Berlin: Der kulinarische Philosoph
Ferran Adrià sucht in Berlin Mitstreiter für ein weltumspannendes Projekt. Er will das Wissen über Geschichte und Zukunft des Kochens im Internet ordnen und zugänglich machen.
Ferran Adrià ist weltberühmt, und das merkt man ihm durchaus an. Zwar ist der Erfinder der Molekularküche nicht sehr groß von Statur und trägt lässig schwarzes T-Shirt zur schwarzen Hose und rote Schnürsenkel in den Turnschuhen. Der Raum im Hotel Stue scheint trotzdem zu klein für ihn zu sein. Mit lachenden Augen und der Verve eines Visionärs und Propheten spricht er über sein neuestes Projekt. „BulliPedia“ heißt es, und soll das Beste vom Internet mit der kulinarischen Crème de la Crème weltweit zusammenbringen. Dafür sucht er Mitstreiter, auch in Berlin.
Deshalb haben sich am Montagmorgen unter anderem Berlins Spitzenkoch Michael Hoffmann, Spaniens Botschafter Pablo Garcia-Berdoy Cerezo, viele Fachjournalisten und Adrià-Weggefährten wie Albert Raurich vom Dos Pallilos, Paco Perez vom Cinco sowie Joan Roca und Andoni Luis Aduriz versammelt.
Koch als Künstler war gestern. Die neuen Spitzenköche sind Forscher weltweit. Sie sammeln das kulinarische Wissen der Menschheitsgeschichte und werden zu Lehrern einer globalen Gourmetgemeinde. Ein einschlägiges Menü der Molekularküche, die die Spanier einst verfochten haben, besteht aus aufwendig hergestellten fragilen Winzigkeiten, aus veränderten Konsistenzen und Texturen. Heißes Eis ist typisch, ebenso die Verwendung von Injektionsnadeln, Reagenzgläsern und Stickstoff, eine Küche für Kerle, die nicht Ingenieur geworden sind. Anfang des Jahrtausends erreichte der Hype darum seinen Höhepunkt, Adrià wurde als der verrückteste Koch der Welt gefeiert. Paco Perez praktiziert diese Küchenrichtung heute noch, hofiert von Prestige-Essern aus dem ganzen Land, im Cinco am Rande des Tiergartens. El-Bulli-Gene finden sich aber auch im Dos Pallilos, wo die Gesellschaft den zweiten Teil des Tages verbrachte.
Michael Hoffmann war vor allem da, um zu lernen. „Man muss immer offen sein“, sagte er. Molekular hat der Züchter historischer Gemüsesorten nie gekocht. „Ich arbeite eher produktorientiert“, sagte er nüchtern. Mitreißen ließ er sich dann doch vom Temperament des Spaniers, der sogar einen Neandertaler aus rotem Maschendraht mitgebracht hatte, um die Dimensionen seiner Mission angemessen in Szene zu setzen. Um Winzigkeiten geht es längst nicht mehr, sondern ums ganz große Ganze. Wo fängt kochen an, wo hört es auf? Was machten sich die Leute vor circa 12 000 Jahre zu essen und was die ersten Menschen? Seit Adrià Botschafter der spanischen Gesellschaft Telefónica ist, hat er die Mittel und Möglichkeiten, der Kochkunst noch mehr Bedeutung zu schaffen. Manchmal klingt er dabei fast poetisch. „Was ist Honig? Die Bienen kochen für dich!“
Mit dramatischer Geste hält er das älteste Kochbuch hoch, das er finden konnte. Es ist von 1370. „Was nützt Wissen, wenn man es nicht teilt“, fragt er rhetorisch. Mit BulliPedia will er ein Internet-Forum schaffen, in dem alle ihre Techniken teilen können. „Was meinen Sie, wie viele Kochtechniken es gibt“, fragt er in die Runde. Hoffmann zählt leise: „Schmoren, braten dünsten ...“. „Über 200“, trompetet Adrià, zu dem der Name seines vor zwei Jahren geschlossenen Restaurants „El Bulli“ vorzüglich passte.
In Berlin sei es tatsächlich noch so, „dass man sein Wissen nicht teilt“, sagt Hoffmann später. Aber die Idee, bei BulliPedia mitzuwirken, fasziniert ihn. Er würde gern mit anderen die Zubereitungstechniken teilen, die es für Rote Bete gibt. Vor allem will Ferran Adrià aber auch die Universitäten anstacheln, sich dem Thema zu widmen. Harvard ist schon dabei, Cambridge, Oxford zählt er ebenfalls auf. Er hofft, dass sich auch in Berlin Hochschulen finden, die mitmachen. Unter anderem deshalb ist er ja hier. In anderthalb Stunden wird er immer furioser. „Wir müssen wollen, dass die junge Generation uns überholt“, ruft er begeistert. Der Erfinder der Molekularküche mutiert jetzt mal eben zum Erfinder der kulinarischen Philosophie.
Fragen wir doch rasch Herrn Hoffmann, was der aktuelle Trend ist. Die gelassene Antwort lautet: „Regionales ...“
Elisabeth Binder
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