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Zuhause am Zoo. Mischa, Matthias, Yves, Dennis, „Papa“ Bernd und Lothar. Sie und die anderen halten zusammen, sagen sie. Bahnchef Rüdiger Grube hat sie jetzt besucht.
© Doris Spiekermann-Klaas

Eine Begegnung an Berlins Bahnhof Zoo: Der Bahnchef und die Obdachlosen

Sie haben sich extra rasiert und aufgeräumt, neben der Bahntrasse. Rüdiger Grube, der Bahnchef, kommt zu Besuch. Die Deutsche Bahn Stiftung und die Stadtmission wollen helfen.

„Stört es jemanden, wenn ich rauche?“ Dass jemand mit einen Zigarettenpäckchen in der Hand diese Frage stellt! Die Aufmerksamkeit kommt von einer obdachlosen Frau, in ihrem eigenen Zuhause. Das ist unter freiem Himmel, im Tiergarten, direkt an der Bahntrasse nahe dem Bahnhof Zoo. Alle haben extra aufgeräumt. Die Decken sind ordentlich zurecht gelegt, und an der Wand wird das Poster der Fußballnationalmannschaft glatt gestrichen, wir sind ja schließlich Weltmeister.

Nein, der Rauch stört keinen, und schließlich ist die avisierte Besuchergruppe aus der etablierten privilegierten Parallelwelt ja zu Gast bei den Menschen von der Platte. Rüdiger Grube, der Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Bahn AG und der DB Mobility Logistics AG, also Rüdiger fragt höflich, ob er sich zu Lothar und Mathias hocken darf. „Sagt mal, was wünscht ihr euch im Leben, und wie können wir euch helfen?“

Es ist ein ungewöhnlicher, aber herzlich authentischer Ortstermin, zu dem der Deutsche-Bahn-Chef auch als Vorsitzender des Beirates der Deutsche Bahn Stiftung gemeinsam mit deren Vertretern sowie Sprecherin Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission geladen hat. Die Deutsche Bahn, Millionen Reisende mit Hilfebedarf, die Bahnhofsmission und die Menschen, denen der einzige beheizte Bahnhof der Stadt am Zoo auch im Winter ein Überleben sichert – sie verbindet mehr als man ahnt. Und der Einsatz vieler ist zum Wohle aller.

Traditionell unterstützt die Deutsche Bahn die 108 Bahnhofsmissionen in Deutschland mit deren 2000 zumeist ehrenamtlichen Mitarbeitern – sie stellt Räume gratis, übernimmt die Betriebskosten. Die Bahn machte auch die Eröffnung der Ambulanz der Stadtmission mit zumeist schon ewig engagierten ehrenamtlichen Ärzten wie Jutta Herbst-Oehme möglich. Bald will dort nun sogar die Charité ihre angehenden Ärzte zum Schnuppern vorbeischicken.

Denkpause. Wie das Leben eben spielt. Siebzehn, verliebt, schwanger. Bahnchef Rüdiger Grube (M.) und Bahnhofsmissionsleiter Dieter Puhl hören zu.
Denkpause. Wie das Leben eben spielt. Siebzehn, verliebt, schwanger. Bahnchef Rüdiger Grube (M.) und Bahnhofsmissionsleiter Dieter Puhl hören zu.
© Doris Spiekermann-Klaas

In Berlin kümmern sich die Helfer der evangelischen Stadtmission und des katholischen Trägervereins In Via in den Bahnhofsmissionen – am Zoo, am Ostbahnhof und im Hauptbahnhof – um Reisende in Not, um alte Menschen, alleinreisende Kinder. Und um jene Menschen, die an Bahnhöfen nicht mit Tränen in den Augen ankommen oder abreisen, sondern denen das anonyme Kommen und Gehen Raum bietet fürs Bleiben.

