Kunstgeschichte: Der verfälschte Zille
Eine neue Ausstellung in der Villa Oppenheim zeigt, wie die NS-Propaganda die Werke des „Milljöh“-Zeichners für ihre Zwecke umdeutete und vereinnahmte.
Propere Marktfrauen, angesäuselte Kneipenhocker, Straßenkinder, Huren, Kleinganoven, Schwerenöter. Das proletarische Personal auf den Zeichnungen Heinrich Zilles (1858-1929) war nicht nazikonform. Als 1933 das deutsche Kulturerbe in Gut und Böse eingeteilt wurde, erhielt Zille das Etikett „sozialistischer Volksschädling“. Bücher und Filme über Zille wurden verboten, seine Zeichnungen beschlagnahmt, Denktafeln entfernt. Ein klarer Fall verfemter Kunst. Aber so klar dann doch nicht.
Eine neue Ausstellung im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, Villa Oppenheim, zeigt das Verhältnis der Nationalsozialisten zum populären Berliner Volkszeichner weitaus differenzierter. „Zensur und Willkür. Das Werk Heinrich Zilles im Nationalsozialismus“ zeigt die Ambivalenz nationalsozialistischer Kulturpolitik. Während Zille-Bücher beschlagnahmt werden, läuft parallel bereits die Wiederaneignung des Künstlers und seine Indienstnahme für die Kriegspropaganda. Zille, so erkannten die Nazi-Kulturfunktionäre, ist zu bekannt und sein Schaffen zu allgegenwärtig, als dass man ihn so einfach vergessen machen könnte.
Die Ausstellung basiert auf den Forschungen des jungen Kunsthistorikers Pay Matthis Karstens. Der gebürtige Flensburger, der an der Humboldt-Uni arbeitet, nahm sich des Themas für seine Bachelor-Arbeit an und stieß in den Archiven auf überraschende Funde. Anders als landläufig angenommen, seien Zilles Bücher zwar verboten, aber nicht konsequent beschlagnahmt und schon gar nicht verbrannt worden, sagt der 23-Jährige. „Es gab niemals eine offizielle Leitlinie für den Umgang mit Zilles.“ Nach anfänglich oft willkürlichen Beschlagnahmungen kam es nicht zu einer systematischen Indizierung seines Werks. Im Gegenteil: Zille wurde „umgedeutet“, seine Elendporträts aus den Hinterhöfen lieferten nun die „Negativfolie“, wie es Karstens ausdrückt, um die verkommenen Zustände in der Weimarer Republik anzuprangern. Die Nazis unterstellten ihm antisemitische Tendenzen. Einige seiner Figuren wurden als „jüdische Schnorrer“ umgedeutet.
In der Ausstellung werden Originalzeichnungen und Bücher gezeigt, die in der damaligen Auseinandersetzung eine Rolle spielten. Glanzstücke sind zwei Fensterbilder aus der ehemaligen Zille-Klause in der Charlottenstraße. Sie waren zuletzt 1986 im Ost-Berliner Ephraim-Palais gezeigt worden. Zusammen mit den Fensterbildern hingen in den 30er Jahren rund 107 Zille-Werke in der Kneipe, ohne dass jemand daran Anstoß nahm.
Auch ökonomische Überlegungen mögen bei der Umdeutung Zilles eine Rolle gespielt haben. Für die Verleger waren Zille-Bücher ein sicheres Geschäft. So betrieb der Autor Hans Ostwald erfolgreich die Neuauflage seines eigentlich verbotenen Zille-Buches und tat sich dazu mit dem Nazi-Schriftsteller Otto Paust zusammen. Passagen mit sozialkritischer oder pazifistischer Satire wurden umgeschrieben und viele Zeichnungen weggelassen. Bis heute wirke diese Verfälschung von Zille-Büchern nach, sagt Kuratorin Sabine Meister. Zille gelte vielen nur als harmloser Witzblattzeichner.
Zille stammte selbst aus dem Milieu, das er beschrieb. Als 9-Jähriger bezog er mit seinen Eltern eine Kellerwohnung am Ostbahnhof. In der Kaiserzeit, die nur Glanz und Gloria gelten lassen wollte, leuchtete er in die dunklen Winkel der Gesellschaft. Der Bildband „Mein Milljöh“ und andere Publikationen provozierte die Sittenwächter, die ihm Pornographie vorhielten. Der Kaiser selbst sprach von „Rinnsteinkunst“, das völkische Blatt „Fridericus“ diffamierte ihn als „Abort- und Schwangerschaftszeichner“. Schon in den 20er Jahren wurde Zille mit Verboten und Prozessen überzogen. Verteidigt wurde er von seinen Freunden: Max Liebermann, Otto Nagel und Käthe Kollwitz.
Die Zille-Ausstellung eröffnet zur Langen Nacht der Museen am Samstag, 16. März, 19 Uhr, in der Villa Oppenheim, Schloßstr. 55, Charlottenburg. Pay Matthis Karstens hat zum Thema ein Buch veröffentlicht: Verboten und verfälscht. Heinrich Zille im Nationalsozialismus, Vergangenheitsverlag, Berlin 2013, 16,90 Euro.
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