Erstklässler in Berlin: Der große Tag der Einschulung
Heute beginnt für 32.000 Berliner Kinder eine aufregende Zeit. Drei Kinder aus drei Bezirken erzählen, worauf sie sich in der Schule freuen.
Für rund 32 000 Kinder in Berlin wird dieser Sonnabend wohl einer der aufregendsten Tage ihres bisherigen Lebens. Denn dann werden sie eingeschult – und zählen als Schulkinder dann definitiv nicht mehr zu den Kleinen. Wir haben drei Kinder und ihre Eltern besucht. Eins ist bei allen Kindern gleich: Sie können es kaum erwarten, dass die Schule endlich losgeht.
ARTUR WEIDLICH AUS FRIEDRICHSHAIN
Eine Schultüte ist schon eine tolle Sache: Da ist Platz für Geschenke, man kann sie stolz herumtragen – und auch im leeren Zustand kann man mit ihr wunderbar herumalbern. Genau das machen der sechsjährige Artur und sein zehnjähriger Bruder Oskar in ihrer Wohnung in Friedrichshain. Auch der Schulranzen ist ganz nach Arturs Geschmack: „Star-Wars“-Motive und ein Dinosaurier sind darauf.
„Ich kann schon ein bisschen rechnen“, sagt Artur, „acht plus acht ist 16 und 15 plus fünf ist 20.“ Wie hat er das gelernt? „Das hab ich mir so ausgedacht“, sagt er, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
Am Sonnabend wird Artur in der Temple-Grandin-Schule eingeschult. Es ist eine integrative Grundschule, in seiner Klasse werden auch fünf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. „Wir sind sehr froh, dass wir den Platz bekommen haben“, sagt seine Mutter Jana Weidlich. „In Arturs Klasse sind nur zwanzig Kinder, und es gibt zwei Klassenlehrerinnen, auch das Konzept mit dem jahrgangsübergreifenden Lernen gefällt uns.“
„Aber manchmal meckern sie auch, dass es schwer ist.“
Artur hat zwei ältere Brüder. „Wenn das dritte Kind in die Schule kommt, ist es viel entspannter als beim ersten,“ sagt Jana Weidlich. „Da hat man schon verstanden, wie Schule funktioniert und weiß, worauf es ankommt: dass die Kinder in ihrem eigenen Tempo lernen und dass sie auch erst mal in der Schule ankommen müssen.“ Und was haben die Brüder Artur von der Schule erzählt? „Dass es ihnen Spaß macht“, sagt Artur. „Aber manchmal meckern sie auch, dass es schwer ist.“
SINA KRAH AUS BRITZ
Einen Moment noch, gleich geht es los: Aber erst muss die große Schwester der sechsjährigen Sina noch die Haare flechten. Und Sina will auch das Kleid anziehen, das sie für die Einschulung ausgesucht hat. Dann steht das Mädchen auf der Terrasse ihres Elternhauses in Britz, und man sieht ihr an, wie stolz sie ist, bald eine Erstklässlerin zu sein. „Ich komme in die Delfinklasse“, sagt sie, und da passt es doch gut, dass auf ihrem Ranzen und der Schultüte eine Meerjungfrau zu sehen ist.
Am Sonnabend wird Sina in der Fritz-Karsen-Schule anfangen. Die Schule liegt am Rande der Hufeisensiedlung, in der Sina und ihre Familie wohnen. Drei ältere Geschwister hat sie, und alle sind in der Fritz-Karsen-Schule eingeschult worden – genau wie auch ihr Vater Stephan Krah.
Sina freut sich am meisten auf den Kunstunterricht
„Wir haben wahrscheinlich schon alle Systeme durch, die es an Berliner Grundschulen gab: Vorschule, keine Vorschule, Einschulung mit fünf, jahrgangsübergreifendes Lernen, Noten ab der dritten Klasse“, erzählt Mutter Viola Krah. Bei Sina wird es wieder etwas anders: Sie wird bis zur sechsten Klasse keine Noten haben, und jahrgangsübergreifend in den Klassen 1 bis 3 und 4 bis 6 lernen. „Ich glaube, das ist das Richtige für Sina“, sagt ihre Mutter.
Denn die Sechsjährige kann schon ganz gut lesen und schreiben, und in der altersgemischten Klasse könne sie auch mal bei den größeren Kindern mitlernen, wenn es passt. Und worauf freut sich Sina am meisten? „Auf den Kunstunterricht“, sagt sie, denn Malen ist – neben Klavierspielen, Rollschuhkunstlauf und Turnen – eines ihrer Hobbys.
SHARAM SAFI AUS MARIENFELDE
Für den sechsjährigen Sharam ist klar, worauf er sich in der Schule freut: „Aufs Deutschlernen und Lesen und Schreiben“, sagt er und grinst verschmitzt. Sharam lebt mit seinen Eltern und seinen fünf Schwestern in der Notunterkunft in der Daimlerstraße in Marienfelde. Die Familie ist aus Afghanistan geflohen. Seit 20 Monaten ist sie in Deutschland. Sharam spricht schon ganz gut Deutsch, er übersetzt für seine Eltern und wechselt dafür ins Persische.
Die ersten Monate wohnte die Familie im ICC. Jetzt in Marienfelde haben sie ein eigenes Appartement, etwas mehr als fünfzig Quadratmeter für die acht Familienmitglieder. In den Appartements dürfen die Bewohner aus Sicherheitsgründen nicht selbst kochen, was viele sehr bekümmert. 370 Menschen wohnen in der Unterkunft, rund die Hälfte von ihnen sind Kinder – 16 werden jetzt eingeschult.
Ehrenamtliche haben Schultüten für die Kinder gebastelt
Sharam kommt auf die Marienfelder Grundschule, auf die gehen auch drei seiner Schwestern. Er hat die Kinderbetreuung in der Unterkunft besucht und auf diese Weise Deutsch gelernt. „Ich spiele gern mit Lego und mit meinen Schwestern“, erzählt Sharam. Ehrenamtliche haben Schultüten für die Kinder gebastelt. Wenige Tage vor der Einschulung waren noch nicht für alle Kinder Schultaschen organisiert – doch das Kinderhilfswerk sprang nach einem Hilferuf ganz kurzfristig ein und spendete sieben neue Ranzen.