Tierwelt Berlin: Der rätselhafte Taubentod
In Berlin hat sich die Zahl der gurrenden Plagegeister in kurzer Zeit halbiert. Ein neu entdeckter Parasit könnte dabei eine Rolle spielen. Den drastischen Rückgang erklärt er aber nicht.
Vieles wurde schon ausprobiert. Antibabypillen für Stadttauben, Metallspitzen auf Mauersimsen, um die Tiere zu vergrämen, und es gibt sogar ein Quartiersmanagement für die oft ungeliebten Vögel: Betreute, abseits gelegene Brutstätten, in denen man ihre Eier gegen Gipseier austauscht. Aber all das kann ein Phänomen nicht erklären, das Experten derzeit ins Rätseln bringt. Der Bestand der Stadttauben hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als halbiert. Das ergeben Zählungen des Naturschutzbundes (Nabu). Verlässliche Untersuchungen über die Ursachen fehlen noch. Ein kürzlich entdeckter Parasit, der schon ganze Taubenschläge ausgelöscht hat, könnte eine Rolle spielen. Doch er wird gerade erst erforscht. Trotz des immensen Rückgangs hat sich der Ärger, den Tauben in der Stadt verursachen, aber offenbar kaum reduziert.
Gerade noch 14 000 Tauben gebe es in Berlin, sagt Klaus Witt, der beim Naturschutzbund hauptsächlich mit den Stadttauben befasst ist. Etwa 60 Prozent weniger als vor fünf Jahren. Ein Faktor könnten die natürliche Feinde der Stadttaube sein. Allein 80 Habichtreviere betreut der Nabu in Berlin. Die Greifvögel ernähren sich hauptsächlich von den verwilderten Haustauben. Geht deren Population weiter zurück, wird es wohl auch für diese Vögel bald eng bei der Futtersuche.
Habichte könnten allerdings ungewollt selbst dazu beitragen, diese Entwicklung zu beschleunigen. An der Freien Universität (FU) haben Forscher einen neuen Parasiten entdeckt, der Tauben befällt und tötet. Der Krankheitserreger war den Forschern aufgefallen, weil ganze Bestände teurer Brieftauben auf die immer gleiche Art zu Tode kamen. Ein Team um Achim Gruber vom Institut für Tierpathologie fand heraus, dass die Tauben sich am Kot von Greifvögeln, speziell dem des Habichts, mit einer bisher völlig unbekannten Parasitenart ansteckten.
Die Wissenschaftler tauften den Erreger, eine Sarkozystenart, auf den Namen „Sarcozystis calchasi.“ Der Parasit bildet im Muskelgewebe Zysten und löst schließlich eine Hirnhautentzündung aus. Dass Berlins Tauben aber vor allem durch dessen Auswirkungen erheblich weniger werden, hält Achim Gruber für sehr unwahrscheinlich. Der Parasit verbreite sich nicht wie eine Seuche, werde nicht von Taube zu Taube übertragen. Die Tiere könnten sich nur dort anstecken, wo sie Kontakt zu Kot von Greifvögeln hätten. Wenn davon etwas im Futter eines Taubenschlages lande, könne das den ganzen Bestand bedrohen. Für die wilden Tauben im Stadtgebiet schätzen die Experten aber die Ansteckungsgefahr als gering ein. Derzeit wird der Parasit weiter untersucht, für den Menschen geht von ihm offenbar keine Gefahr aus.
Auch der Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin, Klaus Lüdcke, hat den Rückgang der Taubenpopulation bereits bemerkt. Er weist auf erfolgreiche Projekte hin, die darauf abzielten den Bestand zu regulieren. Seit Jahren setzt er sich wie berichtet für betreute Taubenschläge ein, die abseits von Gebäuden und Gegenden eingerichtet werden, die Tauben ansonsten heimsuchen. Diese Schläge sollen die gurrenden Plagegeister fortlocken. In ihnen werden dann die Eier der Tauben gegen Gipseier ausgetauscht, um so den Bestand zu reduzieren. In Spandau, sagt Lüdcke, geschah dies schon mit Erfolg. Der Platz am Rathaus des Bezirks sei schon fast taubenfrei, ein weiteres Projekt in Reinickendorf werde gut angenommen. Bald soll auch der Potsdamer Platz auf diese Weise das Taubenkotproblem loswerden. Geht es nach Lüdcke, folgen bald weitere betreute Taubenschläge. Den Bezirken entstünden dadurch keine Kosten. Ein Problem muss aber vorher gelöst werden: Die Tauben nehmen die neuen Brutplätze nur an, wenn sie ausschließlich dort gefüttert werden. Menschen die Taubenfutter auf öffentlichen Plätzen ausstreuen, untergraben diese Bemühungen, sagt der Tierschutzbeauftragte. Taubenfütterer müsse man konsequenter an ihrem missbräuchlichen Tun hindern und auf ihre Verantwortung hinweisen.
Verwilderte Tauben verursachen insbesondere durch ihren Kot berlinweit jährlich Kosten von hunderttausenden Euro. Rund eine halbe Million Euro hat allein die BVG im letzten Jahr im Rahmen einer Generalsanierung nur für die Beseitigung von Taubenkot ausgegeben. In den Jahren davor lagen die Kosten bei etwa 100 000 Euro. Dazu kämen Schäden an der Bausubstanz. Vom Taubenkot zerfressene Regenrinnen erzeugten beispielsweise Wasserschäden, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Burkhard Ahlert, Sprecher der Deutschen Bahn AG Berlin, beziffert die Kosten für die Beseitigung des Taubendrecks ebenfalls mit „zigtausenden Euro“. Allein die Ausstattung eines Bahnhofs mit Taubenabwehrvorrichtungen wie Spikes oder Spanndrähten koste pro Station mindestens 10 000 Euro.
Eine notwendige Investition. Schließlich produzieren Berlins Stadttauben Schätzungen zufolge fast 480 Tonnen Kot im Jahr. Bei der BVG hat man sogar den Eindruck, es sei in den vergangenen Jahren noch um einiges mehr geworden. Dies hängt damit zusammen, dass sie an manchen Orten in sehr großen Schwärmen auftreten. „Eben dort, wo sie viel Nahrung und gute Nistplätze vorfinden“, sagt der Senatsbeauftragte Klaus Lüdcke. Deshalb müsse man sie dorthin locken, wo sie nicht stören. „Ganz los wird man die Tauben ohnehin nicht.“
Sidney Gennies
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