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Tierpark Friedrichsfelde: Der Arche-Typ

Ein Leben für den Tierpark Friedrichsfelde: Vor 100 Jahren wurde der Zoologe Heinrich Dathe geboren. Seine Zeit als Direktor ist bis heute legendär.

Berlin - Eine der schönsten Geschichten mit dem legendären Tierpark-Direktor Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe ist 52 Jahre alt: Damals, 1958, gastierte im Ost-Berliner Zoo die Pandabärin Chi-Chi. Eine Sensation. Die Berliner strömten nach Friedrichsfelde. Doch eine junge Frau konnte den so seltenen wie putzigen Gast aus den fernen Bambuswäldern nicht besuchen. Sie lag schwer krank im Bett. Dathe hörte davon, ließ Chi-Chi in eine Kiste locken und durch die halbe Stadt fahren. Träger wuchteten die Fracht vier Treppen hoch, trugen die Kiste in die Wohnung der Kranken, öffneten sie – Dathe schreibt dazu in seinem Tagebuch: „Über das Gesicht der vom Tode gezeichneten Frau huschte ein zufriedenes, glückliches Lächeln. Wir legten ihre Hand auf das Fell des kostbaren Tieres, das sich nicht manierlicher hätte benehmen können. Das war unser schönster Lohn für die Mühen, das bestätigte und bekräftigte mich in unserem Auftrag, die Menschen an die mit uns lebenden Geschöpfe heranzuführen, an die Brüder im anderen Kleid.“

Das war „unsa Professa Dathe“, wie der Berliner sagte und wie ihn Jürgen Mladek in „Professor Dathe und seine Tiere“ aus dem Verlag Das Neue Berlin schildert. Das Buch ist zum 100. Geburtstag des Tierparkvaters am heutigen 7. November erschienen. Der Mann aus dem vogtländischen Reichenbach, der seit seinem 14. Lebensjahr in Leipzig lebte, konnte und wollte sein singendes Sächsisch nicht verstecken, er sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war. „Wir hatten genau 1774 Sendungen aus Friedrichsfelde im Berliner Rundfunk“, sagt Karin Rohn, die Reporterin mit dem rollenden „Rrrr“, die Dathe 35 Jahre lang für ihre Radiosendung „Im Tierpark belauscht“ das Mikrofon unter die Nase gehalten hatte. Es war ein Sonntags-Ritual in Ost-Berlin: Erst kam Dathe und ließ die Vögel zwitschern, dann kam der Rias. (Um dreiviertel Zwölf erzählte Friedrich Luft, was auf den Bühnen dieser Stadt auf- oder durchgefallen war.) 35 Jahre lang, von 1955 bis 1990, war Dathe Tierparkchef. Er lebte für den Beruf. Er war eine Institution, ein Star und seine beste Werbeagentur. Ob Volksfeste, Feiertage oder Betriebsjubiläen – stets kam der Direktor mit einer Fuhre Tiere, ließ die Affen los oder kleine Löwen kraulen. „Alles nur Reklame für Friedrichsfelde“, sagte er entschuldigend, damit der Tierpark immer im Gespäch war, damit das Publikum kam und ab und an eine Spende einging. Denn das Gelände ist, wie die Stadt selbst, bis heute im Werden.

Die DDR-Regierung wollte in den 50er Jahren dem Zoo in West-Berlin etwas Eigenes entgegensetzen und überraschte Dathe mit dem Argument, dass schon vor dem Krieg Zoodirektor Heck die Absicht hatte, einen zweiten weitläufigen Zoo „im Grunewald, in der Schorfheide oder in Grünau“ zu schaffen. 1954 plante der Ost-Magistrat mit mehreren Standorten, im Plänterwald, in der Wuhlheide und im Schlosspark Friedrichsfelde.

Der damals 44-jährige Assistent des Leipziger Zoodirektors Schneider hatte mit 26 Jahren seine Doktorarbeit über den „Bau des männlichen Kopulationsorgans beim Meerschweinchen und anderen hystricomorphen Nagetieren“ geschrieben. Nun, 1954, sollte der Zoologe, Botaniker und Geologe einen komplett neuen Park für Tiere aller Art und Größe aufbauen. „Mir war sofort klar: Das ist die Chance deines Lebens!“ Dathe nutzte sie, und viele halfen mit, „ihren“ Tierpark in Friedrichsfelde zu gestalten. „Sein Prinzip war immer: Fördern durch fordern“, sagt Falk Dathe über seinen „liebevollen, aber gestrengen Vater“. Der Sohn ist in Friedrichsfelde Kurator für Reptilien, er scheint seinem Vater aus dem Gesicht geschnitten. Und Martin Kaiser, der Chef-Ornithologe von heute, hatte sich einst im Tierpark-Jugendklub von Heinrich Dathes Begeisterung für Vögel anstecken lassen. Im Januar 1991 war Dathe gestorben, nachdem ihn Bürokraten der neuen Zeit herzlos aus Amt und Dienstwohnung vertrieben hatten.

Was bleibt von ihm? Ein Symposium über den anerkannten Wissenschaftler, dessen letzte Ruhestätte in Karlshorst als Ehrengrab gestaltet wird. Die dankbarste Erinnerung ist ein pfleglicher Umgang mit der 160 Hektar großen Arche Noah in Friedrichsfelde, dem größten Landschaftstiergarten in Europa. Der heutige Tierparkdirektor Bernhard Blaskiewitz würdigt seinen berühmten, volksverbundenen Vorgänger als „eine der bedeutenden Persönlichkeiten Berlins des vergangenen Jahrhunderts“.

Lothar Heinke

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