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Block 38 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Hier war zunächst die Quarantänestation, in die die jugendlichen Polen eingewiesen wurden. Später wurden sie in der (heute nicht mehr vorhandenen) Jugendbaracke 61 interniert, in der Franz Bobzien als Blockältester fungierte.
© Schlegel

Oranienburg lobt "Franz-Bobzien-Preis" aus: Der die Sprache der Mörder lehrte - und zu überleben half

Stadt Oranienburg sowie Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen haben den „Franz-Bobzien-Preis“ 2014 ausgelobt, für den der Tagesspiegel Medienpartner ist. Damit sollen Projekte für Toleranz und Demokratie in Berlin und Brandenburg gewürdigt werden. Doch wer war dieser Franz Bobzien eigentlich?

Von Matthias Schlegel

Das nasskalte, düstere Wetter an diesem Wintertag ist dem Ort angemessen. Begibt man sich auf die Spuren dieses Mannes, der mit der Häftlingsnummer 896 die letzten drei Jahre seines Lebens im Konzentrationslager Sachsenhausen verbrachte, steht man an einem mit einem Stahlband eingefassten Schotterfeld, das den Grundriss der Häftlingsbaracke 61 nachzeichnet. Dutzende solcher Grundrisse und einige original erhaltene Baracken auf dem Gelände des Lagers im Oranienburger Stadtteil Sachsenhausen erinnern daran, dass hier zwischen 1936 und 1945 rund 200 000 Menschen aus ganz Europa litten, Zehntausende an Hunger und Folter starben oder gezielt vernichtet wurden. Franz Bobzien war 31 Jahre alt, als er im März 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt wurde. Der Junglehrer aus Hamburg hatte ungefähr genauso lange, wie er Schüler unterrichtet hatte, als „Politischer“ in Haft gesessen. 1931 war der überzeugte Pazifist aus der SPD ausgetreten, nachdem seine Partei im Reichstag dem Bau von zwei Panzerkreuzern zugestimmt hatte. Er schloss sich der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) an, seit 1933 gehörte er, gemeinsam mit Willy Brandt, deren Vorstand an. Als die Situation in Deutschland für ihn zu brenzlig wurde, verließ er noch im gleichen Jahr sein Heimatland auf einem Fischkutter und tauchte in Dänemark unter.

Franz Bobzien, 1906 in Hamburg geboren, Lehrer, in den letzten drei Jahren seines Lebens politischer Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er polnischen Jugendlichen half, die deutsche Sprache zu erlernen und den Lageralltag zu überstehen.
Franz Bobzien, 1906 in Hamburg geboren, Lehrer, in den letzten drei Jahren seines Lebens politischer Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er polnischen Jugendlichen half, die deutsche Sprache zu erlernen und den Lageralltag zu überstehen.
© Gedenkstätte

Im Februar 1934 reiste Bobzien aus seinem Kopenhagener Exil zu einem dreitägigen Treffen linkssozialistischer und trotzkistischer Jugendverbände nach Amsterdam. Die Konferenz fand aus Gründen der Konspirativität dann im holländischen Städtchen Laren statt. Zur deutschen Gruppe zählten fünf Delegierte, unter ihnen Franz Bobzien und Willy Brandt, die beide zugleich Mitglieder der Reichsleitung des Sozialistischen Jugend-Verbandes (SJV) waren.

In seinen Lebenserinnerungen „Links und frei – Mein Weg 1930 - 1950“ schreibt Brandt später: „In Laren hatten wir ... nach Kaffee und Kuchen die Begrüßungsreden hinter uns gebracht, als Polizei in den Versammlungsraum eindrang und die Veranstaltung kurzerhand auflöste. Geldgendarmerie hatte das Haus umstellt. Ein Dutzend ausländischer Arrestanten, darunter ich, wurden mit dem Bus zurück nach Amsterdam gebracht. Die vier deutschen Genossen wurden von uns getrennt. Am nächsten Tag hörten wir, dass man sie … mit Handschellen an die deutsche Grenze geführt und bei Emmerich ’den zuständigen Behörden’ des Reiches übergeben hatte.“ Brandt selbst hatte sein norwegischer Pass vor der Festnahme bewahrt. Von der Jugendkonferenz hielt Brandt im übrigen nicht besonders viel. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er, das Unternehmen sei "ein blutleeres Gebilde geblieben" und er beklagt sich über die "Rechthaberei der Trotzkis", die ihm und den anderen die Lust an der Zusammenarbeit genommen habe.

