Ein Porträt über Arno Funke: Der ewige Dagobert
Er mag sie nicht mehr hören, die alte Geschichte: Wie er das KaDeWe um 500 000 Mark erleichterte und Deutschlands bekanntester Erpresser wurde. Aber Arno Funke kommt nicht los davon. Und wirklich bereut er seine Taten auch heute, 20 Jahre nach seiner Festnahme, nicht.
Vor ein paar Stunden noch hat Arno Funke Zitate zum Stichwort Reue gegoogelt: „Reue ist Verstand, der zu spät kommt“, an diesen Spruch des österreichischen Lyrikers Ernst von Feuchtersleben erinnert sich Funke noch, die anderen hat er schon wieder vergessen. Reue, darüber denkt Funke immer mal wieder nach, Arno Funke alias Dagobert, der Kaufhaus-Erpresser. Am 22. April 1994 wurde er gefasst, und weil das nun 20 Jahre her ist, rief die Redaktion von Markus Lanz an, Funke soll kommen. „Bereuen Sie Ihre Tat?“, gehöre zu den Top-5-Standardfragen von Journalisten, sagt Funke, er will sie richtig beantworten, sich gut vorbereiten, daher die Suche nach Reue.
Es ist ein Freitag im Februar, Funke sitzt im Café Graffiti am Kurfürstendamm, hier trifft er sich immer mit Journalisten. Dieses „immer“ kommt von Funke selbst, er betont es regelrecht, das Wort spielt eine wichtige Rolle in seinem Leben. Und soll heißen: Ich bin noch interessant! Wenn Journalisten Funke eine E-Mail schreiben, um für ein Interview anzufragen, ruft er direkt zurück und stöhnt dann, wie anstrengend das Interviewgeben sei. „Immer diese Dagobert-Geschichte“, sagt er. „Die Leute interessieren sich nicht für das, was ich heute mache.“
Als Dagobert wurde er zum Publikumsliebling und machte Millionen
Mit seinem Bürstenschnitt, dem karierten Hemd und den Schuhen, die mehr bequem als schick sind, wirkt Funke fast unscheinbar. Er, der einen Superlativ schuf, indem er die „spektakulärste Erpressungsserie der deutschen Kriminalgeschichte“ vollbrachte, so nennen es die Medien. Er, der 1988 vom KaDeWe 500 000 Mark erpresste und als Dagobert zwischen 1992 und 1994 einen Brand- und fünf Sprengstoffanschläge ausübte, weitere 1,4 Millionen Mark vom Karstadt-Konzern forderte und sich mehrmals erfolglos mit der Polizei verabredete, zur Geldübergabe. Die Boulevardmedien schrieben ihn hoch, „Dagobert, schlauer, als die Polizei erlaubt“, war so eine Schlagzeile. Die ARD machte eine Umfrage, ob die Zuschauer Dagobert sympathisch finden, 61,3 Prozent antworteten mit Ja.
Im Café Graffiti sind an diesem Nachmittag einige Tische besetzt, auch der neben Arno Funke. Wenn er von früher erzählt, senkt er nicht die Stimme, im Gegenteil. Er spricht laut und deutlich, und man merkt: Ihm ist das nicht unangenehm. Man merkt aber auch, dass er aufgeregt ist. Jeden seiner Sätze beendet er mit einem kurzen Lachen. Sein Hals ist rot gefleckt.
„Ich bin Dagobert.“ - und das ist auch nach 20 Jahren nicht vorbei
Zwei Jahre lang war die Berliner Polizei mit der Suche nach ihm beschäftigt, dann, am 22. April 1994, konnte sie ihn schnappen. Er soll sofort gesagt haben „Ich bin Dagobert“, eine Reporterin fragte ihn wenige Stunden später: „Ein guter Tag für Sie?“ Und Funke antwortete: „Nein, heute nicht. War etwas im Stress gewesen und bin unvorsichtig geworden.“ Dann lachte er. Wegen schwerer räuberischer Erpressung wurde er zu neun Jahren verurteilt, nach sechs Jahren und vier Monaten kam er auf Bewährung frei.
In einem Interview, das er der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Tag vor der Entlassung gab, fragte ihn der Journalist: „Vielleicht können Sie ja Ihren Ruhm zu Geld machen. Die Talkshows warten doch schon auf Sie.“ Funke antwortete, dass er damit ein Problem habe: „Ich gehe nicht mit meiner Geschichte hausieren“, sagte er. „Ich möchte über meine Autorentätigkeit definiert werden oder über meine Arbeit als Zeichner und Fotograf.“ Schon damals arbeitete er für das Satiremagazin „Eulenspiegel“.