Nach Schätzungen der Berliner Wohlfahrtsverbände gibt es 1000 bis 1500 obdachlose Menschen in der Hauptstadt, ist vom Leiter der Evangelischen Bahnhofsmission Dieter Puhl zu erfahren. Im Sommer leben sie draußen, viele suchen sich ein Plätzchen rund um den Bahnhof Zoo, weil dort in der Jebenstraße die einzige Bahnhofsmission in Deutschland auch eine Regelverpflegung anbieten darf. Die kalten Speisen sowie Tee und Kaffee geben teils auch Mitarbeiter der Bahn aus. Seitdem Grube Chef ist, motiviert er auch Kollegen aus den Führungsetagen oder gern Auszubildende, dort einen sozialen Tag zu leisten, erzählt er. Das machen, auch nach anfänglichem Zweifel, immer mehr Kollegen – und danach sammeln sie sogar im Privaten Geld für die Menschen. Einige Geschäftsleute der AG City wollen wegen der Drogenszene und „einer wachsenden Zahl von Obdachlosen“ einen privaten Wachschutz engagieren. So pauschal könne man die Menschen aber nicht kritisierren, sagt Grube, man müsse sie „mitnehmen“.

Er wollte schon länger gern mit ihnen selbst reden. Nicht von oben herab: herunterhocken, hinknien. Erzählen. Rüdiger, der Manager, und Ronny, der Mann von der Straße, eint das gleiche Schicksal in der Kindheit. „Bei mir fing alles an, als meine Eltern sich scheiden ließen“, sagt der junge Obdachlose mit all den Problemen, die sein Leben mit sich bringt.

„Ich hatte Glück, dass meine Mutter für uns Jungs alles getan hat und uns beigebracht hat, nie aufzugeben“, hatte hingegen Grube zuvor in der Journalistenrunde erzählt. Jetzt hört er zu, nickt, motiviert. „Halte durch, du schaffst das“, sagt Rüdiger zu Ronny und bufft ihn kumpelhaft gegen den Arm. Ronny guckt in die Weite, nickt, lächelt. „Was wünschst du dir?“, fragt Rüdiger. Ronny, 28, sagt: „Eine Wohnung, Arbeit, Frau, Familie.“

Damit Menschen wie Ronny eine zweite, dritte oder beim Entzug vielleicht auch hundertste Chance bekommen, unterstützt die Deutsche Bahn Stiftung seit ihrer Gründung im Januar 2013 auch die mobilen Einzelfallhelfer vom Bahnhof Zoo. Seit April 2013 sind beispielsweise Julia Häcker und Ralf Sponholz von der Stadtmission rund um die Uhr als Straßensozialarbeiter im Einsatz, betreuen rund 20 besonders bedürftige Obdachlose, in Einzelfällen bis zu 300 Stunden. 30 000 Euro im Jahr gibt die Stiftung. In die Ambulanz fließen 70 000 Euro, für medizinisches Gerät und Medikamente.

Um nicht allein Zinskapital einsetzen zu können, hat die Deutsche Bahn die Stiftung als gemeinnützige Gesellschaft gegründet, viele Bahner machen ehrenamtlich mit, Schirmherrin ist Christina Rau. Bis zu 0,5 Prozent des operativen Gewinns vor Steuern und Zinsen pro Geschäftsjahr gehen an die Stiftung. 2014 stehen elf Millionen Euro zur Verfügung.

Auch viele der Männer, die man immer dann versteht, wenn kein Zug vorbeirattert, hatten mal ein Leben, in dem der Wecker klingelte. Lothar ist 57 und sieht jünger aus, er hat sich extra rasiert, sein Charme macht die fehlenden Zähne wett. „Wir sind alle eine Familie“, sagt er. „Drüben sitzt noch Opa.“ Lothar hatte Frau, hat eine Tochter, er hat Maschinen bedient, ist Bau- und Möbeltischler. Dann warf ihn die Trennung aus der Bahn.

Rutha ist erst 17, sie hat ihr Leben noch vor sich. Doch die Hilfevita ist schon lang. Der Bahnchef erkundigt sich nach ihrem Schicksal bei der Bahnhofsmission auch noch, als der offizielle Pressegesprächtag längst vorüber ist. Rutha ist schwanger. Damit alles gut geht, will man ihr helfen. „Ohne meinen Freund mache ich nichts“, sagt sie leise. Dann bittet die Familie von der Trasse noch um ein paar Euro. Für einen Kumpel, im Knast. „Er hat eine Rechnung offen“, sagt eine Frau und lacht. „Mit der BVG?“, fragt einer der Besucher. Ja! Aber da kann auch Grube nichts machen. „BVG bin ich nicht.“

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