Schülerwachstum und Schulraummangel in Berlin: Der Trend geht zur Einheitsschule
Rund 50 neue Gebäude aus Fertigteilen sollen stadtweit die Raumnot lindern. Das bringt Entlastung – aber auch neue Probleme für Schüler und Lehrer.
Mitten in den Osterferien herrscht Hochbetrieb in der Grundschule am Berg in Altglienicke: Als mittags die Hortkinder nach ihrem Ausflug eintrudeln, ist ihr Bildungsstadtrat gerade dabei, einem Tross von rund 15 Leuten ein Novum zu erläutern – den ersten MEB von Treptow-Köpenick.
„MEB“ – das steht für „Mobiler Ergänzungsbau“ und ist gerade dabei, sich in Berlin auszubreiten: Ein Netz von rund 50 Schulgebäuden aus genormten Fertigteilen soll bis 2017 in zehn von zwölf Bezirken die Raumnot gelindert haben. Während das kinderreiche Pankow schon seit 2013 Bekanntschaft mit dieser Art von Schnellbauverfahren machte, steht Treptow-Köpenick noch ganz am Anfang.
"Das hier ist ein richtiges Schulhaus"
„Alle denken an Container, aber das hat ein MEB nicht verdient: Das hier ist ein richtiges Schulhaus und kann 50 Jahre stehen – manche sagen sogar 100 Jahre!“, gibt Michael Vogel den Ton an diesem Mittwochmittag im Foyer der Schule vor. Der CDU-Bildungsstadtrat, der früher am selben Standort zur Schule ging, hat seinen Mitarbeitern vorgeschlagen, sich diesen ersten MEB des Bezirks gemeinsam anzusehen, damit alle wissen, worum es geht, wenn sich wieder einmal Eltern mit Bedenken melden. Denn die MEBs haben nicht den besten Ruf: Zum generellen Unbehagen über die genormte Einheitsarchitektur kommen Bedenken wegen fehlender Fachräume, schlechter Innenanstriche und wegen der Raumluftqualität.
Für Lüftungsanlagen fehlt das Geld
Letzteres treibt vor allem Stefanie Remlinger um. Die Grünen-Bildungsexpertin hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die MEBs aufgrund ihrer Verarbeitung und ihrer energetischen Effizienz kaum Luftaustausch zulassen: Während die Fenster und Türen von Altbauten selbst im sanierten Zustand noch etwas Frischluft hindurchlassen, sind die MEBs derart hermetisch abgeriegelt, dass der Sauerstoff in den Klassenräumen schnell verbraucht ist. Dies hatten auch die Senatsverwaltungen für Umwelt und Gesundheit als Problem erkannt und den Einbau von Lüftungsanlagen in neuen oder sanierten Schulen befürwortet. Aus Kostengründen wurde das entsprechende Rundschreiben aber zurückgezogen.
Deshalb steht Michael Vogel jetzt im Erdgeschoss des MEB und lässt sich erklären, wie das Problem stattdessen gelöst werden soll: In jedem Klassenraum wurden Sensoren angebracht, die den Kohlendioxidgehalt der Luft messen. Sobald er über den kritischen Wert steigt, leuchtet eine kleine rote Lampe auf. Das bedeutet dann, dass schleunigst die Fenster aufgerissen werden sollten, damit die Schüler voll arbeitsfähig bleiben oder zumindest nicht einschlafen.
Der Innenanstrich musste bereits nachgebessert werden
Das Problem mit dem schlechten Innenanstrich ist noch nicht gelöst, sondern nur notdürftig beseitigt: Vogel berichtet, dass Eltern bereits wenige Wochen nach dem Erstbezug der Schule zum Pinsel greifen mussten: Anders als erhofft, erwies sich der Anstrich nicht als abwaschbar. In anderen Schulen wird über verschmutzte Treppenhäuser berichtet. Nun heißt es, dass künftig vielleicht Fliesen angebracht werden sollen, oder zumindest ein besser geeigneter Anstrich, was allerdings die Preise noch mehr in die Höhe treiben dürfte.