„Ich habe keine Lust, in Talkshows über meine Vergangenheit zu reden“ sagt Funke wieder, während er durch Berlin fährt, ein Kleinwagen, innen ordentlich gestaubsaugt, außen schwarz, Kennzeichen B-DD, DD für Dagobert Duck, die Initialen hat er so bei der Zulassungsbehörde beantragt. Funke besitzt das Auto seit vier Jahren. Im vergangenen Jahr ging er für RTL in den Dschungel und kochte sein „Promi-Dinner“ für Vox – zum Hauptgang servierte er „Ente kross“. Dagobert, das ist auch nach 20 Jahren nicht vorbei, weil es nicht vorbei sein soll. Bei Markus Lanz wird er auftreten, weil die Redaktion schon einmal angefragt habe, erklärt Funke. „Außerdem war ich seit sieben Jahren in keiner Talkshow mehr.“
Die Vergangenheit: Damals wollte er Clown oder Rockstar werden
Die Sendung von Markus Lanz wird nachmittags aufgezeichnet, Funke sitzt dem Moderator gegenüber, der sagt: „Bei uns ist ein Mann, der vor genau 20 Jahren Kriminalgeschichte geschrieben hat ...“ Dagobert ist länger als eine Viertelstunde Thema, Arno Funkes heutiges Leben nur 20 Sekunden – und das auch nur, weil er erzählt, dass er Karikaturen zeichnet. Lanz fragt, wie es zu dem Namen Dagobert kam (reiner Zufall, auf seinem Schreibtisch habe damals ein Turnbeutel gelegen, darauf Dagobert Duck). Ob Funke seine Tat bereut, will er nicht wissen. Beim Publikum ist Funke noch immer beliebt, was man daran merkt, dass die meisten lachen, wenn er von Geldübergaben und Polizeipannen erzählt. „Sie waren seinerzeit beliebter als Boris Becker“, resümiert Lanz. In der Vergangenheitsform ist Funke groß. Berühmt. Prominent.
„Ich habe ihm eine Freude gemacht“, sagt Funke, wieder zurück in Berlin. Es klingt fast so, als wäre er nur nach Hamburg ins Studio gefahren, um Lanz einen Gefallen zu tun. „Außerdem weiß man ja nie, was einem solch ein Auftritt bringt.“ Schließlich ist er kein Niemand. Er will kein Niemand sein.
Kein Studium, keine Karriere, aber ein kluger Kopf
Als Kind wollte Funke Zirkusclown werden, als Jugendlicher berühmt. Rockstar. In der Schule blieb er zwei Mal sitzen, danach machte er eine Lehre als Schilder- und Lichtreklamemacher. Kein Studium, keine Karriere. Als Funke verhaftet wurde, attestierten ihm Gutachter einen IQ von 120, bei Tests, in denen es ausschließlich um Technik und Zahlen ging, kam er sogar auf 145. Als Dagobert stieg Funke auf, er konnte seine Kreativität umsetzen: Zuerst, indem er sich komplizierte Mechanismen für die Geldübergaben ausdachte und die dafür benötigte Technik zusammenbastelte. Später, im Gefängnis, las er Dostojewskis „Schuld und Sühne“, Bücher von Camus und Canetti, „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez. Dann wurde er selbst zum Autor, „Mein Leben als Dagobert“ heißt das Buch. Funke wechselt darin immer zwischen der ersten und dritten Person. Die erste ist Dagobert, die dritte Arno Funke, „da hat man mehr Abstand“, sagt er. Ego und Alter Ego.
Wieder ein Freitag, 14. März, Funkes 64. Geburtstag. Er will zur Buchmesse nach Leipzig fahren, aber zuvor muss er noch zum „Eulenspiegel“, ein paar Plakate und Hefte abholen. Die Redaktion des Satiremagazins liegt in Berlin-Friedrichshain; Funke fährt mit dem Lastenaufzug in den dritten Stock. „Happy birthday to you!“, sagt eine vom „Eulenspiegel“, dann umarmt sie Funke. „Komm mal mit, Arno.“ In der Redaktionsküche ist der Tisch gedeckt, es gibt Kuchen und Kaffee, „ihr seid so lieb zu mir!“, Funke wird ab jetzt jeden Satz mit einem lauten Lacher beenden. Der Kuchen ist noch nicht ganz aufgetaut, Funke war für später erwartet, „letztes Jahr kamst du erst um drei“. Dann raucht Funke, der eigentlich nicht mehr raucht, eine Geburtstagszigarette.
Arno Funke - der Rembrandt unter den Zeichnern
Seit 15 Jahren arbeitet er für das Satiremagazin. Als er noch im Gefängnis war, fragte der „Eulenspiegel“ erstmals an: Ob Funke Polizei-Karikaturen zeichnen könne? Funke lehnte ab, „das wäre ja auch komisch gekommen“, sagt er. Gegen Ende der Haftstrafe, als er schon Freigang hatte, kontaktierte ihn die Redaktion erneut. Diesmal sagte Funke zu. Seitdem bastelt er am Computer Titelbilder und Poster zusammen, meist geht es um Politik. „Mit Arno Funke habt ihr ohne Zweifel den Rembrandt unter den Zeichnern in euren Reihen“, schrieb kürzlich ein Leser dem „Eulenspiegel“.
