Wedding: Der Leopoldplatz räumt auf
Lange haben Drogenhändler und Trinker den Weddinger Kiez für sich beansprucht – Anwohner sahen hilflos zu, wie die Gegend verkam. Auch ein Alkoholverbot brachte wenig Besserung. Nun verstärken Bürger und Geschäftsleute den Druck auf das Bezirksamt.
Als der Mann auf der Straße plötzlich husten musste, fielen die in seinem Mund versteckten Heroinkügelchen auf den Boden. „Das war ihm noch nicht einmal peinlich“, sagt Gottfried Uebele. Der Betreiber eines Ladens für Jugendliche ohne nachmittägliche Zuflucht an der Maxstraße im Wedding erlebt viele solche Szenen – seit Jahren schon. Wie viele Anwohner und Geschäftsleute hält er die Lage rund um den Leopoldplatz für nicht mehr hinnehmbar. Immer mehr Dealer handeln unverhohlen mit Drogen. Die Trinkergruppen an der Alten Nazarethkirche und an den U-Bahn-Eingängen vermüllen den Platz im Wedding und verschrecken mit ihren Pöbeleien Familien und Kunden. Das vom Bezirk Mitte vor einem knappen Jahr verhängte Alkoholverbot hat daran nichts geändert. Nun sucht ein vom Bezirksamt einberufener Runder Tisch nach Lösungen für die Probleme am Leopoldplatz. Den 40 in der Bürgerplattform „Wir sind da!“ organisierten Gruppen aus Wedding und Moabit geht das nicht schnell genug voran. Auf einer Versammlung der Plattform in der Heilandskirche in Moabit nahmen unlängst knapp 500 Menschen Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) und Stadtentwicklungsstadtrat Ephraim Gothe (SPD) in die Pflicht.
„Wir konnten unsere Forderungen zum Teil durchsetzen“, sagt Nicole Rittstieg, die an der Malplaquetstraße ein Antiquariat betreibt und sich in der Plattform engagiert. Unter anderem hat das Bezirksamt zugesagt, Anfang kommenden Jahres Bänke an der Ecke Turiner Straße/Nazarethkirchstraße zu überdachen und dort einen Aufenthaltsbereich für die Suchtkranken zu schaffen. „Wir suchen nach Lösungen, mit den oft schwer kranken Menschen zu leben“, sagt Rittstieg. An der Turiner Straße würden die Trinker und Süchtigen zumindest weniger Kunden, U-Bahngäste und Kirchgänger stören als jetzt, wo sie sich nahe der Müllerstraße und an der Alten Nazarethkirche zu Dutzenden tummeln. Finanziert über das Programm „Aktive Zentren“ soll am neuen Aufenthaltsort auch ein kostenloser Toilettencontainer aufgestellt werden. Die an der Müllerstraße vorhandene öffentliche Toilette werde wegen der Nutzungsgebühr von 50 Cent von den Trinkern nicht genutzt, berichtet Bürgermeister Hanke. Darüber hinaus fordert die Plattform den regelmäßigen Einsatz von Straßensozialarbeitern am Leopoldplatz. Es sei aber noch geklärt, ob dafür Geld verfügbar ist, sagt Rittstieg.
Manchen vor Ort gehen diese Ansätze nicht weit genug. Geschäftsmann Hüyseyin Ünlü, der an der Schulstraße einen Friseurladen betreibt, würde die Alkoholiker und Süchtigen am liebsten ganz vertreiben. Ihm blieben die Kunden weg, auch an die Schließung seines Ladens habe er schon gedacht. Andere Geschäftsleute hätten längst aufgegeben. Aus schierer Not hat Ünlü vor die Tür zu seinem Kellerlagerraum einen Holzverschlag gebaut. An diese Stelle sei früher öfter gepinkelt und gekotet worden – eine Zumutung sei das für seine Mitarbeiter gewesen, die von dort Material für den Salon holen müssen. Einen überdachten Aufenthaltsort mit Gratistoilette auf dem Platz hält er dennoch für keine gute Idee. „Dann kommen noch mehr Trinker“, fürchtet Ünlü.