Die hohe Nachfrage nach MEBs führt zu Preissteigerungen
Schon jetzt ist der Kostenanstieg enorm. Eine Anfrage Remlingers ergab soeben, dass ein MEB mit 24 Räumen am Oberstufenzentrum Holzbautechnik inzwischen 5,25 Millionen Euro kosten soll, während ein MEB dieser Größe noch 2015 für vier Millionen Euro zu haben war. Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt es mehrere Gründe für diesen großen Preisunterschied. Dazu zählt die jährliche Steigerung des Baupreisindexes, aber auch die Tatsache, dass sich der Markt infolge der "enormen Nachfrage" nach modularen Schnellbaumaßnahmen für Schulbauten, Sporthallen, Flüchtlingsunterkünften "stark verändert" habe, berichtet Verwaltungssprecherin Petra Roland. Hinzu kommen standortbezogene Besonderheiten, wie etwa der notwendige Abriss eines Vorgängergebäudes. Abgesehen davon gibt es Veränderungen bei den jeweiligen Vorgaben wie die Schaffung von Bereichen für die Mehrzwecknutzung. In jedem Fall sind die Fertigbauten aber wesentlich preiswerter als massive Individualbauten und benötigen nur ein Bruchteil der Bau- und Planungszeit - etwa zwei statt sieben Jahre.
Ungeachtet der Tatsache, die Modulbauten eintönig und genormt sind, freuen sich viele Kinder und Eltern einfach darüber, dass es endlich moderne, gut zu pflegende Toiletten und Waschbecken gibt. Auch alte Gardinen oder durch Sonneneinstrahlung überheizte Klassenzimmer gehören der Vergangenheit an: Die neuen Gebäude verfügen über automatische Jalousien.
Und was sagt die Schulleiterin? Antje-Katrin Kirschner strahlt, wenn sie durch die in Buntstiftfarben gehaltenen Räume geht: Die Schulkonferenz hat sich für die rote Außenverkleidung entschieden, drinnen leuchtet eine Etage gelb, die andere grün. Aber wenn man durchs Fenster blickt, sieht man den wilhelminischen Altbau der alten Gemeindeschule von 1914, der zu klein geworden ist, und dann weiß man, was jene meinen, die die genormten Schulhäuser nicht mögen.
Von einem Provisorium zum Nächsten - Berlin und die wechselnden Schülerzahlen
Alle 20 Jahre werden in Berlin die Schulen knapp – so etwa lässt sich die Entwicklung der letzten 60 Jahre zusammenfassen. Entsprechend werden abwechselnd Schulen dichtgemacht oder neu gebaut. Je nach Planungsgeschick und Zuzügen in den einzelnen Bezirken sind mehr oder weniger provisorische Gebäude anzutreffen.
BABYBOOMER
Die erste große Schulraumnot nach dem Krieg gab es in den 60er und 70er Jahren, als die Generation der sogenannten Babyboomer versorgt werden musste. Damals entstanden Mobile Unterrichtsräume (MURs), von denen rund 40 noch immer in Betrieb sind. Sie gelten als Sondermüll und sind zum Teil baufällig, waren auch nicht für 50 Jahre konzipiert.
MAUERFALL
Die hohe Geburtenrate in der DDR sowie Zuzüge nach dem Mauerfall und die Asbestverseuchung etlicher Neubauten führten dazu, dass in den 90er Jahren über 100 weitere sogenannte Container errichtet werden mussten. Wegen der Sparpolitik in den folgenden Jahren war es nicht möglich, diese Container systematisch durch massive Neubauten zu ersetzen, zumal dann auch der Geburtenknick in den östlichen Bezirken dazu führte, dass die Schülerzahl von über 400 000 auf rund 320 000 sank. In dieser Zeit bewirkte der Spardruck zudem, dass die Bezirke Schulen abgeben mussten, wenn sie nicht mehr voll ausgelastet waren.
NEUE ENTWICKLUNG
Seit etwa drei Jahren steigt die Schülerzahl wieder an. Seither kommen die neuartigen Modularen Ergänzungsbauten (MEBs) ins Spiel. Zunächst verlief der Anstieg moderat – etwa durch Zuzüge aus anderen Bundesländern, zuletzt aber rapide durch die Flüchtlinge: Unter ihnen sind allein rund 20 000 zusätzliche Schulkinder. 50 MEBs sind in Planung oder schon gebaut.
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