Über seine Bilder spricht Arno Funke gern, weil er dann auch immer seine Merkel-Geschichte erzählen kann: dass die Kanzlerin ein Bild von ihm habe, jenes, das Funke für das Bratwurstmuseum Holzhausen konzipiert hat. Das Thüringer Festmahl, mit Merkel als Kloßmarie und dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama als Bratwurstkönig, sechs mal zwei Meter groß. Später, im Auto auf der Fahrt nach Leipzig, wird er berichten, dass er derzeit an einem Bild für einen „prominenten Deutschen“ sitze. Das Motiv ist egal, nur soll Funke Dagobert unterbringen, das ist der ausdrückliche Wunsch des Auftraggebers.
Die Zukunft: Funke will ein Buch über seine Kindheit schreiben
Doch Funke will nicht einfach eine Comicfigur zeichnen – er will über sein Leben als Dagobert etwas sagen. „Vielleicht ein Mann, leicht bekleidet, der über einem Nagelbrett schwebt? Und die Frage: Wo soll man landen?“, überlegt er laut. „So fühlte sich mein Leben als Dagobert an.“ Auf den Schwebezustand kommt Funke immer wieder zu sprechen. Auf arnofunke.de kann man seinen Lebenslauf nachlesen, erzählt über sieben Seiten. „Eben noch schwebte ich körperlos und zufrieden in einem dunklen endlosen Universum (...), als plötzlich das gleißend grelle OP-Licht eine neue Phase meines Lebens einleuchtete“, so beschreibt Funke seine Geburt. Manchmal schwebt er auch heute noch, zu Hause, am Computer, mit dem Flugsimulator. Am liebsten fliegt er die Maschinen dorthin, wo es am schwierigsten ist zu landen, La Palma, Gibraltar oder Lukla, zum Beispiel, das liegt in den Anden.
Ein paar Wochen später, Berlin-Lichtenberg, Dong-Xuan-Center, hier war Funke zusammen mit dem Kamerateam von „Vox“ für das Promi-Dinner einkaufen. Funke ist auch sonst manchmal hier, er kocht nicht nur für die Medien, sondern fast täglich, für „seine Elke“, eine Sozialarbeiterin, die er auf Freigang kennengelernt hat und mit der er seitdem zusammen ist. Elke ist diejenige, die nicht möchte, dass Journalisten bei ihnen zu Hause vorbeikommen. Deswegen läuft Arno Funke immer die acht Minuten bis zum Café Graffiti. Und deswegen musste auch das Promi-Dinner in der Wohnung eines Freundes gefilmt werden.
Die Depression soll Dagobert erschaffen habe
Als er an einem Nagelstudio vorbeiläuft, rümpft Funke die Nase. „Ich kann das nicht mehr riechen“, sagt er. Wenn Elke sich zu Hause die Nägel lackiert, wechselt er das Zimmer. Früher hat er Autos lackiert, die Lösungsmittel schädigten seine Gesundheit. Damals bekam Funke eine schwere Depression, die zur Erschaffung des Alter Egos Dagobert geführt haben soll. Arno Funke wollte ein besseres Leben haben – dafür brauchte er Geld. Also erpresste er das KaDeWe.
Die 500 000 Mark, die er als Dagobert bekam, waren schnell aufgebraucht. Wenn man Funke heute fragt, wie das geht, in so kurzer Zeit so viel Geld zu verprassen, sagt er nur: „Ich hatte viele Ausgaben.“ Heute verdient er sein festes Gehalt beim „Eulenspiegel“. Den Bonus bringt Dagobert: Für die Teilnahme am „Dschungelcamp“ bekam er 40 000 Euro, eine Woche Luxushotel und einen Flug in der Businessklasse; einen Teil des Geldes hat er dem Karstadt-Konzern überwiesen. Fürs Promi -Dinner gab es ein paar Tausender.
Die Frage, die Markus Lanz nicht stellte: Bereut Funke seine Tat?
Während Funke Ingwerwurzeln und Tofu in den Einkaufskorb legt, erzählt er von seinem nächsten Projekt: Er möchte ein neues Buch schreiben, wieder soll es um ihn gehen. Dieses Mal allerdings mehr um seine Kindheit und Jugend. In etwa das, was bereits auf seiner Homepage zu lesen ist. Sein Lebenslauf dort endet 1988, „der Rest ist Geschichte“, steht da.
Karl-Marx-Allee, draußen ziehen die Plattenbauten vorüber, drinnen im Auto diktiert das Navi den Weg. Funke hat nicht mehr viel Zeit, er muss Elke von der Arbeit abholen. Im dritten Gang die Frage, auf die sich Funke vorbereitet hatte und die Markus Lanz nicht stellte: Bereuen Sie Ihre Tat? „Ich weiß, dass man so etwas nicht machen soll“, sagt er. „Aber wenn man sein Leben mit der Geschichte in den Griff bekommen hat, soll man das bereuen?“
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