Als harte Maßnahme sollte das Anfang dieses Jahres am Leopoldplatz genauso wie am Fernsehturm, am Blochplatz und am Ottoplatz erlassene Alkoholverbot wirken. Gefruchtet hat es nicht, die Bilanz des für das Ordnungsamt zuständigen Bezirksstadtrats Carsten Spallek (CDU) fällt ernüchternd aus. „Uns fehlt schlichtweg die Handhabe“, sagt Spallek. Seine Mitarbeiter sind zwar nahezu täglich rund um den Leopoldplatz unterwegs, können aber im Konflikt mit aggressiven Betrunkenen wenig ausrichten und werden von den Trinkern nicht ernst genommen. „Die können sehr gut zwischen Uniformierten in Grün und solchen in Blau unterscheiden“, sagt der Stadtrat. Die nötige Autorität genieße lediglich die Polizei, die nur selten zur selben Zeit mit dem Ordnungsamt am Leopoldplatz sei. Außerdem gelte das über die Parkordnung erlassene Alkoholverbot dezidiert nur auf der Grünfläche, sagt Spallek. Ein Schritt auf den Bürgersteig genüge, und die Trinker seien rechtlich wieder auf sicherem Grund. Der Stadtrat fordert deshalb, das Trinken auf öffentlichem Straßenland berlinweit zu verbieten. Ohne eine solche Initiative auf Landesebene seien die Bezirke machtlos.
Anders gelagert sei übrigens der Fall bei dem von ihm selbst verhängten Alkoholverbot vor dem Rathaus Wedding an der Müllerstraße auf bezirkseigenem Gelände. Dort habe er von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht und das Verbot mit Hilfe eines privaten Sicherheitsdienstes durchsetzen können. Spallek wertet die zweimonatige Testphase als vollen Erfolg: kaum noch Belästigungen von Mitarbeitern und Besuchern durch Trinkergruppen, sichtlich weniger Müll und Scherben auf dem Vorplatz. Ob im kommenden Jahr abermals Wachschutzleute den Vorplatz sauber halten, wird im Bezirksamt geprüft. Auch über eine Aufhebung des unwirksamen Alkoholverbots auf Grünflächen diskutiert das Bezirksamt. Die Bürgerplattform würde das begrüßen. „Wir sind dagegen, die Suchtkranken zu vertreiben und zu kriminalisieren“, sagt Nicole Rittstieg.
„Der Leopoldplatz ist auch aus polizeilicher Sicht ein Brennpunkt“, sagen Raimund Osietzki, stellvertretender Leiter des Polizeiabschnitts 35, und Ronald Sohn, Hauptsachbearbeiter des Einsatzdienstes. Tatsächlich habe sich die Lage in diesem Jahr verschärft, insbesondere der Handel mit harten Drogen habe zugenommen. Die Polizei zeige auch verstärkt Präsenz. Sie müsse aber ein gesundes Gleichgewicht finden. „Wir wollen nicht nur die Kleinkriminellen schnappen, sondern auch die Hintermänner“, sagt Osietzki. Die Polizei arbeite deshalb auch mit verdeckten Ermittlern, die Aktivitäten würden neuerdings auf Direktionsebene abgestimmt. Die Trinkergruppen seien aus Polizeisicht auf dem Leopoldplatz besser zu kontrollieren als in entlegenen Hauseingängen beispielsweise an der Utrechter Straße. Außerdem stimme die Einschätzung betroffener Anwohner nicht, dass sich am Leopoldplatz Trinker aus der ganzen Stadt versammeln. „Wir wissen, dass diese Menschen alle rund um den Platz wohnen“, sagt einer der Polizisten.
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