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Der Fernsehturm, einst als „Ulbrichts Renommierstengel“ verschrien, feiert am Tag der Deutschen Einheit sein 44. Jubiläum.
© dpa

Jubiläum am Alexanderplatz: Der Fernsehturm wird 44

Das höchste Berliner Wahrzeichen wird 44. Der Fernsehturm am Alexanderplatz feiert passenderweise am Tag der Deutschen Einheit Jubiläum und ist beliebt wie eh und je. Eine Geschichte des Zusammenwachsens zwischen Ost und West.

Der Fernsehturm am S-Bahnhof Alexanderplatz hat am Donnerstag sein Schnapszahl-Jubiläum: Er wird 44 Jahre alt. Der Zufall und der 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 wollten es, dass das mit 365 Metern höchste deutsche Gebäude just an jenem 3. Oktober eröffnet wurde, der seit 23 Jahren Tag der Deutschen Einheit ist. Der Alex-Turm und die Bundesrepublik Deutschland haben also immer am gleichen Tag Geburtstag, beide sind Waage, ausgleichend, allem Schönen zugetan und gerecht.

21 Jahre verbrachte die Betonröhre als „Fernseh- und UKW-Turm“ ihre Jugend in der DDR, dann kam sie unter den Bundesadler, der nun schon seit 23 Jahren um die silberne Kugel über Berlin kreist. Zur Feier des Tages wird die Turm-Kugel Donnerstagabend hell angestrahlt, bis 20. Oktober wiederholt sich dieses kleine Schauspiel jeden Abend. In den 44 Jahren seines Bestehens haben bisher rund 55 Millionen Besucher aus 90 Staaten der Erde von der Aussichtsetage und dem Restaurant den Blick über Berlin schweifen lassen, an Spitzentagen fahren 5000 Gäste auf den Turm. Chefin Christina Aue hofft, in diesem Jahr die 1,3-Millionen-Grenze zu erreichen: absoluter Besucherrekord.

Auch am Tag der deutschen Einheit das immergleiche Bild: Babylonisches Sprachgewirr in der Eingangshalle, eine gut geordnete Schlange, der in englisch und deutsch versichert wird, dass es vom Kauf der Eintrittskarte bis zur Auffahrt etwa eine Stunde dauert – der Kaufhof und die umliegenden Cafés freuen sich darüber. Ähnlichen Zuspruch haben der Zoo oder die Reichstagskuppel. „Hier ist alles abgebildet, was man sich als Kundensegment überhaupt vorstellen kann“, sagt Gisela Aue, „und 30 Prozent aller Gäste kommen wieder“.

Blick auf eine Stadt in permanenter Veränderung

Weil es ihnen 207 Meter über Berlin so gut gefallen hat. Oder „weil sich die Stadt permanent verändert“: Wo vorgestern noch der Palast der Republik stand, war gestern eine grüne Wiese und ist heute eine Baugrube. Eines fernen Tages steht dort eine Schloss-Kopie. Noch nie gab es im Umkreis von 360 Grad mehr Kräne als heute. Der Berliner Fernsehturm ist zu einem Wahrzeichen der Hauptstadt und des ganzen Landes geworden.

Auch diese Tatsache hat ihre Geschichte. Es ist die Wahrnehmung des Zusammenwachsens, der gegenseitigen Achtung und des Respekts vor einer kühnen ingenieurtechnischen Leistung. Ein Blick zurück ins Jahr 1969 hat schon etwas Lächerliches, hier wurde eine Art Komische Oper gegeben. Walter Ulbricht, der Staatsratsvorsitzende und Turmbaumeister, hatte den Standort bestimmt. Nun, bei der Eröffnungszeremonie, sagt er: „Stolz erhebt sich im Zentrum der Hauptstadt der DDR dieser Turm. Im gewissen Sinne symbolisiert er die gewaltigen Leistungen unseres ganzen werktätigen Volkes beim Aufbau des Sozialismus“.

Mag ja sein, aber das schon damals von Pathos gesättigte Volk sprach von „Ulbrichts Renommierstengel“ oder „Walters Protzkeule“ – und strömte zum Alex, zahlte fünf Mark und begab sich in 40 Sekunden in die Höhe über Berlin. Und wo war der Westen? Und die Mauer? Man sah sie kaum, konnte nur ahnen, dass es sie gibt. So schön, so groß und so in einem Stück lag die arbeitsame Stadt da unten, während sich die kleine S-Bahn über die Schienen schlängelte und die Spree im Sonnenlicht glänzte.

Häme für „Ulbrichts Propaganda-Turm“

Wir waren mitten im Kalten Krieg und deshalb nahm die Zehn-Zeilen-Meldung über die Turm-Eröffnung in unserem Tagesspiegel die Hälfte des Raum einer Anzeige ein, mit der Beate Uhse Verkäufer(innen) zwischen 25 und 35 Jahren für einen Laden in der Hardenbergstraße mit einem Anfangsgehalt von 750 DM brutto suchte. Später überwog sparsames Lob für den Fleiß unserer Brüder im Osten, es gab ein wenig Häme über „Ulbrichts Propaganda-Turm“, dessen Fundament, laut dem West-Berliner „Kurier“, eine „glatte Fehlkonstruktion“ sei. Die „BZ am Abend“ konterte: „Der Fernsehturm steht nicht auf dem moorigen Pflaster des Alex, sondern auf ebenso sicheren Fundamenten wie unsere DDR“.

Unbestritten ist, dass die 140 Segmente der Kugel aus dem Edelstahl der Südwestfalen AG zusammengesetzt wurden (und bei Sonnenlicht ein Kreuz signalisieren – die Rache des Herrn für Ulbricht, der die Marienkirche ganz klein machen wollte). Der Tagesspiegel teilte ganz sachlich mit, dass die Kugel „westfälisch verkleidet“ sei, und hoffte unbeirrt, „daß in absehbarer Zeit derartige Zusammenhänge selbst für Fremdenführer gänzlich uninteressant, weil selbstverständlich würden“.

Bis dahin sollten noch 20 Jahre ins Land gehen. Immerhin.

Lothar Heinke

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