Über das Schicksal Bobziens und der anderen Genossen berichtete Brandt, dass sie zunächst nach Berlin gebracht und verhört worden seien, wahrscheinlich im Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße. Die Gestapo übergab den Fall Bobzien vermutlich im März 1934 der obersten deutschen Anklagebehörde, die ein Verfahren wegen „Landesverrats im Ausland“ gegen ihn einleitete. Im Mai wurde Bobzien nach Hamburg überstellt, wo ihm gemeinsam mit anderen Kampfgefährten ein Prozess wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und „Hochverrrat im Ausland“ erwartete. Am 14. September wurde er vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Haftstrafe trat er im Zuchthaus Oslebshausen bei Bremen an, wo viele andere Funktionäre der Arbeiterparteien und Gewerkschaften einsaßen. Am 14. März 1938 hat er die Strafhaft verbüßt, doch frei kommt er nicht, sondern wird von der Gestapo wieder in Schutzhaft genommen und in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen. Es ist nicht nur ein Leidensort für hunderttausende Häftlinge. Sachsenhausen ist zugleich ein Machtzentrum der Unterdrückung: Die „Inspektion der Konzentrationslager“ (IKL), direkt dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstellt, verwaltet seit 1938 von Sachsenhausen aus insgesamt 32 Lager im gesamten Reichsgebiet. Im November 1938 wird Franz Bobzien mit einer 500 Mann starken Arbeitskolonne nach Ravensbrück geschickt, um dort das Frauenkonzentrationslager mit aufzubauen. Auf Betreiben der „Häftlingsselbstverwaltung“, die stark geprägt ist von politischen Häftlingen der illegalen Widerstandsleitung, wird er 2. Lagerältester, nach seiner Rückkehr nach Sachsenhausen im April 1939 zeitweise 3. Lagerältester in Sachsenhausen, wenig später Blockältester. Es sind dies Funktionen, die in der Extremsituation der Lagerhaft eine besondere Herausforderung darstellen: menschliche Wesenseigenschaften zu bewahren oder zu verleugnen, abzuwägen zwischen pragmatischer Anpassung und notwendigem Widerstand. Denn die SS bediente sich der Mitglieder der „Häftlingsselbstverwaltung“ als Vorarbeiter. Sie hatten einen gewissen Einfluss, trugen zugleich für das Schicksal der anderen Häftlinge Verantwortung. „In dem Spannungsfeld zwischen dem absolut Guten, der lebensgefährlichen Hilfe für Andere, und dem absolut Bösen waren sie im täglichen Lageralltag ständigen Zwangssituationen ausgesetzt“, schildert Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, den Zwiespalt. Sie agierten überdies unter ständiger Lebensgefahr, weil sie aufgrund ihrer Nähe zur Lagerleitung Geheimnisträger waren. Nach dem Überfall Hitlers auf Polen wurden seit März 1940 viele Häftlinge aus dem besetzten Gebiet nach Sachsenhausen deportiert, darunter zahlreiche Jugendliche. Die „Häftlingsselbstverwaltung“ setzte sich für die Einrichtung eines Jugendblocks ein. Damit sollte den jungen Menschen der Lageraufenthalt erleichtert werden, und sie sollten besser vor der SS geschützt werden. Wieder machte die illegale Widerstandsleitung ihren Einfluss geltend, damit Franz Bobzien zum Blockältesten ernannt wird – zunächst in der Baracke 38, die als Quarantänestation für die jugendlichen Neuankömmlinge diente, später in der Jugendbaracke 61. Insgesamt kamen etwa 300 Jugendliche, die meisten von ihnen Polen, aber auch einige Tschechen, in Bobziens Obhut. Es sollte das letzte Jahr seines Lebens sein, und er nutzt es – als Vertrauter und Lehrer der Jugendlichen. Zdzislaw Jasko, der als 16-Jähriger in das Konzentrationslager eingeliefert worden war, erinnert sich: „Er sagte uns am Anfang: ,Also Jungs, ich weiß, dass ich dieselbe Sprache wie eure Mörder spreche, wie die Schläger. Leider kann ich nicht Polnisch. Aber wenn ihr eure Eltern wiedersehen wollt, müsst ihr Deutsch lernen. ... Nur so könnt ihr die schweren Verhältnisse im Lager überstehen.“ Bobzien teilte die Jugendlichen je nach ihren bisherigen Deutschkenntnissen in verschiedene Gruppen ein, die von mehreren Deutsch sprechenden Häftlingen unterrichtet wurden. Sie eignen sich die Sprache ihrer Peiniger mit Hilfe von Gedichten an: „Der Erlkönig“, „Die Glocke“, „Die Loreley“. Und mit Volksliedern: „Glückauf, glückauf, der Steiger kommt“, „Wenn alle Brünnlein fließen“. Und sie lernen Mathematik. Als Jasko nach der Befreiung des Lagers nach Hause kommt, braucht er die deutschen mathematischen Begriffe nur noch ins Polnische zu übersetzen, wie er sich später erinnert. Bobzien vermittelte auch Kontakte zu den Eltern der Jugendlichen. Jasko resümiert: „Er war so ein guter Mensch – wir hätten nie gedacht, dass wir einen solchen Freund im Lager finden könnten, und dann noch ein Deutscher.“ Für Bobzien selbst war diese Zuwendung zu den jungen Menschen hochgefährlich. Den Polen Bildung beizubringen, stand im Widerspruch zur Rassentheorie der Nazis, wie Gedenkstätten-Direktor Morsch erklärt: Die Polen sollten nur Heloten sein, öffentliche Sklaven, Untermenschen. Und Mitmenschlichkeit und Solidarität unter Häftlingen war der Lagerleitung ohnehin suspekt in einem Lageralltag, der von Sozialdarwinismus geprägt war. Von Augenzeugen ist überliefert, wie Bobzien wegen seines Unterrichts mit den Polen von einem SS-Aufseher misshandelt wurde. Im Jahr 1940 wird Bobzien zur Bombenentschärfung nach Berlin abkommandiert. Die Gründe sind bis heute unklar: Ob es eine Strafaktion war oder ob Bobzien sich freiwillig meldete, weil den Häftlingen von der SS das - später nie eingelöste – Versprechen gegeben wurde, sie würden nach zehn Einsätzen freigelassen, ist ungewiss. Als er am 28. März 1941 nicht mehr in das Lager zurückkehrt und die Nachricht die Runde macht, dass er Opfer einer Zeitzünderbombe geworden ist, herrscht „tödliche Ruhe im Block“, wie sich Jasko erinnert. „In Stille weinten wir.“

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