaufgang, der den Blick in die darüber liegenden Etagen freigibt. Alles hier trägt ihre Handschrift und die ihres Mannes. Von den roten und blauen Neonröhren, die Besuchern die schnelle Orientierung ermöglichen, über die verschiebbaren Tresen, an denen an diesem Tag die Fachbesucher der Tourismusbörse ITB in den Messehallen nebenan einchecken, bis zum Kugelmuster der Teppiche. „Das ist ein Signet: Wenn sie ein Interview sehen, das hier geführt wurde, erkennen sie sofort, dass es das ICC ist.“
Hatten sie und ihr Mann damals eigentlich Angst vor der monumentalen Aufgabe? „Nein“, sagt sie und schüttelt den Kopf angesichts so einer Frage. Zehn Jahre ihres Lebens haben sie in das Projekt investiert, bis zu 100 Mitarbeiter hatte ihr Büro, Zwölf-Stunden-Tage waren die Regel. „Wir waren auf den Tag genau fertig – ohne einen einzigen Fehler.“
Dann geht es zum Herzstück des Hauses, den großen Veranstaltungssälen. „Sie sehen, der Zustand ist tiptop“, sagt die Architektin und schaut sich in dem 5000-Sitze-Saal um, der bei Bedarf mit dem Saal nebenan kombiniert werden kann – rund um die zweitgrößte Bühne Europas, wie sie stolz sagt. „Das Haus ist sehr variabel.“ Die Zukunftsideen fürs ICC, die in letzter Zeit kursieren, findet sie allerdings unerträglich. Mal ist von einem Spielcasino die Rede, mal von einem Baumarkt. „Idiotisch“, sagt Schüler-Witte. „Das Haus ist für Veranstaltungen und Kongresse entworfen.“ Das Kostbarste an dem Gebäude sei ja nicht die Außenhülle, sondern sein Inneres.
„Das hier sind die patentierten Konferenzsessel, die mein Mann entworfen hat“ – Schüler-Witte zeigt auf die verstellbaren Klappsessel, die variable Tische und kleine Lampen haben. „Das ist eine unglaubliche Atmosphäre, wenn die Lichter an sind.“ Was sie und ihr Mann hier nicht alles gesehen haben, seitdem das Haus 1979 vom Bundespräsidenten eröffnet wurde. Herbert von Karajan und Liza Minnelli, über diverse Bälle sind sie getanzt, auch ein Match von Boris Becker gegen Mats Wilander haben sie hier verfolgt.
Wie es war, so ein außergewöhnliches Gebäude zu entwerfen? „Wie ein Bild zu malen – aber ein Bild mit einer Funktion.“ Nachdem sie und ihr Mann den Wettbewerb gewonnen hatten, verteilten sie die Aufgaben: „Ich bekam die unangenehmen juristischen Sachen, während mein Mann das Haus bis in die letzte Schraube plante.“ Rund 2000 Zeichnungen und Entwürfe waren notwendig. Im Nebensaal zeigt Schüler-Witte, dass auch sie so manche kluge Idee beisteuerte: Dort lässt sich ein 4000-Sitze-Saal binnen Minuten in einen Saal für 2500 Personen verkleinern, indem eine unter der Decke hängende Bestuhlung samt Raumtrenner heruntergelassen wird – mit der Idee verhinderte sie eine Budgetüberschreitung, wegen derer das Projekt auf der Kippe stand. Kürzlich hat sie sich mit jener Zeit wieder genauer beschäftigt, weil sie ein Buch über die Arbeit mit ihrem Mann verfasst hat, für das noch ein Verlag gesucht wird.
Wie sie sich die Zukunft ihres Gebäudes vorstellt? Das Parkhaus am Südende sollte durch ein Hotel ersetzt werden. Dann rechne sich das ICC auch wieder als Kongresszentrum, ähnlich wie das Estrel in Neukölln. „Schauen sie doch, in was für einem guten Zustand das alles ist!“ Der Abschied vom Gebäude ist an diesem Tag daher nur vorübergehend, hofft sie. Schmerzhaft sei es trotzdem. „Ich fürchte um das Haus – weil ich weiß, was für ein kostbares Ding wir hier gebaut haben.“